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Ausgabe:

November/2004

Spalte:

1198–1200

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Rhee, Victor (Sung-Yul)

Titel/Untertitel:

Faith in Hebrews. Analysis within the Context of Christology, Eschatology, and Ethics.

Verlag:

New York-Washington/Baltimore-Bern-Frankfurt a. M.-Berlin-Brussels-Vienna-Oxford: Peter Lang 2001. XVI, 280 S. gr.8 = Studies in Biblical Literature, 19. Geb. US$ 62,95. ISBN 0-8204-4531-2.

Rezensent:

Hermut Löhr

Die vorliegende Monographie geht auf eine neutestamentliche Dissertation am Dallas Theological Seminary im Jahr 1996 sowie auf mehrere Aufsätze zurück, die der Vf. in den Jahren 1998 bis 2000 in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht hat.

Selbst gestecktes Ziel der Untersuchung ist es, das "concept of faith" im Hebräerbrief zu untersuchen und dabei nachzuweisen, "that the concept of faith in Hebrews is both christologically and eschatologically oriented. The author of Hebrew portrays Jesus as both the model and the object of faith as other books of the New Testament" (XV).

In dieser Bestimmung fehlt ganz bewusst ein wichtiges Attribut, das in der exegetischen Diskussion um den Glauben im Hebräerbrief in den letzten Jahrzehnten eine prominente Rolle gespielt hat: nämlich das des ethischen Aspekts des Glaubensbegriffes. Damit ist der große Antipode markiert, der zwar schon in den ersten Zeilen der "Introduction" genannt wird (XV), aber erst im Laufe der Untersuchung ganz deutlich hervortritt, Erich Gräßers Untersuchung zum gleichen Thema: Der Glaube im Hebräerbrief (Marburger Theologische Studien 2), Marburg 1965. Gräßer hatte nachzuweisen gesucht, dass der Begriff des Glaubens im Hebr primär ethisch, d. h. im Sinne einer menschlichen Tugend, gefasst ist, und hatte dieses Glaubenskonzept von demjenigen des Apostels Paulus pointiert abgesetzt. Der Vf. wendet sich strikt gegen diese semantische Bestimmung und ihre möglichen - bei Gräßer allerdings ausdrücklich nicht gezogenen - biblisch-kanontheologischen Konsequenzen. Darüber hinaus möchte der Vf. das viel diskutierte Problem der Eschatologie des Hebr mit lösen: "I also find that the eschatological outlook in Hebrews is not influenced by the Hellenistic concept of visible and invisible reality, but the temporal orientation of present and future" (XV).

Um es kurz und deutlich zu sagen: Das Buch scheitert an den selbst gestellten (wohl auch zu hohen) Ansprüchen. Das hat mehrere Gründe. Der erste und deutlichste liegt in einer gedanklichen Unschärfe, die sich in einer in der Monographie durchhaltenden sprachlichen Undeutlichkeit manifestiert. Bereits die Rede vom "concept of faith" lässt im Unklaren, ob die Untersuchung dem objektsprachlichen Lexem pistis und stammverwandten Wörtern bzw. Antonymen gilt, oder ob "faith" als metasprachlicher Begriff eingeführt (allerdings nicht definiert) wird, der mehr und anderes benennt als pistis. Trotz des ähnlichen Titels hatte Gräßers Untersuchung diese Unschärfe strikt gemieden (dafür allerdings Synonyme für pistis im Text gefunden, die möglicherweise keine sind - bei dem Vf. begegnet dafür eine Liste von "Faith-related words", vgl. S. 64, Anm. 2, deren genaues Verwandtschaftsverhältnis aber unterschiedlich ist und nicht eigens benannt wird).

Die Untersuchung orientiert sich in ihrem Grundriss nicht an den Vorkommen des Lexems pistis, sondern durchschreitet in fünf analytischen Kapiteln (64-242) den ganzen Hebr. Der Vf. begründet dieses Vorgehen mit der völlig zutreffenden und in der Forschung inzwischen weitgehend unstrittigen Einsicht, dass "doctrinal" und "parenetic sections" im Hebr nicht nur einander abwechseln, sondern semantisch und pragmatisch aufeinander bezogen sind. Dazu legt der Vf. in Aufnahme und Korrektur von A. Vanhoyes struktureller Analyse einen eigenen, viel zu knapp begründeten Gliederungsvorschlag vor (27 f.).

Diese fundamentale Unklarheit verleitet wohl auch dazu, dass immer dann, wenn der Quellentext die Ausgangsthese deutlich nicht bestätigt, Zuflucht gesucht wird zu mitunter sehr ungenauen Paraphrasen oder gewagten Hilfskonstruktionen. So belegt Hebr 6,12 eben nicht, wie der Vf. (in seiner Skizze von Thesen M. R. Millers) behauptet, dass das "object of faith is expressed in terms of the word of promise"(58). Und Jesus wird in Hebr 12,1-3 auch nicht dadurch zum "object of faith", dass man hinter Vers 2b "a creedal statement in the form of a hymn" (gedacht ist natürlich an einen Christus-Hymnus) vermutet. Und diese Unschärfe in der Benennung des Untersuchungsgegenstands führt des Weiteren dazu, dass das Buch vielfach lediglich das belegt, was, soweit ich sehe, keine ernsthafte Exegese des Hebr bestreitet: dass Jesus Christus im Mittelpunkt seiner Botschaft oder Theologie steht - aber eben ohne dass auf die Rezeption und Bedeutsamkeit dieser Botschaft unter dem Begriff pistis reflektiert würde.

Zum anderen muss festgestellt werden, dass die Arbeit zwar im Verhältnis zum Gesamtumfang (vor allem im ersten und zweiten Kapitel) viel Platz für das Referat von Forschungspositionen lässt; auch das Literaturverzeichnis ist reich und durch seine klare Gliederung von vorbildlicher Übersichtlichkeit. Aber eine wirklich am Quellentext ihre Maßstäbe und Argumente findende Diskussion auch konträrer Positionen bleibt die Ausnahme; wiederholt hat man den Eindruck, wichtige Titel seien zwar in das Literaturverzeichnis aufgenommen (und bisweilen zitiert), aber nicht wirklich rezipiert. In Hinsicht auf die Eschatologie des Hebr gilt dies z. B. für die bahnbrechenden Studien von Otfried Hofius, in Bezug auf das Hauptthema des Bandes vor allem für Gerhard Dautzenbergs Aufsatz von 1973, Der Glaube im Hebräerbrief, BZ N.F. 17 (1973), 161-177, aus dessen Kritik an Gräßers Studie bis heute viel zu lernen ist.

Es war nämlich Dautzenberg - und damit komme ich zum dritten fundamentalen Einwand gegen die vorliegende Arbeit -, der darauf drang, Untersuchungen zum Glaubensbegriff im Hebr traditionsgeschichtlich stärker zu akzentuieren und dabei die in Gräßers Studie anzutreffende, aber nicht konsequent durchgeführte Einsicht, der Hebr wurzele "mit den wesentlichen Strukturelementen seines Glaubensbegriffs - und zwar mehr als alle ntl. Schriften sonst - im AT" (Gräßer, Glaube, 85), wirklich ernst zu machen und so auch seine theologiegeschichtliche Position im frühen Christentum (sowie im Verhältnis zum Judentum) neu zu bestimmen. Wie dies aussehen könnte, hat Dautzenberg nur skizziert, und leider nimmt der Vf. die liegen gebliebene und wichtige Aufgabe nicht auf. Denn wirkliche traditions- oder religionsgeschichtliche Analysen enthält die Arbeit nicht, und so kann auch der z. B. seit dem Erscheinen von Gräßers Studie erarbeitete Erkenntnisgewinn - etwa die Entschärfung oder sogar Aufhebung des Gegensatzes von "jüdischer" und "hellenistischer" Eschatologie oder, nach Erledigung der Gnosis-These, die neue und erhellende Zuwendung zur paganen Philosophie- und Religionsgeschichte (jüngst etwa eindrücklich in der Erforschung der Deuteropaulinen, und, nach dem Erscheinen des vorliegenden Bandes, auch in derjenigen des Hebr) - für das Verständnis des Hebr nicht fruchtbar gemacht werden.

So richtig die vorliegende Studie sieht, dass über den Glaubensbegriff des Hebr exegetisch nicht das letzte Wort gesagt ist, und so berechtigt ihre Forderung ist, innerhalb des breiten Spektrums frühchristlicher Theologie auch in Hinsicht auf die pistis nicht das Denken des Paulus zur Norm zu erklären, so wenig vermag schon die vorgelegte Antwort zu überzeugen.