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Ausgabe:

November/2004

Spalte:

1223–1225

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schaefer, Susanne

Titel/Untertitel:

Gottes Sein zur Welt. Schleiermachers Subjektanalyse in ihrer Prinzipienfunktion für Glaubenslehre und Dialektik.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2002. 280 S. gr.8 = ratio fidei, 12. Kart. Euro 34,90. ISBN 3-7917-1819-3.

Rezensent:

Cornelia Richter

Wenn eine katholische Dissertation zu Friedrich Schleiermacher (S.) mit dem Programm antritt, dessen Entwurf aus offenbarungstheologischer Perspektive zu beantworten, dann lässt das eine spannende Lektüre erwarten.

In drei Abschnitten untersucht die Vfn. zunächst S.s Konzeption "endlicher Subjektivität" (18-101) anhand von Glaubenslehre und Dialektik, analysiert sodann "das Verhältnis Gottes zur Welt in der Dogmatik S.s" (102-196), um schließlich zu einer "Revision und Weiterführung der Dogmatik S.s" (197- 262) zu gelangen. Das Ziel der Arbeit wird als ein doppeltes angegeben: Zum einen "wird [...] ein weiterer Beleg dafür geliefert werden, welch fundamentale Bedeutung dem Gedanken selbstbewußter Subjektivität für die heutige Theologie zukommt." (13). Zum anderen zeige sich, dass gerade S.s Konsequenz der subjekttheoretischen Fundierung zu einer höchst problematischen "Bestimmung des Verhältnisses Gottes zur Welt" (14) führe. Im Anschluss an S. soll daher "nach einem philosophischen Einstieg in die Schöpfungstheologie gesucht werden, der es erlaubt, die Legitimität der Rede von Gott als freiem Schöpfer auch in außertheologische Kontexte hinein vermitteln zu können" (15).

Die Durchführung beginnt denn auch mit der Rekonstruktion von S.s Konzeption einer philosophischen Theologie, die die Kategorien und die begriffliche Fundierung für die historische Theologie zur Verfügung stelle. Dem entspreche die kategoriale Differenz zwischen der Einleitung in die Glaubenslehre und der materialen Dogmatik, deren Inhalten sowohl "Verbindlichkeit" (31) zukomme als auch "geschichtliche Wandelbarkeit" (ebd.). Im Bereich der philosophischen Theologie, in den 3 und 4 der Glaubenslehre, lege S. nun den "Grundstein für seinen subjekttheoretischen Ansatz" (34) mit dem Resultat, dass Gottes- und Selbstbewusstsein "untrennbar miteinander verbunden" seien (51). Zur genaueren Explikation dessen greift die Vfn. auf die Dialektik zurück, die trotz unterschiedlichem Status eine ähnliche Argumentation zeige (57): Das Selbstbewusstsein könne "weder gedacht noch vollzogen werden, wenn nicht der transzendente Grund vorausgesetzt" werde (74). Insgesamt gelte daher für S., dass das menschliche Gottesbewusstsein ein "Element seines Wesens" sei (98).

Im zweiten Teil steht die materiale Dogmatik S.s im Vordergrund. Zunächst wird nach der "Prinzipienfunktion" (102) des Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit gefragt, dem die Scharnierfunktion sowohl für den Aufbau als auch für die inhaltliche Gestaltung der einzelnen Loci zukomme: "Alle Aussagen über Gott bzw. das Verhältnis Gottes zur Welt" (105) orientieren sich am Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit; die Bestimmung dieses Verhältnisses "wird demnach durch die Kategorie der Ursächlichkeit geprägt sein" (ebd.). Dieser - nicht unproblematischen - Bestimmung folgt sodann die Untersuchung ausgewählter Lehrstücke, der Schöpfungslehre und der Lehre von den göttlichen Eigenschaften.

Bezüglich der Schöpfungslehre zeigt die Vfn. knapp, aber einleuchtend, wie sehr S. unter dem Bann der zeitgenössischen evolutionären Naturwissenschaften gestanden hat: Eine These, die sie an späterer Stelle auch explizit mit den Arbeiten von D. Schellong verbindet (200 f.). Die Schöpfungslehre sei demnach kein Lehrstück über die Entstehung der Welt, sondern entfalte "die transzendentalen Bedingungen für ein Leben" im Bewusstsein von Sünde oder Gnade (106). Dies zeige sich u. a. an der Schlüsselfunktion, die dem Begriff des Naturzusammenhangs zukomme: Der Naturzusammenhang sei zu denken als "absolut umfassende[r] Lebenszusammenhang" (124), "ein wohlgeordnetes Ganzes" (125), ein System kausaler Gesetzmäßigkeit und Freiheit (127), als solcher aber ein innerweltlicher Zusammenhang ohne Gott (128). Dem entspreche S.s Lehre von den göttlichen Eigenschaften, die zwar im Interesse der Frömmigkeit sei, weil sie die unterschiedlichen Erfahrungen mit Gott zum Ausdruck brächten, aber keinen Beitrag zur Erkenntnis Gottes leisten könnten (137). Aus beiden Lehrstücken lasse sich daher zeigen, dass für S. eine Offenbarung "außerhalb des Naturzusammenhanges" nicht (152) und "die Transzendenz Gottes" nur schwer denkbar sei (158) und das Verhältnis von Gott und Welt dem gemäß nur als "ein nahezu beziehungsloses Nebeneinander" vorzustellen sei (165).

Mögliche Gründe dafür sieht die Vfn. in einer uneingelösten Absicht S.s: war er doch angetreten mit der Versicherung, Dogmatik und Philosophie klar getrennt zu halten (bes. 81.94). Das aber sei nicht gelungen. Vielmehr, so die These, sei "es gerade diese Konsequenz in der Befolgung seines [subjekttheoretischen, CR] Ansatzes gewesen, die S. in bestimmten Punkten hat unter den Einfluß von philosophischen Strömungen seiner Zeit geraten lassen" (174). Was eher nach einer ansteckenden Krankheit klingt, birgt denn auch in den Augen der Vfn. gewaltige Probleme: Denn mit Fichte, Spinoza und Leibniz vertrete S. "ein Gottesbild, das konsequent jegliche Bestimmung zu vermeiden sucht, die Gott als ein persönliches, frei handelndes Wesen erscheinen läßt" (194) und zudem mit einer "Harmonie des Universums" (189) rechnet, in der weder Mensch noch Gott frei handeln könnten (190). Dem soll im dritten und letzten Teil ein möglicher Lösungsvorschlag gegenüber gestellt werden, denn mit Pannenberg rechnet es die Vfn. S. durchaus hoch an, die philosophischen Herausforderungen der Zeit angenommen zu haben, aber "einen konstruktiven Gegenentwurf S.s vermißt man zu recht" (186).

Um diesen zu leisten, wird zunächst die "Geschichte der S.-Interpretation" (197) rekonstruiert, die allerdings lediglich die Beiträge von Christe, Schellong, Pannenberg, Pröpper, Junker, Baur, K. Barth, Hirsch und Cremer berücksichtigt. In die "Kritische Reformulierung" gehen sodann die folgenden Aspekte ein: a) "Ein Bedürfnis garantiert noch nicht die Erfüllung" (219), womit S.s Überzeugung von einem positiven Sinn des Seins und seine implizite Ontologie kritisiert werden; b) "Ein Begriff garantiert noch nicht die Wirklichkeit" (221), wo S.s Argumentation als die des ontologischen Gottesbeweises bestimmt wird; c) "Das bloß Existierende kann nicht bewiesen werden" (225), womit jegliche Möglichkeit eines philosophischen Beweises der Wirklichkeit Gottes abgelehnt wird.

Was also ist das Resultat? Zuerst und vor allem dies: "Die Gewissheit, dass sein Dasein nicht absurd, seine Freiheit sinnvoll sein möge, lässt sich philosophisch nicht verbürgen und kann dem Menschen nur geschenkt werden. Dies ist die Erkenntnis, die am Ende der kritischen Prüfung des S.schen Aufweises des Gottesbewusstseins steht." (231 f.). Mit dieser, im Anschluss an Pröpper formulierten These eröffnet die Vfn. den Versuch eines konstruktiven Gegenentwurfs und folgt dabei eng den Vorgaben ihres Doktorvaters.

Da es sich um einen explizit offenbarungstheologischen Ansatz handelt (245), verwundert es nicht, dass zunächst die Philosophie in ihre Grenzen verwiesen wird (237). Deren Aufgabe sei es, "einsichtig zu machen, daß es für den Menschen [...] bedeutsam ist, mit der Existenz Gottes und seiner Offenbarung in der Geschichte zu rechnen" (235). Der Gottesgedanke könne jedoch nicht philosophisch ausgedeutet werden; vielmehr könne nur Gott selbst sagen, "daß [...] und wie Gott ist (236). Das aber bedeute die Besinnung auf den "Kern der jüdisch-christlichen Glaubensüberlieferung" (238), die nämlich von einem "freien Gott" (ebd.) spreche. Das sei nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine "sinnvolle Option" (244), die sich allerdings erst dann erschließe, wenn die S.sche Ineinssetzung von Kontingenz- und Gottesbewusstsein aufgehoben werde. Denn nur dann, wenn die Gottesbeziehung nicht schon wesensmäßig im Menschen angelegt sei, lasse sich von einem "bewußten Schöpfungsentschluß Gottes" (244), von seinem "innovative[n]" Handeln in der Geschichte (258) und von einer "wirkliche[n] Interaktion" zwischen Gott und Mensch (258) sprechen. Was ist das Ende von der Geschichte? Nun, verloren sei damit S.s Vertrauen auf ein "gutes Ende" (262) der Geschichte, gewonnen seien aber die eschatologische Hoffnung, dass Gott die Geschichte der Vollendung zuführen möge (261), und vor allem die Freiheit, die "eine wirkliche Beziehung von Gott und Mensch" ermögliche (262).

Die gesamte Arbeit ist getragen von dem Bemühen der Vfn. um eine textnahe und logische Rekonstruktion der Argumentation S.s, verbunden mit dem Aufweis zahlreicher Querverbindungen in Philosophie und Naturwissenschaften. Leider bleibt sie dabei recht textimmanent und zu sehr an den Positionen anderer orientiert, so dass die durchaus starken eigenständigen Pointierungen nicht entsprechend ausgeführt werden (vor allem das Verhältnis von Glaubenslehre und Dialektik und die Passagen zu Fichte, Spinoza, Leibniz). Dass sie zudem die konstruktive Weiterführung so eng an die Vorgaben des Doktorvaters knüpft, ist zumindest bemerkenswert.

Zuletzt soll nur noch ein Punkt berührt werden, und zwar die Frage nach den Kriterien der Beurteilung sowohl von S. selbst als auch von seinen Interpreten. Die Vfn. äußert sich dazu eindeutig: "Instanz der Kritik ist der christliche Glaube. Die Inhalte der S.schen Glaubenslehre werden kritisiert werden, die mit einem christlichen Verständnis des Verhältnisses Gottes zur Welt nicht in Einklang zu bringen sind" (197). Bleibt aus protestantischer Perspektive noch die Frage, von wem und wie denn "das" christliche Verständnis formuliert werden sollte.