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Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1309 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Andreae, Johann Valentin

Titel/Untertitel:

Theca Gladii Spiritus.

Verlag:

Bearb., übers. u. kommentiert v. F. Böhling. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2003. 316 S. kl.8 = Johann Valentin Andreae Gesammelte Schriften, 5. Lw. Euro 92,00. ISBN 3-7728-1431-X.

Rezensent:

Gottfried Seebass

Das 17. Jh. ist nach wie vor im Vergleich mit dem Jahrhundert von Reformation und Konfessionalisierung ein Stiefkind der Editoren. Selbst von kulturgeschichtlich weitwirkenden Schriften wie denen Johann Arndts gibt es keine kritische Edition. Zu den Vernachlässigten zählt auch Johann Valentin Andreae, für Deutschland eine der erregend großen Gestalten des Jahrhunderts. Eine gute Bibliographie liegt vor, aber die vor 30 Jahren im Calwer Verlag von Richard von Dülmen begonnene Ausgabe seiner Werke wurde nicht fortgeführt. Es ist daher verdienstvoll, dass Schmidt-Biggemann 1994 in Zusammenarbeit mit einschlägig ausgewiesenen Gelehrten eine Ausgabe der Gesammelten Schriften begann, für deren 20 Bände ein genauer Plan vorliegt. Vor zehn Jahren erschienen Band 2 und 7. Jetzt legt Frank Böhling mit dem 5. den dritten Band vor. Er enthält die 1616 zusammen mit den Axiomata philosophica-theologica von Christoph Besold (zu dem A. ein besonders vertrautes Verhältnis hatte) veröffentlichte Theca Gladii Spiritus - eine Sammlung von Sentenzen und Aphorismen, die nach der anonymen Vorrede aus dem literarischen Nachlass des juristisch promovierten Paracelsisten Tobias Heß stammen und ihm ein Denkmal setzen sollte. Heß, mit dem A. und andere zeitweilig in einem intimum amoris foedus lebten, hat auf A. in seinen frühen Jahren großen Einfluss gehabt. Doch stammten die Sentenzen - A. sagte später: Hesso imputata, plane mea - nicht von ihm, sondern von A. selbst und sie lassen sich teilweise in Schriften von ihm nachweisen, die in die an Veröffentlichungen A.s so reichen Jahre 1614-1620 gehören.

Im Untertitel werden die Sentenzen als vere philosophicae bezeichnet, was bei A. ganz selbstverständlich das gelebte Nachfolgechristentum mit all seinen Schwierigkeiten und Anfechtungen bezeichnet. Immer wieder geht es um die Gefährdungen des Christen in der Welt, um die innige Verbindung mit Gott und Christus, um Kontemplation und gestalterische Nachfolge, übrigens auch in kritischer Wendung gegen Alchemie, Astrologie und Chiliasmus. Zwar gibt es gelegentlich zusammengehörende und kleinere Gruppen von Sentenzen, doch besitzt die Sammlung - sicher absichtlich - keinerlei erkennbare Gliederung und keinerlei Kommentar.

Editorisch scheint mir der Band der geradezu bibliophil gestalteten Ausgabe nicht besonders gelungen. Die Einleitung ist mehr als knapp, hält es z. B. nicht einmal für nötig, den Leser über die Besoldsche Schrift, mit der zusammen die Theca erschien, aufzuklären. Ärgerlich ist der textkritische Apparat, der zwar mit Recht einige notwendige Konjekturen, dann aber nicht nur jeden Druckfehler der einzigen erschienenen Auflage gesondert vermerkt, sondern ebenso, wenn sich beim Seitenumbruch Silbenwiederholungen finden (falls es sich nicht überhaupt um Kustoden handeln sollte). Die deutsche Übersetzung versucht - vielfach durchaus gelungen -, den Stil der Sentenz beizubehalten. Freilich wird dabei nicht selten freier gestaltet als wirklich übersetzt. Jedenfalls sollte sich niemand der deutschen Übersetzung anvertrauen. Denn man darf doch bezweifeln, dass "Non in meditatione sermonis & structura verborum ... confessio nostra posita est" mit "Unser Bekenntnis soll sich nicht in einer kunstgerecht abgefaßten Predigt ... ausdrücken" zutreffend wiedergegeben ist. Und das ist nur ein Beispiel unter vielen. Problematisch ist eine solche Übersetzung besonders in einer Zeit, in der die Zahl derjenigen, die sich mangels Sprachkenntnissen auf die Übersetzung stützen müssen, ständig zunimmt. Der im Anhang nach den Nummern der Sentenzen gegebene Kommentar ist ebenfalls knapp und beschränkt sich vielfach auf den zweifellos zeitintensiven Nachweis der Sentenzen in anderen Werken A.s. Aber auch hier stellt sich die Frage, ob diese Art Kurzkommentar in einer Zeit, der die Kenntnis biblischer, ganz zu schweigen allgemein christlicher Tradition zunehmend fremder wird, ausreichend ist. Jedenfalls schiene es mir angebracht, sich für kommende Bände solcher monita und desiderata zu erinnern.

Im Übrigen aber ist man erfreut, mit der Theca nun eines jener Werke A.s vorliegen zu haben, das in der Andreae-Forschung - abgesehen von den Beiträgen Martin Brechts - viel zu wenig beachtet wurde, obwohl es - gewollt unsystematisch - die Gedankenwelt dieses großen Reformwilligen am Beginn des 17. Jh.s in durchsichtiger Klarheit bietet. Der gesamten Ausgabe wünscht man einen schnellen und verbesserten Fortgang.