Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1318–1320

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hwang, Chihon Josef

Titel/Untertitel:

Katholisch-theologisches Schrifttum im Spiegel der Kritik der Theologischen Literaturzeitung in der Zeit der Redaktion Adolf Harnacks (1881-1910).

Verlag:

Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2002. 374 S. 8 = Europäische Hochschulschriften. Reihe XXIII, 753. Kart. Euro 50,10. ISBN 3-631-50410-1.

Rezensent:

Friedemann Steck

Die von der Katholisch-Theologischen Fakultät in München 2002 angenommene, von Manfred Weitlauff betreute Dissertation des südkoreanischen Vf.s ist eine rezeptionsgeschichtliche Spezialstudie. Sie bietet eine minutiöse Durchsicht nahezu aller Rezensionen deutschsprachiger katholischer Literatur, die in den Jahren 1881-1910 in der ThLZ, dem damals renommiertesten protestantischen Rezensionsorgan, erschienen sind, und dient dem Interesse, diese überaus kritische, intensive Rezensionstätigkeit als (Fremd-)Diagnose des akademischen Katholizismus in den Folgejahren des I. Vatikanischen Konzils während der Modernismuskrise zu würdigen. Der methodische Ansatz ist nicht neu. Die Studie schließt sich eng an den Aufsatz von Hermann Josef Sieben aus dem Jahr 1985 "Die Katholische Dogmengeschichtsschreibung im Urteil der ThLZ (1876-1930)" an, in der das Rezensionsorgan als Quelle katholischer Theologiegeschichte entdeckt wurde. Allerdings ist der Vf. anders als Sieben nunmehr an einem fächerübergreifenden Gesamtspektrum interessiert. Die thematische Spezialisierung auf die Jahrgänge 1881-1910 ergibt sich dabei für den Vf. durch den Hinweis auf die 30-jährige Herausgeberschaft und redaktionelle Leitung Adolf von Harnacks, dessen Interesse an einer kooperativen theologischen Forschung jenseits der konfessionellen Unterschiede - dem Vf. zufolge - in dieser Episode der ThLZ stilprägend war und die vergleichsweise große Berücksichtigung katholischer Neuerscheinungen ermöglichte.

Die Studie gliedert sich in drei Teile. In einem ersten kürzerem Teil "Harnack und die Theologische Literaturzeitung" (17-46) zeichnet der Vf. zunächst die Gründungshistorie der ThLZ in den 1870er Jahren überblickshaft nach und gibt anschließend eine biogrammartige Übersicht über die wichtigsten Rezensenten in der Zeit von Harnacks Redaktionsleitung. Das vorrangige Interesse des Vf.s ist es zu zeigen, dass das neue, ambitionierte Zeitungsprojekt innerhalb des Kreises von Leipziger Ritschlianern unter der Ägide E. Schürers entstand und dennoch nicht zu einem theologischen Parteiorgan wurde. Das redaktionelle Konzept ging auf, so der Vf., die positionelle Pluralität, die sich in der Theologie gegen Ende des 19. Jh.s explosionsartig gesteigert hatte, auf der Ebene eines Rezensionsorgans abzubilden. So war der Mitarbeiterkreis durchaus inhomogen, freilich mit nur einer Ausnahme eines Katholiken durchweg protestantisch. Auffälligerweise skizziert hier der Vf. das Zeitschriftenkonzept nur allgemein mit dem Hinweis auf den theologischen Übervater Ritschl, der gleichsam als Konsens der Gründerakteure erscheint, ohne aber, wie es die Überschrift vermuten lässt, nun auch speziell auf die Profilierung der Zeitschrift durch Harnack einzugehen.

In einem zweiten ebenfalls kürzeren Teil "Katholische Kirche und Theologie vom zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts" (47-90) gibt der Vf. eine prägnante Verlaufsskizze, die die Modernisierungsdebatten im deutschen Katholizismus über etwa 40 Jahre hinweg seit den 1860er Jahren als ungemein dramatischen Prozess nachzeichnet, der auf die als desaströs beschriebene Pascendi-Enzyklika von 1907 zuläuft. Die deutsche Universitätstheologie galt, so der Vf., nicht weniger als die englische und französische als Adressat der antimodernistischen Kurienpolitik; sie war jahrzehntelang wie gelähmt durch die restringierenden kirchlichen Maßnahmen und drohte, ultramontan geprägt, in ihrem deutschen akademischen Umfeld sich selbst zu marginalisieren. Als Inferioritätsdebatte beschreibt der Vf. das damalige Selbsteingeständnis kultureller Marginalität. Die sich überraschenderweise ab 1895 abzeichnende Blütezeit der katholischen Kirchengeschichte, schwerpunktartig auf den Gebieten der Bibelexegese und der Patristik, die sich vor allem in zahlreichen Spezialstudien und Editionsprojekten niederschlug, kann, wie der Vf. andeutet, zumindest tendenziell auch als Flucht in die enttheologisierte, positive Historie relativiert werden.

Der dritte, umfangreichste Teil "Die Katholische Theologie im Urteil der Theologischen Literaturzeitung (1881-1910)" (91- 359) bietet die materialreiche Gesamtübersicht über ca. 270 Rezensionen in der Form eines Literaturberichts. Sie ist nach dem theologischen Fächerraster in sieben Abschnitte gegliedert (Apologetische Studien, Katholische Dogmatik, Dogmengeschichtliche Forschungen, Patrologie und altchristliche Literatur, Kirchengeschichte, Christliche Archäologie sowie Kultur- und Kunstgeschichte, Biblisches Schrifttum). Jeder Abschnitt enthält zuerst eine Kurzbibliographie der thematisch einschlägigen Rezensionen und dann detaillierte, zitatenreiche Textanalysen, in denen erklärtermaßen lediglich auf die Rezensionen Bezug genommen und nicht abgleichend noch die rezensierte Literatur herangezogen wird. Als interpretatorischer Leitgesichtspunkt wird dabei an die einzelnen Rezensionen die Frage nach der ganz formalen, kritisch-konstruktiven Vorgehensweise der Rezensenten und nach allgemeineren, durchgängig zu beobachtenden inhaltlichen Kritikpunkten herangetragen.

Erwartungsgemäß, so der Vf., verweisen die Rezensenten der protestantischen Zeitung bei argumentativen Insuffizienzen konsequent auf die römisch-katholische Positionalität des Autors, die als externe Beeinflussung der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse kritisiert wird, und machen das berechtigte Interesse an einer von kirchlicher Reglementierung freien akademischen Forschung geltend. So ergibt sich für den Vf., dass das protestantische Rezensionsorgan wie ein Spiegel die aporetische Situation des akademischen Katholizismus in der Episode der Modernisierungskrise schonungslos offen legte. Wie das Schlußwort zeigt, ist die Studie nicht zuletzt durch ein aktualisierendes, emanzipatorisches Interesse motiviert. Der Vf. verweist auf Reglementierungen der römischen Glaubenskongregation jüngeren Datums und kritisiert nachdrücklich die Eingriffe in die freie Forschung zugleich als Störung der akademischen Ökumene.

Das gut lesbar geschriebene Buch ist ein wichtiger historischer Beitrag zur Erforschung des Katholizismus im Kaiserreich, insofern die Analyse damaliger Debattenlagen unter extensiver Zuhilfenahme eines Rezensionsorgans bislang vergleichsweise wenig erprobt ist; allerdings kann das am theologischen Fächerkanon orientierte Darstellungsschema den damaligen Debatten nicht ganz gerecht werden. Adolf von Harnack ist als liberaler Impulsgeber in den Anfängen der akademischen Ökumene, wie der Vf. richtig gesehen hat, nicht zu überschätzen.