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Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1298 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Cuvillier, Elian

Titel/Untertitel:

L'Évangile de Marc.

Verlag:

Genève: Labor et Fides; Paris: Bayard 2002. 324 S. 8 = Bible en face. Kart. Euro 23,00. ISBN 2-8309-1009-5 (Labor et Fides); 2-227-47079-8 (Bayard).

Rezensent:

Wolfgang Weiß

Die Reihe "Bible en face" möchte ein breiteres frankophones Publikum ansprechen. Der vorliegende Kommentar zum Markusevangelium erfüllt diese Zielsetzung in hervorragender Weise. Einer eingängigen Übersetzung folgt eine auf hohem Niveau begründete Vers-für-Vers-Exegese, die sich durch eine ausgewogene Darstellung und klare Sprache auszeichnet. In allen Teilen werden die Argumente und Folgerungen einem allgemeinen Publikum verständlich, bieten aber zugleich Anregungen für die kundigen Leser und Leserinnen. Ein überarbeitetes Glossar ist dem Werk am Ende angefügt (317-321).

C. selbst, aber auch der Leserkreis, mag bedauern, dass der Rekurs auf die Sekundärliteratur durch die Editionsauflage streng auf französischsprachige Werke beschränkt ist (19). Freilich weiß C. aus einer solchen formalen Beschränkung auch den dankenswerten Vorteil zu ziehen, in groben Zügen die (jüngst) im französischen Sprachraum erschienene - im weitesten Sinne - Kommentarliteratur (samt Neuauflagen) zum Markusevangelium einzuordnen (20). Ohne Zweifel gibt seine eigene Auslegung den internationalen Diskussionsstand wieder und transponiert dessen Ergebnisse im Rahmen des eigenen Auslegungsmodells.

Die Kommentierung wird von einer synchronen Erzählanalyse unter dem spezifischen Aspekt einer re-lecture des Evangeliums geleitet. C. möchte den Text selbst zur Sprache kommen lassen auf dem Hintergrund der exegetischen Ergebnisse. In dieser Weise erfüllt er den ansprechenden Ansatz: "N'ayant pas l'ambition de renouveler l'analyse historique ou littéraire du second évangile, notre commentaire recueillera librement la quintessence de cette longue tradition de lecture du second évangile". Trotz des weitestgehenden Verzichts auf die diachronen Fragen bereitet C. den historischen Horizont und die jeweiligen Denkvoraussetzungen des Evangeliums und seines Autors in einem runden Entwurf der erzählten Welt auf.

C. versteht das Markus-"Evangelium" als konsequente Narration des theologischen Evangeliumsbegriffes (7-10.21 f.). Er folgt einer streng geographischen Gliederung und sieht das Evangelium in fünf Teilen strukturiert (10-12): Prolog (1,1- 13), Wirken in Galiläa (1,14-7,23), Reisewege in der Fremde (7,24-9,29) sowie von Galiläa nach Jerusalem (9,30-10,52) und der Aufenthalt in Jerusalem (11,1-16,8). Der Formalisierung des geographischen Prinzips, die bis in die Untergruppierungen hinein durchgeführt wird, begegnet im eigentlichen Kommentarwerk eine überblickende Analyse der narrativen Einzelstruktur, die der theologischen und christologischen Aussage des jeweiligen Textabschnittes Rechnung trägt. Die äußeren Abfassungsbedingungen werden überzeugend auf nach 70 n. Chr. (von Mk 13,14 her) mit einem Plädoyer für den syrischen Raum bestimmt. Abweichende Meinungen werden angemessen referiert und souverän widerlegt.

Die Kommentierung leitet den Leser durch den Text des Evangeliums, als folge er den Spuren der Ersthörer bzw. -leser. C. gelingt es, das Modell der re-lecture transparent in die exegetisch anspruchsvolle Kommentierung zu integrieren. Die jeweils leitenden Gedankengänge, Begriffe (samt griechischer Transkription) und Symbole werden der Exegese vorangestellt, so dass dem Leserkreis sowohl die Erzählführung als auch die Prüfung der Argumente ermöglicht wird. Im Markus-Schluss (16,1-8) sieht C. dementsprechend die zeitgeschichtlichen wie die heutigen Leser zurückgeleitet (vgl. 16,7) und zu erneuter Lektüre aufgefordert hin zu einer Neuinterpretation im Lichte der Passionsereignisse (312 f.). Der längere Schluss (16,9-20) erscheint in diesem Modellgeflecht als "première relecture" (316).

Im positiven Sinn entspricht der Kommentar nicht nur den theologischen Ansprüchen, sondern auch den spirituellen Bedürfnissen der anvisierten Leserschaft. Zahlreiche Exkurse und Zusammenfassungen zur Textauslegung limitieren allzu offene Interpretationen auf der Leser-Seite in knapper Form und theologisch deutlicher Akzentsetzung. Es ist zu bedauern, dass diese exemplarischen, theologisch kompendienartigen Ausführungen keine Auflistung im Inhaltsverzeichnis gefunden haben.

Für interessierte Laien und mit Theologie beschäftigte Rezipienten ist der Kommentar eine Anregung zu einer Entdeckungsreise in die theologische Vernetzung des Markusevangeliums in dessen Zeit und Welt.