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Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1284–1286

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Day, John

Titel/Untertitel:

Yahweh and the Gods and Goddesses of Canaan.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 2000. 282 S. gr.8 = Journal for the Study of the Old Testament. Supplement Series, 265. Lw. £ 46,00. ISBN 1-85075-986-3.

Rezensent:

Christian Frevel

Der Autor ist seit 30 Jahren mit den Verbindungslinien zwischen der kanaanäischen Mythologie und dem Alten Testament befasst. Die vorliegende Monographie ruht in ihren sieben Kapiteln den Einzelstudien auf und fügt neue Studien mit Blick auf ein Gesamtbild hinzu. Das Alte Testament wird - in kritischer Betrachtung - als Quelle mit historischem Wert erachtet. Ausführliche Diskussionen eines angemessenen Textverständnisses stehen im Vordergrund des Interesses. Literar- oder redaktionskritische Diskussionen treten dabei zu Gunsten von Semantik und Motivkritik zurück. Kritische Brechung erhalten die biblischen Nachrichten durch außerbiblische Zeugnisse, vornehmlich Inschriften und zu einem geringen Teil auch archäologische Zeugnisse. Referenzgröße für die kanaanäischen Gottheiten und das, was D. unter "kanaanäische Religion" fasst, sind nahezu ausschließlich die keilalphabetischen Ugarittexte, im Einzelfall ergänzt durch mesopotamische Texte oder Zeugnisse der griechischen Geschichtsschreibung. Durchgehend geht es D. um die Frage, ob die biblischen Nachrichten sich auf kanaanäische Gottheiten beziehen und es von daher plausibel ist, dass in der vorexilischen Religion neben YHWH andere Gottheiten verehrt worden sind. In unterschiedlicher Ausführlichkeit, aber durchgehend umsichtig, differenziert und klar, behandelt D. sieben untereinander nahezu unverbundene Themenkreise, die sich um das Verhältnis YHWHs zu El, Aschera, zu Baal, zu Astarte und Anat, zu den Astralgottheiten, Sonne, Mond und Sa.har, dem "Sohn der Morgenröte" (Jes 14,12), und schließlich um das Verhältnis zu den mit der Unterwelt konnotierten Gottheiten bemühen. Dabei kristallisiert sich die kanaanäische Mythologie als Folie der Religionsgeschichte Israels heraus, obwohl in vielen Fällen kritisch mit der bisherigen Forschung umgegangen wird. Wohltuend ist die durchgängige Skepsis gegenüber zu leichtfertigen Textänderungen oder "ugaritomanen" Rezeptionen kanaanäischer Mythologie. Das Buch belehrt vielseitig und oft umfassend über alle Stellen, für die ein Bezug zur kanaanäischen Mythologie in der Forschung diskutiert worden ist.

Die beiden Kapitel zu YHWH und Baal bergen keine großen Überraschungen, YHWH wird von El geschieden, und doch zeigen viele Züge im Gottesbild die Nähe zu dem ugaritischen Pantheonvorsteher. In den Baal-Abschnitten macht er (ohne auf H. Niehr näher einzugehen) vor allem die forschungsgeschichtliche Linie der Aufwertung Baal-Schamems stark. Diesen sieht er im Hintergrund der Elijaerzählungen im 9. Jh. und in Dan 9,27; 11,31; 12,11. Wie beides in einer Linie zusammenhängt, wird dabei nicht recht deutlich. Nimmt man als Referenzgröße die religionsgeschichtliche Diskussion des letzten Jahrzehnts (die nicht durchgehend von D. präsent gehalten wird), ist das Bild der Religion Israels recht konventionell: erste Auseinandersetzung mit kanaanäischen Elementen bei Hosea, YHWH-allein-Bewegung bei Elija, die entscheidende "Kehre" in der Kultreform Joschijas 622 und die Herausbildung eines "absoluten" (sic!) Monotheismus bei Deuterojesaja, nachexilische Beruhigung mit Zügen einer "Remythologisierung". Die letztere Tendenz wird nicht systematisch entfaltet, sondern am Schluss nur angedeutet: "Even amongst monotheistic Jews, though no longer worshipped, the Canaanite deities sometimes left a kind of afterglow" (229). Zwar setzt sich D. kritisch mit der These J.Tigays auseinander, die Religion Israels sei wegen der Mehrheit YHWH-haltiger Personennamen durchgehend monolatrisch gewesen, doch verbleibt sein vorexilischer Polytheismus in bescheidenem Rahmen. Das zeigt sich vor allem bei der Behandlung der Göttinnen.

Zunächst interpretiert D. die 'srth in den Inschriften von Kuntilet Agrud und Hirbet el-Qom als Kultsymbol der Göttin Aschera, sieht aber darin die Evidenz, dass Aschera in manchen Kreisen als Partnerin YHWHs verehrt worden ist, zumal die Göttin in 1Kön 15,13; 2Kön 21,7 oder 1Kön 18,19 noch im Hintergrund stehe. Die Partnerin sei ihm von El her zugewachsen, anders als die Züge im Gottesbild aber nicht nachhaltig geblieben: "Another aspect of El religion which the Old Testament rejected was his wife" (43). Gewagter ist die Hypothese zu Astarte, die zugleich das methodische Problem der Untersuchung offenbart: "If, as has been seen, Astarte was the consort of Baal, and if [...] Yahweh and Baal were sometimes equated, then it follows that Astarte could sometimes function as Yahweh's consort. However, unlike in the case of Anat (who is attested in the form of Anat-Yahu at Elephantine), there is no explicit evidence of this" (132). Trotz der kritischen Einschätzung der Quellenlage werden die Ugarittexte und das Alte Testament oft untereinander als konvertibel angesehen, ohne dass über den raumzeitlichen Hiatus Rechenschaft abgelegt würde. Selbst wenn Astarte als "consort" Baals in Ugarit bezeugt ist, folgt daraus nicht, dass YHWH und Astarte als Paar verehrt wurden. Explizit geht D. davon aus, dass YHWH polygam war: "Asherah was not the only consort Yahweh was capable of appropriating, since his equation with Baal by some meant that he was capable of appropriating Astarte and Anat too" (146). Wie man sich das vorzustellen hat, konkretisiert D. nicht. Ihm geht es darum, den Einfluss des Kanaanäischen auf die Religion Israels wach zu halten. Andere als kanaanäische Einflüsse lehnt er tendenziell ab. So in seiner Beurteilung der Kultreform Joschijas, die sich z. B. in den Sonnenwagen nicht gegen assyrische, YHWH solarisierende Tendenzen wendet, sondern gegen die "bodenständige" kanaanäische Sonnengottheit. Große Mühe verwendet er darauf, in YHWH keine Züge einer Sonnengottheit zu sehen. Neben einer starken Skepsis gegenüber Auslegungen, die Vorkommen von sms auf YHWH (etwa Ps 84,12; Dtn 33,2; Jes 60,1 f.) beziehen und YHWH als Sonnengottheit verehrt sehen, argumentiert D. mit dem Fehlen von solar konnotierten theophoren Personennamen. Bedauerlich ist- und darin zeigt sich ein weiteres methodisches Problem des Buches -, dass er sich mit den ikonographischen Argumenten einer Solarisierung nicht auseinander setzt. Das Ignorieren der Ikonographie schlägt ebenso in seiner Einschätzung lunarer Kulte in Palästina zurück, die erwartungsgemäß auf Kanaan zurückgeführt werden: "Similarly, there is no necessity to suppose that the growth of moon worship in Judah in the seventh century BCE was due to Aramaean influence, as O. Keel has recently claimed" (164). Gelinde gesagt spiegelt sich in diesem Urteil eine massive Unterbewertung des Mondgottes von Haran zu Gunsten des kanaanäischen Mondgottes wider.

In dem Bestreben, dem Kanaanäischen als Quellgrund religiöser Traditionen größeres Gewicht beizumessen, schießt D. häufig über das Ziel hinaus. Neben kritische Rückfragen zu Einzelergebnissen treten einige Grundfragen zum Ansatz des Buches.

Zum einen ist es das recht homogene und konventionelle Bild von der Religion Israels, das D. voraussetzt. Kaum wird zwischen Nord- und Südreich differenziert, kaum zwischen lokaler, regionaler oder nationaler Religion und der privaten Frömmigkeit. Die nebeneinander stehenden Einzelkapitel werden auch am Schluss nicht zu einem Gesamtbild zusammengeführt, das über die Entwicklung der Religion Israels auf dem Weg zum Monotheismus diachron Rechenschaft geben würde. Entwicklung wird vornehmlich - und das ist das Anliegen des Buches - als "a response to Canaanite cults" (232) gedeutet. Was aber eigentlich unter "Kanaan" zu verstehen ist, wird im ganzen Buch nicht geklärt. Immer wieder wird auf den "Mythos Kanaan" Bezug genommen, ohne dass der "Mythos Kanaan" und die Diskussion darum Berücksichtigung finden würde. Mit der neueren historischen Forschung zur Entstehung Israels ist die Größe "Kanaan" als homogenes Gebilde weitgehend zerbrochen, und deshalb stellt sich um so dringlicher die Frage nach den Traditionen, die die Religionsgeschichte als "kanaanäisch" einzuordnen gewohnt war. Kanaanäisch kann nicht einfach das sein, was in Ugarit bezeugt ist, zumal da der raumzeitliche Abstand zur Vorsicht mahnt. Über die Vermittlungswege der "Kanaanismen" gibt D. durchgehend keine Rechenschaft oder pointierter: Vieles, was D. als kanaaäisch fasst, kann ebenso gut als israelitisch angesprochen werden. Eine Profilierung der YHWH-Religion gegen die Folie "Kanaan" steht jedenfalls insgesamt in Frage. Das Fehlen der ikonographischen Evidenz als adäquater außerbiblischer Quelle zur Religionsgeschichte Israels/Judas ist von den genannten Grundproblemen nicht unabhängig. In der Bildsymbolik treten jedenfalls neben "kanaanäische" auch andere Einflüsse, die die Religion Israels/Judas mit den syrisch-palästinischen Religionen ebenso wie mit den ägyptischen und assyrisch-babylonischen Symbolsystemen vernetzt sein lassen.

Das Gesamturteil über das Buch ist dennoch positiv. Nirgendwo sonst wird derzeit die Diskussion um die "Kanaanismen" so differenziert geführt und forschungsgeschichtlich so ausführlich zurückgebunden. Wer über die Götter Kanaans und ihre Spuren im Alten Testament etwas erfahren und sich in die Welt "Kanaans" einführen lassen will, dem sei das Buch wärmstens empfohlen. Er wird an D. ebenso wenig vorbeikommen wie diejenigen, die sich kritisch mit der Religionsgeschichte Israels/Judas auseinander setzen.