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Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1320–1322

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Jacobi, Friedrich Heinrich

Titel/Untertitel:

Briefwechsel 1785. Nr. 1108- 1306. Nachtrag zum Briefwechsel 1764-1784. Hrsg. v. A. Mues, G. Schury u. J. Torbi.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2003. XVI, 414 S. m. Abb. gr.8 = Friedrich Heinrich Jacobi Briefwechsel. Reihe I, 4. Lw. Euro 265,00. ISBN 3-7728-2234-7.

Rezensent:

Wolfgang Sommer

Das erfreulich fortschreitende, große Unternehmen der Edition des Briefwechsels von Friedrich Heinrich Jacobi wird mit diesem vierten Band fortgesetzt, der neben einem Nachtrag zum Briefwechsel 1764-1784 die Briefe des Jahres 1785 enthält, einem in der Überlieferung der Briefe von und an J. besonders reichen Jahr (vgl. zuletzt meine Rezension in der ThLZ 128 [2003], 640-641).

In den Briefen dieses Jahres ragt die Korrespondenz J.s mit Johann Georg Hamann besonders heraus, die schon in den vorangegangenen drei Jahren seit 1782 sich ständig intensivierte. Mit Recht wird in der Einleitung festgestellt, dass diese Korrespondenz "zu einer der großen Brieffreundschaften wird, die wir dankbar überliefert sehen. Sie geben der Geistesgeschichte die konkreten Fluchtpunkte, durch die auch die historische Zeit räumliche Tiefe gewinnt." (V) In seinem ersten Brief an J. vom Januar 1785 schildert Hamann nun auch seine persönliche Lebenssituation und seine Arbeit als Packhofverwalter in Königsberg. Durch Vermittlung von Johann Caspar Lavater wurde Franz Kaspar Bucholtz, Erbherr von Gut Welbergen im westfälischen Münsterland, ein Förderer Hamanns, über den er im Brief an J. im Februar 1785 begeistert schreibt, dass er einen Jüngling gefunden habe, "der sich nicht schämt, ein Christ zu seyn", und ihm "ein ungemein ansehnliches Capital anvertraut" habe (Nr. 1123). Die Zinsen aus diesem Kapital will Hamann für die Erziehung seiner Kinder verwenden. Dieser Bucholtz taucht nun in vielen Briefen immer wieder auf, aber seine Korrespondenz mit J. ist nicht überliefert (siehe neben S. 146 sein Porträt als Ölgemälde aus dem Westfälischen Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte in Münster). Wie auch schon in den früheren Briefen spielt die Spinoza-Debatte in den Briefen des Jahres 1785 eine wichtige Rolle. Hamann nahm an Entstehung, Veröffentlichung und Resonanz von J.s Werk "Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn" wesentlichen Anteil. Über Spinozas Metaphysik teilt Hamann J. seine Herzensmeinung mit: "Die Wahrheit zu sagen seh ich den Philosophen mit Mitleiden an, der erst von mir einen Beweis fordert, dass er einen Körper hat und dass es eine materielle Welt giebt - Ueber der gleichen Wahrheiten und Beweise seine Zeit und Scharfsinn verlieren, ist eben so traurig als lächerlich. Eine Welt ohne Gott ist ein Mensch ohne Kopf - ohne Herz, ohne Eingeweide - ohne pudenda." (Nr. 1115) Individuelle "Beweise göttlicher Güte und Herunterlaßung zu unsern Bedürfnißen sind feurige Kohlen und dringen tiefer in die Seele als das faule Holtz scholastischer Begriffe von Substanz, attributen, moden und Ens absolute infinitum. Wer keine Erfahrung hat oder braucht, kann sich immer mit diesen Schellen reiner Vernunft die Zeit vertreiben." (Nr. 1123) J. und Hamann grenzen sich gemeinsam gegen die Berliner Aufklärung um Christoph Friedrich Nicolai ab. In seinem Ringen um eine Überwindung des Spinozistischen Systems wandte sich J. an Lessing, Frans Hemsterhuis und schließlich an Mendelssohn, doch entweder blieb die Antwort aus oder sie war nicht zur Überwindung des Systems von Spinoza im Sinne J.s geeignet. So tritt er nun selbst mit einem Entwurf über Spinozas System an die Öffentlichkeit. Neben Hamann nehmen auch Herder und Goethe lebhaft an der Spinoza-Debatte Anteil. An J. schreibt Goethe, dass ihm Spinozismus und Atheismus zweierlei seien. "Eben so wenig kann ich billigen wie du am Schluße mit dem Worte Glauben umgehst, Dir kann ich diese Manier noch nicht passiren lassen, sie gehört nur für Glaubenssophisten, denen es höchst angelegen seyn muß alle Gewißheit des Wissens zu verdunckeln, und mit den Wolcken ihres schwanckenden lufftigen Reichs zu überziehen, da sie die Grundfesten der Wahrheit doch nicht erschüttern können." (Nr. 1253) In dem Theologen Johann Friedrich Kleuker (1749-1827) findet J. für das Verhältnis von Glaube und Vernunft einen ihm besonders nahe stehenden Gesprächspartner, der ihm bestätigt, dass der Glaube "wie ein Anker in das Unsichtbare und Ewige reicht, ein Gebiet Menschlicher Bedürfniße, die die Vernunft, als solche, nie befriedigen; und ein Feld, das sie nicht urbar machen kann." (Nr. 1209) Neben Kleuker ist es auch der junge Theologe Thomas Wizenmann (s. Kommentarband Reihe II, Bd. 3), mit dem er sich über die Lehre des Spinoza fruchtbar austauschen kann. An die Fürstin Gallitzin, an die weiterhin viele Freundschaftsbriefe gehen (die Briefe von ihr sind leider mit einer Ausnahme nicht überliefert), schreibt J., dass er sich so an seinen Umgang mit ihm gewöhnt habe, dass es ihm schwer werde, ihn wieder zu entbehren (Nr. 1184). In einem Brief J.s an Herder lässt er seinem kritischen Urteil über Kant freien Lauf: "Aber was ist von einem Träumer zu erwarten, der das ganze Universum für einen Grillenfang ansieht, und von lauter Geschäftigkeiten faselt ... Alles ohne Kopf und Schwanz, das Wirkliche und Wesen bloßes Ideal - von einem Schein; der lehre Schein die Sache; und das Fundament der Kräfte ohne Boden. - Man muss ihn in die Pfanne hauen! Oder besser, durch das Gespenst mit dem ganzen Leibe gehen." (Nr. 1143)

Die Lektüre dieser Briefe eröffnet viele Blicke in den persönlichen Verkehr und die Lebenssituationen der bekannten und weniger bekannten Gestalten der deutschen Geistesgeschichte im späten 18. Jh.

Die fortschreitende Edition der Briefe von und an J. führte auch zur Entdeckung bisher unbekannter Briefe, die diesem Band in einem Nachtrag zu den Jahren 1764-1784 beigegeben sind. Die vier Abbildungen zeigen eine eigenhändige Adressenangabe J.s mit Siegel eines Briefes an Hamann, das bekannte Bild Hamanns mit Kopftuch (Vorlage einer Radierung aus dem Jahre 1775), das Porträt des Franz Kaspar Bucholtz und eine Abbildung der Büste von Moses Mendelssohn aus dem Jahre 1785, die heute in der Bibliothek der Jüdischen Gemeinde in Berlin steht.