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Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1296–1298

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Torijano, Pablo A.

Titel/Untertitel:

B>Solomon the Esoteric King. From King to Magus, Development of a Tradition.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 2002. XVI, 333 S. gr.8 = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 73. Lw. Euro 104,00. ISBN 90-04-11941-8.

Rezensent:

Michael Tilly

Wo in antiken jüdischen und christlichen Schriften auf biblische Charaktere Bezug genommen wird, ist zu beobachten, dass sie sowohl der Begründung und der Legitimation aktueller Überzeugungen und Entscheidungen dienen als auch ihrerseits in den Kategorien und gemäß den Bedürfnissen der späteren Zeit gezeichnet werden. Als ein deutliches Beispiel für eine solche zweifache Verständnistradition kann die biblische Gestalt Salomos dienen. Ziel der im Jahre 1999 als judaistische Dissertationsschrift an der New York University vorgelegten Arbeit ist ein umfassender Beitrag zum Verständnis der verschiedenen Interpretationen und Darstellungen Salomos im antiken Judentum anhand aller wichtigen literarischen und nichtliterarischen Quellen.

In Kap. 1 (1-7) begründet T. zunächst die Auswahl der untersuchten Quellentexte und den Aufbau seiner Untersuchung (5f.). Die in den antiken Quellen deutlich zu erkennende Abfolge von 1. Deutungen der Gegenwart ihrer Verfasser anhand der durch Salomo verkörperten idealisierten biblischen Vergangenheit und 2. Deutungen Salomos anhand spätantiker kultureller und religiöser Strömungen - bzw. deren Einflüsse auf das Judentum - bestimmt die Anordnung des Materials (7).

Kap. 2 (8-25) thematisiert Salomo als Protagonist des erzählten Geschehens und als Objekt der Pseudepigraphie innerhalb der biblischen Überlieferung. Am Ende des Entstehungsprozesses des deuteronomistischen Geschichtswerkes sei Salomo zwar "an idealized royal figure following the royal ideology of the ancient Near East, but enriching this image at the same time with the notion of his encyclopedic wisdom" (15), aber seine Darstellung sei zugleich der geschichtstheologisch motivierten Kritik am Königtum unterworfen. In den Chronikbüchern werde hingegen vor allem die positive Seite seines Königtums herausgestellt: "S. is the builder of the Temple and information concerning his power and wealth is included, without the negative considerations attached by the Deuteronomic redaction in Kings" (17). In den Psalmen 72 und 127 sei Salomo als "model for the ideal king of the future" (19) gezeichnet; auch in Prov, Koh und Cant dominiere die Bezugnahme auf die Königsherrschaft Salomos (23).

Kap. 3 (26-40) behandelt Salomo als weisen hellenistischen König in jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit. Grundlegend sei hier die Modifikation seiner Gestalt in der Septuaginta (33). In ähnlicher Weise zeichne ihn Flavius Josephus als bedeutenden und mächtigen "Hellenistic ruler tailored to Hellenistic ideas about Kingship" (40). Hingegen verknüpften Ben Sira und Eupolemos den Tempelbau nicht mit Salomo, sondern bereits mit David (40).

Thema von Kap. 4 (41-87) ist die Zeichnung Salomos als Exorzist. Als deutlicher Beleg für die Übertragung dieser Vorstellung auf Salomo bereits im 1. Jh. v. Chr. könne 4Q510-511 gelten (53). Sie beruhe auf der "transformation of the Hellenistic royal ideology, with its interest in the extraordinary abilities and power of the king, regarded as an individual and with a close relationship to the divine" (86).

In Kap. 5 (88-105) kommt der Einfluss "volkstümlicher" Hermetik in Weish und bei Flavius Josephus zur Sprache: "both texts as well as their biblical source were understood and interpreted in a Hermetic manner, which supposes that from the very beginning these passages were related to Hermetic doctrines" (105).

Kap. 6 (106-128) widmet sich der Titulatur Salomos als "Sohnes Davids". Der Titel unterstreiche in den jüdischen Quellen (insbesondere PsSal; LibAnt) zunächst die besondere königliche Macht bzw. dynastische Legitimation, sei jedoch auch zur Bezeichnung des messianischen Salomo redivivus benutzt worden (109). In frühchristlichen Texten (Mt 12,42; 6,29; vgl. Lk 12,27), aber auch auf christlichen Amuletten, Zauberpapyri und -schalen wurde er auf Jesus aus Nazareth übertragen, um dessen vollmächtiges Wirken als exorzistischer Heiler zu kennzeichnen (117).

In Kap. 7 (129-141) untersucht T. das Bild von Salomo, der zu Pferde einen weiblichen Dämon besiegt, auf antiken Amuletten, als deren apotropäische Funktion er den Schutz von Frauen und Kindern vor Schadensgeistern benennt. Er gelangt dabei zu dem Schluss, dass die Verknüpfung der Gestalt Salomos und magischer Praktiken spätestens im 3. Jh. n. Chr. weit verbreitet gewesen sei.

Kap. 8 (142-191) thematisiert Salomo als weisen Sterndeuter. T. setzt sich hier besonders ausführlich mit der verwickelten Textüberlieferung der Hygromanteia Salomonis und des Selendromions Davids und Salomos auseinander. In den beiden kaum bekannten astrologisch-magischen Texten sei ein Fülle von altem Material bezüglich Salomo erhalten. Während die Hygromanteia "a developed form of the astrological material and of the astrological characterization of the king" zeige (174) und somit die frühe Verbindung von Salomo und astrologischen Traditionen beweise (178), sei das (der astrologischen Gattung "Lunarium" zuzuordnende) Selendromion ein "clear example of the Judaizing of a genre that at the beginning was alien to the Jewish spirit" (189).

In Kap. 9 (192-224) wird die Darstellung Salomos als Magier behandelt. Diese wahrscheinlich bereits im 3. Jh. n. Chr. verbreitete Sichtweise (223) beruhe nicht auf der biblischen Überlieferung, sondern sei "a Jewish tradition that took the Bible as basis, making use of several astrological traditions that were quite common in the Graeco-Roman world of Late Antiquity" (192). Spätantike Traditionen im Sefer ha-Razim bezeichneten Salomo explizit als Magier und Meister des geheimen Wissens (209). Zu betonen sei in diesem Kontext, dass der Sefer ha-Razim die Entwicklung dieses Salomobildes in einer religiösen Subkultur außerhalb des hellenistisch geprägten griechischsprachigen Judentums beweist (208).

Kap. 10 (225-230) bietet eine geraffte Zusammenfassung der bisher gewonnenen Ergebnisse. T. merkt abschließend an, dass der Traditionskomplex auch in der rabbinischen Literatur begegne. Die Gelehrten "interpreted and transformed S.s practical wisdom into knowledge of the Torah, thus describing him as a paradigm of a rabbinic sage" (229). - In den drei ausführlichen Anhängen bietet T. eine Übersetzung der Hygromanteia Salomonis (231-253), eine Synopse der wichtigsten griechischen Zeugen dieses Textes (254-309) sowie den griechischen Text und die Übersetzung des Selendromions Davids und Salomos (310-315). Beigegeben ist ein Literaturverzeichnis und ein Verzeichnis der modernen Autoren. Ein Stellenregister und ein Verzeichnis der Sachen, Namen und Orte fehlen.

Die Monographie stellt eine beachtenswerte Forschungsleistung dar. Hervorzuheben sind die souveräne Beherrschung des methodischen Instrumentariums und beeindruckende Quellenkenntnis. Die knappe Behandlung der Einleitungsfragen zu den jeweiligen Quellen am Anfang jedes Kapitels entspricht der aktuellen Forschungslage; auch spanische, französische und deutsche Arbeiten wurden dabei zur Kenntnis genommen. Die in den Anhängen gebotenen Texte und Übersetzungen, die hier erstmals einem breiteren Leserkreis zugänglich gemacht werden, zeugen von editorischer Sorgfalt und philologischer Kompetenz.

Kritische Anmerkungen betreffen im Wesentlichen einzelne Punkte: So stellt sich mir die Frage, ob die Vorstellung vom theios aner im untersuchten Traditionsbereich wirklich schon um die Zeitenwende verbreitet war (86). Die Zitation von Rabbinica sollte immer vollständig und immer aus erster Hand erfolgen (172, Anm. 80). Ein generelles Problem sehe ich in der Annahme einer mehr oder weniger linearen Abfolge der Salomobilder in den verschiedenen Quellen. Es wäre zu prüfen, ob hier nicht der je und je verschiedene Sitz im Leben bzw. der unterschiedliche Kontext und die differierende Verfasserabsicht gewichtiger zu veranschlagen sind.

Insgesamt hat T. einen überzeugenden Beitrag zur Erhellung der Verständnistradition der biblischen Überlieferung im antiken Judentum und im Christentum vorgelegt.