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Ausgabe:

November/2004

Spalte:

1231–1233

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Stickelbroeck, Michael

Titel/Untertitel:

Christologie im Horizont der Seinsfrage. Über die epistemologischen und metaphysischen Voraussetzungen des Bekenntnisses zur universalen Heilsmittlerschaft Jesu Christi.

Verlag:

St. Ottilien: EOS 2002. XII,713 S. gr.8 = Münchener Theologische Studien. II. Systematische Abteilung, 59. Geb. Euro 68,00. ISBN 3-8306-7133-4.

Rezensent:

Martin Laube

Die vorliegende Studie wurde 2001 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München als Habilitationsschrift angenommen. Über These und Zielsetzung lässt der Vf. keinen Zweifel. Ohne eine metaphysisch-realistische Grundlage könnten die christologischen Lehraussagen der Alten Kriche nicht eingeholt werden. Folglich gelte es zunächst in "destruktive[r]" (1) Absicht zu zeigen, dass "die antimetaphysische Option für den (Kantischen) Erkenntnisskeptizismus, der mit innerer Folgerichtigkeit zur Ablehnung jeder natürlichen Theologie führt, für eine positivistische Deutung von Welt und Geschichte oder auch für den postmodernen Agnostizismus, der alles Absolute im Raum menschlicher Erfahrung negiert, eine Defizienz in der Christologie zeitigt" (1). In einem zweiten Schritt solle dann konstruktiv "nach den epistemologischen und metaphysischen Voraussetzungen für eine am realistischen Offenbarungszeugnis der hl. Schrift festhaltende und an der Aussageintention der frühen Konzilien orientierte Christologie" (2) gefragt werden. Nicht schon die betonte Rückbindung an Schrift und Tradition, wohl aber die pauschale Abwertung des neuzeitlichen Problemstandes, von der diese Ankündigung eine Kostprobe gibt, vermittelt einen fragwürdigen Vorgeschmack.

Der Vf. beginnt mit einer umfangreichen "Bibeltheologische[n] Hinführung" (9-110). Sie sucht den Nachweis zu erbringen, "daß die wesentlichen Elemente des Christus-Bekenntnisses die Realität des in der Auferstehung endgültig geoffenbarten Persongeheimnisses Jesu explizieren" (44). Das Ergebnis lautet: Sowohl Paulus als auch die synoptischen Evangelien und Johannes bezeugten Jesus als vollgültige Offenbarung Gottes und eschatologischen Heilsmittler; dabei setze die "Aktionseinheit" (108) von Vater und Sohn eine tiefere "Seinseinheit" (108) beider voraus.

Der erste Hauptteil ist der christologischen Lehrentwicklung bis zum Konzil von Chalkedon gewidmet (111-209). Im Mittelpunkt steht die Frage, "wie die universale soteriologische Relevanz des Christus-Ereignisses in der Begegnung mit der griechischen Philosophie, d. h. insbesondere mit der Seinsfrage, begründet wurde" (111). Den formalen Schlüssel dafür bietet das Problem der Gotteskenntnis. Mit seiner Hilfe lasse sich zeigen, "daß die geschichtliche Entfaltung der kirchlichen Christologie [...] auf einem metaphysischen Denken beruht, das nach neuen Aussageweisen sucht, um der Wirklichkeit der Selbstoffenbarung Gottes verstehend gerecht zu werden" (209). Dieses metaphysische Denken finde seinen Niederschlag im chalkedonensischen Modell der hypostatischen Union, das allein in der Lage sei, der biblisch bezeugten Gegenwart Gottes in Jesus angemessen Rechnung zu tragen.

Im zweiten Hauptteil wendet sich der Vf. seiner destruktiven Aufgabe zu (210-431). Er behandelt die christologischen Entwürfe von Edward Schillebeeckx (210-302), Eberhard Jüngel (302-362) und John Hick (362-431), deren Denken "in ganz verschiedener Hinsicht von einer Distanz zur Metaphysik geprägt" (4) sei. Dabei ziehlt er auf den Nachweis, "daß sich auch Theologen, die vorgeben, ohne Philosophie auszukommen, ganz bestimmter philosophischer Vorentscheide bedienen, um ihrem leitenden Interesse gerecht zu werden" (4). Gravierende christologische Defizite seien die Folge. Der Vf. macht dafür bei Schillebeeckx den neuzeitlichen Personbegriff verantwortlich, der in seiner bewusstseinstheoretischen Fassung die universale Bedeutung Jesu auf die Erfüllung eines relativistischen Sinnbedürfnisses zu verkürzen zwinge. Jüngel hingegen werde das Festhalten an einem rein offenbarungstheologisch gefassten Gottesbegriff zum Verhängnis; er verliere damit die Möglichkeit, seine christologische Grundthese einer Selbstidentifikation Gottes mit dem Gekreuzigten auf die reale Seinseinheit von Gott und Mensch in Jesus hin zuzuspitzen. Hick schließlich verpflichte sich einer einseitig rationalistischen Erkenntnistheorie mit der Folge, den "Seinshorizont" (429) des Menschen zu verschließen und ihn seiner Offenheit für die Selbstmitteilung Gottes zu berauben.

Den Mittelpunkt der Studie bildet der dritte Hauptteil (432- 638). Er gilt dem Aufweis derjenigen epistemologischen und metaphysischen Voraussetzungen, die eine realistische Interpretation des christlichen Dogmas ermöglichen. Auf diese Weise soll dem Anliegen der Enzyklika Fides et Ratio Rechnung getragen werden, "den Erkenntnishorizont des Menschen für die Entgegennahme dessen, was Gott den Menschen über sich selbst innerhalb der biblischen Heilsgeschichte mitteilen will, [zu] öffnen" (432). Dabei verwechselt der Vf. freilich das christologische Dogma mit dem von diesem bezeugten Geschehen und unterschlägt, dass auch die metaphysische Fassung des Chalkedonense bereits eine Deutung des Christusereignisses darstellt. Im Einzelnen geht er in drei Schritten vor: Den Anfang macht erstens eine knappe, auf Krise und Verfall gestimmte Skizze des modernen Bewusstseins (434-449). Die Postmoderne mit ihrem relativistischen Individualismus und funktionalistischen Szientismus - dem doppelten Erbe der "Selbstverabsolutierung des Subjekts" (447) durch Descartes - erschwere es dem Menschen, seine tiefere Sehnsucht in der Hinordnung auf einen transzendenten Gott zu stillen. Um hier gegenzusteuern, setzt sich der Vf. zweitens mit den "Aporien" (450) der kantischen Erkenntnistheorie auseinander (450-487). Diese vermeintlichen Aporien werden allerdings weniger aufgewiesen als vielmehr postuliert. Der Vf. diagnostiziert "so etwas wie einen sensualistischen Unterbau, mit dem Kant dem Empirismus zwar verpflichtet bleibt, dem er aber als Überbau eine idealistische Auffassung von Erkenntnis überstülpt, durch die die Defizite des zugrunde liegenden Empirismus jedoch keineswegs überwunden werden" (466). Die Folge sei ein dezidierter "Erkenntnisskeptizismus"; er habe seinen tieferen Grund in einer Vernachlässigung der wirklichkeitserschließenden Funktion des Urteils. Damit ist zugleich drittens der Weg vorgezeichnet, auf dem der Vf. seine eigene Lösung zu gewinnen hofft. Sie liegt im Rückgang auf die Metaphysik Thomas von Aquins (487-638), "die sich als eine Metaphysik des Seinsaktes von jeder rationalistischen Begriffsmetaphysik abhebt" (4) und insofern von der kantischen Kritik nicht getroffen werde. Im Mittelpunkt steht die thomanische Urteilslehre. Das Urteil habe als "Ort der Wahrheit" (534) zu gelten, welches der Vernunft den Zugang zur intelligiblen Struktur des Seienden eröffne. Daraus ergebe sich der Ansatz zu einer philosophischen Gotteslehre; sie vermag den Glauben so zu bestimmen, dass er "den Erkenntnishorizont des Menschen erweitert und [...] zur Teilnahme an der Selbsterkenntnis Gottes befähigt" (7).

Der abschließende vierte Hauptteil zieht daraus die Konsequenzen für Trinitätslehre und Christologie (639-681). Der Vf. setzt den trinitätstheologischen Begriff der Person als "Subsistente[r] Relation" (645) zur Aufklärung des menschlichen Personseins ein - aber nicht, um dessen relationale Pointe fruchtbar zu machen, sondern um diese de facto aus den Angeln zu heben. Damit wendet er sich gegen den neuzeitlichen Personbegriff, der die Seinseinheit Jesu mit Gott nicht mehr zu denken erlaube. Statt dessen fordert er ein Verständnis der Person als "Selbstbesitz und Selbsthabe" (670); auf dieser Grundlage könne es gelingen, den realistischen Gehalt des Chalkedonense angemessen zur Geltung zu bringen.

Zurück zu Thomas von Aquin - so lautet erklärtermaßen das Programm der vorliegenden Arbeit. Es bezieht seine Stoßkraft aus der doppelten Unterstellung, dass erstens nur ein metaphysisch-substantialer Realismus den christlichen Gehalten gerecht werden könne und folglich zweitens die neuzeitliche Wendung vom Sein zum Bewusstsein rückgängig zu machen sei. Doch so unhaltbar das Erste ist, so realitätsfremd erscheint das Zweite. Vielmehr zehrt der Vf. von einer konsequenten Verweigerung gegenüber den Herausforderungen des neuzeitlichen Denkens. Es kann daher nicht überraschen, dass seine Studie für eine diesen Herausforderungen zugewandte Theologie nur wenig weiterführende Einsichten zu bieten hat.