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Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1322 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Malibabo, Balimbanga

Titel/Untertitel:

Reich Gottes und menschliche Selbsttätigkeit. Zum Verhältnis zwischen christlichem Glauben und moralischem Handeln in der Theologie Albrecht Ritschls.

Verlag:

Würzburg: Echter 2003. 232 S. gr.8 = Religion in der Moderne, 11. Kart. Euro 19,90. ISBN 3-429-02543-5.

Rezensent:

Christine Axt-Piscalar

Bei dem zu besprechenden Buch handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung einer Arbeit, die an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Münster (Gutachter Thomas Pröpper/ Dorothea Sattler) als Dissertation angenommen wurde. Mit der Frage nach der Verhältnisbestimmung von Reich-Gottes-Gedanke und menschlicher Selbsttätigkeit visiert sie den zentralen Punkt in Ritschls systematisch-theologischem Denken an.

Zum einen fungiert der Reich-Gottes-Begriff in Ritschls Theologie als der systematische Grundgedanke, der sowohl die religiösen als auch die sittlichen Grundaussagen des Christentums prägt und deren inneres Beziehungsgefüge zueinander leitet, was im "Unterricht in der christlichen Religion" deutlich hervortritt, deutlicher noch als in "Rechtfertigung und Versöhnung". Zum andern zielt Ritschls Denken im Kern auf die Betonung der engen Zusammengehörigkeit zwischen Rechtfertigung und Heiligung, Religion und Sittlichkeit (sowie Dogmatik und Ethik) für das evangelische Christentum, womit er ein genuines Anliegen reformatorischer Theologie wieder ins Bewusstsein gerückt zu haben meinte. Seine Kritiker indes, allen voran die Vertreter der so genannten dialektischen Theologie, haben dies nicht so gesehen. Ihr einschlägiges und über lange Jahrzehnte maßgebliches Urteil lautete bekanntlich: einseitige Ethisierung des Reich-Gottes-Gedankens und Unterbestimmung der religiösen Dimension des Glaubens zu Gunsten der ethischen. Dass Ritschls Theologie eine differenziertere Beurteilung verdient, ist spätestens seit den diesbezüglichen Arbeiten von Rolf Schäfer deutlich geworden.

In letzter Zeit ist wieder eine verstärkte Beachtung von Ritschls Theologie zu beobachten (vgl. Kuhlmann, von Scheliha, Slenczka, Weyer-Menkhoff, Wittekind, Axt-Piscalar), wofür die vorliegende Arbeit ein weiteres, nun aus der katholischen Theologie stammendes Zeichen ist. Man wird freilich vorab anzumerken haben, dass sie keine weiterführenden Einsichten zum theologischen und philosophischen Kontext von Ritschls Denken und auch nicht zur werkgeschichtlichen Entwicklung seiner Theologie liefert. Dazu ist dasjenige, was der Vf. andeutet, zu knapp. Ritschls Verhältnis zur Theologie Luthers, zur Philosophie Kants (43 ff.), zur Erkenntnistheorie Platons, Kants und Lotzes (78 f.) sowie zur Versöhnungslehre Osianders und Strigels (163 f.) lässt sich nicht durch wenige Be- merkungen umreißen. Was die Arbeit unternimmt, ist eine gut lesbare Darlegung der elementaren Aussagen der Ritschlschen Theologie, die sie in gewissem Maße auch in ihrem systematischen Zusammenhang zu entfalten versteht. Dabei sucht sich der Vf. von falschen Einseitigkeiten in der Beurteilung wohltuend freizuhalten und vermag in seiner ausgewogenen Betrachtung wichtige Aspekte der Ritschlschen Theologie festzuhalten. So betont er mit Recht, dass Ritschl in erster Linie Schrifttheologe hat sein wollen und dabei ungleich stärker als viele seiner zeitgenössischen Kollegen die Bedeutung des Alten Testaments für das Verständnis des Neuen Testaments hervorgehoben hat (62 ff.). Er unterstreicht Ritschls Selbstverständnis als ein lutherischer Theologe und gibt zu verstehen, dass sich Ritschls Erkenntnistheorie primär seinem Verständnis von Religion und Glaube und weniger einem entschiedenen Anschluss an eine bestimmte philosophische Erkenntnistheorie verdankt (bes. 76). Der Vf. sieht, welche Bedeutung die Offenbarungsthematik für Ritschls gesamte Konzeption hat (53 ff.). Er hebt mit Bedacht Ritschls Verständnis der Rechtfertigung als ein synthetisches Urteil Gottes über den Sünder hervor, das allein im Glauben angenommen wird (151 ff.), und betont Ritschls Intention, Rechtfertigung und Versöhnung als Begründung der sittlichen Freiheit des Christenmenschen zu entfalten. (Missverständlich ist dagegen die Rede von der "autonomen" Ethik, und die Unterscheidung und Zuordnung von Rechtfertigung und Versöhnung hätte genauer bestimmt werden müssen.) Der Vf. weist auch mit Recht darauf hin, dass Ritschls Reich-Gottes-Gedanke mehrschichtig ist und nicht in einem rein ethisierenden Verständnis aufgeht (174 f.). Freilich würde man zu allen diesen Punkten gerne noch Genaueres hören. Dies gilt auch für die Versuche des Vf.s, die Ritschlsche Position mit der gegenwärtigen Theologie ins Benehmen zu setzen (so etwa sein Vergleich von Ritschls Rechtfertigungslehre zu dem in der "Gemeinsamen Erklärung" Erreichten, 37 ff., oder seine Bezugnahme auf Thomas Pröppers Freiheitskonzeption, 120 f.).

Ausdruck der Ausgewogenheit seiner Darstellung ist auch, dass der Vf. der eigenen Behandlung des jeweiligen theologischen Themas in der Regel einen Abschnitt voranstellt, der die in der Forschung dazu vertretenen Positionen - freilich sehr summarisch - wiedergibt. Das verschafft dem Leser in Kürze einen recht guten Überblick. Der Vf. greift dafür überwiegend auf Theologen des späten 19. und frühen 20. Jh.s zurück, während die jüngere Literatur zu Ritschl nur sporadisch zu Wort kommt. Dass der Vf. auf die einschlägigen Arbeiten von Rolf Schäfer kaum Bezug nimmt, ist kritisch zu vermerken. Eine stärkere Einbeziehung von Ritschls "Unterricht", dem systematisch-theologischen Extrakt seiner Arbeit, hätte darüber hinaus dazu geholfen, die Systematizität von Ritschls Denken und dessen eigentümliches Profil noch deutlicher hervortreten zu lassen.