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Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1299–1301

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Davis, Stephan K.

Titel/Untertitel:

The Antithesis of the Ages. Paul's Reconfiguration of Torah.

Verlag:

Washington: The Catholic Biblical Association of America 2002. X, 259 S. gr.8 = The Catholic Biblical Quarterly Monograph Series, 33. Kart. US$ 11,00. ISBN 0-915170-32-9.

Rezensent:

Matthias Konradt

Davis' Monographie zum paulinischen Gesetzesverständnis basiert auf seiner von Carol Stockhausen an der Marquette University betreuten Dissertation. D. verweist eingangs auf die grundlegende Problematik, dass jede Theorie über das Verständnis der Tora bei Paulus drei unterschiedliche Aussagereihen integrieren können muss, nämlich zum einen negative Aussagen wie Gal 3,25; 2Kor 3,6; Röm 5,20; 10,4, zum anderen aber auch positive Äußerungen wie Röm 3,31; 7,12.14 oder 1Kor 7,17-20 sowie schließlich Phrasen wie "Gesetz Christi" (Gal 6,2, vgl. 1Kor 9,21). D. sieht die Lösung darin, dass Paulus sich nicht gegen die Tora an sich wende, sondern gegen ein bestimmtes frühjüdisches Verständnis, in dem die Tora - vor allem durch die Rezeption weisheitlichen Gedankengutes - zu einer kosmischen und eschatologischen Größe aufgeladen wurde (4 f. 74). Die paulinische Polarität von Tora und Christus sei grundlegend durch die Antithese von Geschichte und Eschatologie konfiguriert. Im frühjüdischen Gesetzesverständnis der Tora beigelegte Attribute seien bei Paulus auf Christus übertragen: "Christ not Torah was Wisdom, the agent of creation, the sole intermediary between heaven and earth, the way of ascension, the eschatological revelation communicated directly through the Spirit, the conqueror of the oppressive powers of this age (Sin and Death), the unifier of Jew and gentile, the eschatological judge, and the Lord of the invisible realms" (216). Die Sinaitora hingegen werde konsequent als eine zu "dieser Welt" gehörende Größe redimensioniert.

Die Ausarbeitung dieser These - zwischen Einleitung (Kap. 1, 1-38) und knapper Zusammenfassung (Kap. 7, 215-218) - vollzieht sich in zwei Hauptteilen: Kap. 2 und 3 sind dem frühjüdischen Kontext des paulinischen Gesetzesverständnisses gewidmet; Kap. 4-7 bieten Exegesen ausgewählter paulinischer Textzusammenhänge. D. entfaltet zunächst das frühjüdische Toraverständnis, von dem Paulus sich abgrenze (Kap. 2: "A Narrative of Wisdom and Torah", 39-74), wobei der in Sir 24 vollzogenen Verbindung von Weisheit und Tora zentrale Bedeutung beigemessen wird (55-66). In Kap. 3 ("Torahs Eternal and Eschatological, Heavenly and Hidden", 75-116) geht D. sodann im Gegenzug innerjüdisch alternativen Ansätzen nach, in denen die Tora nicht konkurrenzlos als "the sole repository of divine wisdom" (116) erscheine, sondern durch andere Quellen der Weisheitsoffenbarung überboten werde. So postuliert D. die Tempelrolle von Qumran und den äthHen als Analogien zur paulinischen Relativierung der Tora (116). D. geht hier leider nur unzureichend Datierungsfragen nach, so dass man fragen kann, inwiefern seine Analogisierung mit Anachronismen operiert. Das durch die Verschmelzung von Weisheit und Tora charakterisierte Toraverständnis, das D. als Voraussetzung der paulinischen Auseinandersetzung postuliert, ist jedenfalls als Kontext der Tempelrolle und der frühen Partien des äthHen nicht ohne weiteres vorauszusetzen. Paulus' Gesetzesverständnis auf diese Weise positiv in die frühjüdische Pluralität einbinden zu wollen, erscheint insofern als fragwürdig.

Die Analysen exemplarischer paulinischer Texte setzen mit Röm 9,30-10,13 ein (Kap. 4, 117-151). Anspielungen auf die Weisheit/Tora-Tradition findet D. hier in Röm 9,33, der "as the countertext to the shame clause of Sir 24:22" verstanden werden könne (139), und in 10,6-8, wo die Phrase eis ten abysson (diff. Dtn 30,13) auf der Grundlage von Sir 24,29; Hiob 28,14 als "clearly in the orbit of Wisdom/Torah" (149) verortet wird. Diese beiden "countertextual complexes" bildeten den Verstehenskontext für Paulus' "explicit reconfiguration of Torah in Rom 10:4" (151). Beide postulierten Anspielungen erscheinen freilich als gesucht (für Röm 10,7 liegt Einfluss von Ps 106, 26 LXX immer noch näher), und zu Röm 10,4 bleibt D. eine eingehendere Exegese schuldig. Ja mehr noch: D. belegt nicht seine oben skizzierte Leitthese durch die Auslegung von Röm 10,4 im Kontext von 9,30 ff., sondern diese bestimmt umgekehrt vorgängig das Verständnis des Satzes in dem Sinne, dass Christus das Ende der "eternal Torah" sei (118 f.), obwohl D. selbst konzediert: "telos as goal is preferable for philological reasons, and contextually it matches the race metaphor from Rom 9:30-33" (118).

Die Auslegung von Röm 9,30-10,4 wird dann ergänzt durch die Exegese von Gal 3-4 (Kap. 5, 152-181: Der frühjüdischen Tradition vom Toragehorsam Abrahams vor der Offenbarung der Tora am Sinai setzt Paulus in 3,8 die Vorausverkündigung des Evangeliums entgegen [153 f. u. ö.], während der Tora bloß eine zeitlich befristete Rolle zugeschrieben wird [158]) sowie von 2Kor 3 (Kap. 6, 182-214: "... in 2 Corinthians 3 Paul argues ... that the Sinai Torah, symbolized by the figures gramma and plakes lithinai, was characteristic of this doomed age, whereas direct revelation via the Spirit characterized the new age ... If Paul is thereby attacking Torah, it is only Torah understood as an eternal, suprahistorical entity " [185 f.]). Das ist insgesamt eine sehr begrenzte Auswahl von Texten, die für eine Untersuchung des paulinischen Gesetzesverständnisses relevant sind. Wie z. B. ist eine Aussage wie Röm 2,12, wonach die, die unter dem Gesetz sündigen, durch das Gesetz gerichtet werden, in D.s Ansatz integrierbar? Ferner kommt insbesondere der Konnex des Gesetzesverständnisses des Paulus mit seiner Hamartiologie zu kurz. Und nicht zuletzt bleibt offen, inwiefern D.s Ansatz tatsächlich eine Integration der von ihm zu Beginn seiner Monographie angesprochenen positiven Aussagen über die Tora bei Paulus leisten kann, wenn als Grundsatz gelten soll: "For Paul, Torah was God's time bound revelation, a gift for the Jews alone, in this fading age" (215)?