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Ausgabe:

November/2004

Spalte:

1245–1247

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

1) Essen, Siegfried 2) Kubitza, Ellen, u. Tim Schramm 3) Paul, Svea 4) Rosenstock, Hans-Jörg, u. Roland Rosenstock

Titel/Untertitel:

1) Systematische Weltsicht und Bibliodrama. Szenisches Spiel und die Wirkung leiblichen Verstehens.

2) Bibliodrama als lebendiger Gottesdienst. Ein Weg zum Christsein im Alltag der Welt.

3) Zwischen Angst und Vertrauen. Bibliodramatisches Arbeiten in der Grundschule.

4) Bibliodrama Bibliographie. Personen - Themen - Bibeltexte. Kommentiert u. nach Bibelstellen u. Sachthemen sortiert, m. einigen ausgewählten Rezensionen. Bis einschl. 2002.

Verlag:

1) Schenefeld: EB-Verlag 2003. 91 S. 8 = Bibliodrama Kontexte, 3. Kart. Euro 10,00. ISBN 3-930826-93-3.

2) Schenefeld: EB-Verlag 2003. 151 S. 8 = Bibliodrama Kontexte, 1. Kart. Euro 10,00. ISBN 3-930826-91-7.

3) Schenefeld: EB-Verlag 2003. 114 S. 8 = Bibliodrama Kontexte, 4. Kart. Euro 10,00. ISBN 3-930826-97-6.

4) Schenefeld: EB-Verlag 2003. 167 S. 8 = Bibliodrama Kontexte, 2. Kart. Euro 12,00. ISBN 3-930826-92-5.

Rezensent:

Christhard Lück

Die von einem ausgewiesenen Expertenteam herausgegebene Reihe "Bibliodrama Kontexte" markiert in mehrfacher Hinsicht einen Neuansatz nicht nur innerhalb der Bibliodramabewegung, sondern auch über sie hinaus. Sie will Theorie und Praxis des Bibliodramas dialogisch-dialektisch aufeinander beziehen und damit zu einer reflektierte(re)n Bibliodramapraxis beitragen. Jenseits der Scylla rein subjektiver Erfahrungsberichte und der Charybdis streng akademisch orientierter, (eher) praxisferner Monographien sollen dabei wissenschaftliche Theorieansprüche ebenso beachtet werden wie die mannigfaltigen Formen und Manifestationen der gegenwärtigen Bibliodrama-Praxis. Da sich das Bibliodrama in den letzten Jahren zudem in ganz unterschiedliche Handlungsfelder wie Liturgie, Kybernetik, Homiletik, Religionspädagogik, Therapie, Konflikttheorie, Poesie, Literaturwissenschaft, interkultureller Dialog etc. hinein auszudifferenzieren beginnt, stellt sich dem Herausgeber-Team zufolge die Aufgabe, "das Bibliodrama auch den VertreterInnen dieser Disziplinen gegenüber glaubwürdig im Horizont ihrer eigenen Fragestellungen aufzuschließen" (Editorial, 6). Mit dieser eher externen Aufgabenstellung der Schriftenreihe korrespondiert der wichtige interne Aspekt: das bibliodramatische Prozessgeschehen in seiner Pluriformität aufzuschlüsseln und in exemplarischer Weise nach seinen je spezifischen - biographischen, literarischen, theologischen, kulturtheoretischen o. ä. - Kontexten zu fragen.

In Band 1 dieser mit zunächst vier Heften eröffneten Reihe stellen die Bewegungslehrerin Ellen Kubitza und der Theologieprofessor Tim Schramm, beide Protagonisten der Bibliodramaarbeit in Deutschland, das in langjährigen Fortbildungen gemeinsam erarbeitete Projekt "Bibliodrama als lebendiger Gottesdienst" vor. Das Bibliodrama wird von den Autoren in "progressiver Regression" (8) pointiert in einen liturgisch-spirituellen Kontext gestellt, indem es in eine in sieben Schritte differenzierte Liturgie mit wiederkehrenden Ritualen, die dem von der VELKD verbreiteten Projekt "Gottesdienst leben" entlehnt ist, integriert wird. Die gemeinschaftliche Bibliodrama- Praxis einer (Langzeit-)Fortbildungsgruppe wird dabei als "lebendiger Gottesdienst" einer Gemeinde ("ecclesia") auf Zeit verstanden. Ein weiteres hervorragendes Charakteristikum des hier explizierten Bibliodramaverständnisses, das u. a. Einsichten von Ruth Cohns themenzentrierter Interaktion und St. Coveys Entwurf einer humanistischen Ethik aufnimmt, ist der systematische Einbezug der so genannten Körperarbeit, der im Sinne einer "Körperexegese" (63) bzw. "Körperspiritualität" eine zentrale Bedeutung im Bibliodramaprozess zugemessen wird. Eine detaillierte Darstellung exemplarischer Körper- und Bewegungsübungen (Aufwärmen, nüchterne Körperarbeit, strukturierte Übungen, spielerische und textbezogene Körperarbeit; 68-107) durch Ellen Kubitza, die in ihrem Bewegungsansatz deutlich von ihrer Lehrerin Katya Delakowa inspiriert ist, bildet dafür eine fundierte Grundlage. Die Dokumentation einzelner Sequenzen eines (typischen) Bibliodrama-Wochenendes, das in der bibliodramatisch-liturgischen Erschließung ausgewählter Bibeltexte nach dem "Sieben Schritte Programm" von "Caring Community" kulminiert und dabei Liturgie auch "körperlich" erfahrbar machen möchte, schließt diesen eindrucksvollen Band ab.

Band 2 enthält eine für die Jahre 1976-2002 vollständige "Bibliodrama Bibliographie" in Form einer umfassenden Übersicht aller verfügbaren Bücher, Artikel, Videos und CDs zur Thematik aufgeschlüsselt nach Autorinnen und Autoren. Zusammengestellt wurde diese für bibliodramatische Theorie- wie Praxisarbeit außerordentlich hilfreiche Publikation, in der nahezu alle Veröffentlichungen zum Bibliodrama auch nach Bibelstellen und Sachthemen geordnet aufgespürt werden können, von dem westfälischen Pfarrer und Bibliodramaleiter (GfB) Hans-Jörg Rosenstock und seinem Bruder Roland Rosenstock, Juniorprofessor für Praktische Theologie an der Universität Greifswald. Dieses in 13 Rubriken gegliederte bibliodramatische Hilfsmittel besticht zudem dadurch, dass Themenschwerpunkte wie "Bibliodrama im (Religions- und Konfirmanden-) Unterricht" oder "Liturgie und Bibliodrama" gesondert aufgeführt werden. Ferner werden alle derzeit zugänglichen Internetadressen sorgfältig erläutert und Rezensionshinweise zu den Bibliodrama-Monographien gegeben, wobei die Rezensionen zu ausgewählten Büchern, vorzugsweise aus der Fachzeitschrift "TEXT-RAUM", in diesem Band mit abgedruckt sind. Auch bibliodramakritische Beiträge werden nicht ausgeblendet. Wer sich in Zukunft theoretisch und/oder praktisch mit dem Bibliodrama auseinander setzen möchte, wird an dieser klar strukturierten und sehr präzisen Bibliographie von Rosenstock/Rosenstock nicht vorbeigehen können.

Der mit 91 Seiten schmalste dritte Band der Reihe "Systemische Weltsicht und Bibliodrama" wurde von dem renommierten Psychotherapeuten und Theologen Siegfried Essen verfasst. In ihm wird erstmals der Ansatz einer systemisch orientierten Bibliodramapraxis entfaltet, den der Autor als "autopoietisches Bibliodrama" - verstanden als "selbstschöpferisches Handeln auf der Bühne", das "abstrakte biblische oder dogmatische Begriffe oder Begriffskonstellationen" (56) zu konkretisieren und aktualisieren sucht - näher charakterisiert. In einem ersten Schritt wird hier das systemische Denken als theoretischer Hintergrund für Essens Bibliodramaverständnis skizziert, das nach ihm mit einer radikal konstruktivistischen Weltsicht korreliert und zudem unmittelbare Folgerungen für die konkrete Bibliodramapraxis (19-23) impliziert. Unter Rekurs auf die psychodramatischen, theater- und spielpädagogischen sowie therapeutischen Ansätze und Erfahrungen von Moreno, Iljine, Brook und Grotowski werden "Identität und Repräsentation" (16-27), "Inszenierungsarbeit und Leiblichkeit" (28-37) sowie "Improvisation und Spiel" (38-55) sodann als zentrale Gesichtspunkte eines prozessorientierten Bibliodramas akzentuiert. Die Prinzipien der Leitung sowie die einzelnen Elemente des autopoietischen Bibliodramas ("Zuschauer sein" [61-66], "Die Bühne" [67-69], "Der Lehrer" [70-72], "Der Text" [73- 82]) werden anschließend unter Aufnahme von Gedankengut aus dem Buddhismus und der systemischen Aufstellungsarbeit von Bert Hellinger konturiert und an Beispielen der eigenen Bibliodramapraxis Essens illustriert. Im Mittelpunkt steht dabei das befreiende Paradigma systemischer Spiritualität im Sinne einer Entfaltung des lukanischen Satzes "Wer sein Leben verliert, der wird es gewinnen" (Lk 17,33). Der vorliegende Band überzeugt durch seine lebendige Darstellung und konsequent-stringente Erörterung der Themenstellung. Fraglich bleibt allerdings, inwieweit es dem Autor wirklich gelingt, seinem systemisch-bibliodramatischen Ansatz eine (hinreichende) christliche Fundierung zu geben.

Band 4 trägt den Titel "Zwischen Angst und Vertrauen" und wurde von der Grundschullehrerin und Bibliodramaleiterin Svea Paul geschrieben. Diese doppelte berufliche Qualifikation der Vfn. kommt dem gesamten Band zugute, der die Fragestellung nach den Möglichkeiten und Grenzen bibliodramatischen Arbeitens im Religionsunterricht der Grundschule fundiert erörtert. In einem ersten Teil werden dazu aktuelle religionspädagogische Konzepte auf ihre Anschlussfähigkeit für bibliodramatisches Lernen hin untersucht.

Gegen Kritiker auf beiden Seiten, die vehement bezweifeln, dass bibliodramatisches Arbeiten unter (grund-)schulischen Bedingungen möglich sei, kommt die Vfn. zu dem Ergebnis, dass "religionspädagogisches Arbeiten in der Grundschule in seinen Zielsetzungen den Intentionen des Bibliodramas nicht fremd" (28) ist, sich im Gegenteil eine religionspädagogisch verantwortete Bibliodramapraxis hervorragend "an den Prinzipien der Korrelation, des Ästhetischen Lernens und der Symboldidaktik orientieren" (29) kann.

Auf diese Grundthese aufbauend stellt Teil 2 das Bibliodrama als "eine Form ganzheitlichen Lernens" vor, während Teil 3 Kriterien und Voraussetzungen für ein gelingendes bibliodramatisches Arbeiten in der Grundschule detailliert und nachvollziehbar benennt (vgl. pointiert als Zusammenfassung 60 f.). Unter der Prämisse, dass sich Prozess- und Lernzielorientierung im schulischen Religionsunterricht nicht ausschließen, stellt Teil 4 sehr anschaulich Methodenbausteine für ein bibliodramatisches Arbeiten im Religionsunterricht der Grundschule vor, zu denen die Vfn. vor allem das "Erzählen", "spielerisches und gestalterisches Handeln", "die Arbeit mit Symbolen" sowie "Ritual und Feier" rechnet. Die sehr plastische und zugleich kritisch reflektierte Darstellung von vier von der Vfn. selbst realisierten Praxis-Beispielen bibliodramatischen Arbeitens im Religionsunterricht zum Themenkreis "Zwischen Angst und Vertrauen" (Teil 5) fordert die Leserinnen und Leser schließlich dazu heraus, bibliodramatische Zugänge im eigenen Unterricht selbst einmal auszuprobieren.

Der Band stellt insgesamt einen theoretisch qualifizierten und praktisch außerordentlich inspirierenden Beitrag im Rahmen der "Bibliodrama Kontexte" dar, zu dem man sich nur viele Nachfolgebände, die z. B. die Möglichkeiten und Grenzen bibliodramatischen Arbeitens in anderen Schulstufen oder praktisch-theologischen Handlungsfeldern auszuloten vermögen, wünschen kann.