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Ausgabe:

November/2004

Spalte:

1193–1195

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ascough, Richard S.

Titel/Untertitel:

Paul's Macedonian Associations. The Social Context of Philippians and 1 Thessalonians.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2003. XIV, 261 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 161. Kart. Euro 49,00. ISBN 3-16-148074-0.

Rezensent:

Markus Öhler

Der Vf. dieser in Toronto unter der Begleitung von John S. Kloppenborg entstandenen und bereits 1997 vorgelegten Dissertation unternimmt den Versuch, die paulinischen Gemeinden in Thessalonich und Philippi mit antiken Vereinen in Makedonien zu vergleichen.

Das Buch ist im Aufriss klar: Einer Einleitung folgen zunächst Erörterungen zu Typologie, Funktionsvielfalt und legalem Status antiker Vereine, sodann zur Mitgliedschaft und den damit verbundenen Rechten und Pflichten, weiters zur inneren Vereinsorganisation, um schließlich die Gemeinden von Philippi und Thessalonich mit dem Erarbeiteten zu vergleichen. In einem Appendix wird der Frage nachgegangen, ob es in Makedonien in paulinischer Zeit Synagogen gab. Literaturverzeichnis und übersichtliche Indizes schließen die Monographie ab. Schön wäre es gewesen, wenn die von A. erwähnten Inschriften wenigstens zum Teil in einem Anhang inkludiert worden wären, was die Benutzung doch erleichtert hätte.

Bereits mit der Einleitung (1-14) wird klar, dass sich A. jener Betrachtungsweise verpflichtet weiß, die von Modellen ausgeht, deren Vergleich Übereinstimmungen und Differenzen deutlich machen soll. Dass die im 19. Jh. erwogene Gegenüberstellung von christlichen Gemeinden und antiken Vereinen wieder eingestellt worden sei (der Rezensent vermisst an dieser Stelle einen forschungsgeschichtlichen Überblick), wäre auf die einseitige Betonung der jüdischen Synagoge als Grundmodell zurückzuführen (1 f.). Dies liege daran, dass das Quellenmaterial zum Vereinswesen nur schwer zugänglich sei, ein Umstand, der durch A.s vorliegende Arbeit, vor allem aber durch die bevorstehende Publikation mehrerer hundert Inschriften und Papyri unter der Ägide von J. S. Kloppenborg behoben werden soll.

Das Ziel von A.s Arbeit ist es zu zeigen "that many of the features of the two Macedonian Christian Communities reflected in Paul's letters find ready analogies in voluntary associations" (3). Dabei ginge es nicht allein darum herauszufinden, was Paulus selbst gedacht habe, sondern wie die Christen und ihre Umwelt die Organisationsform der christlichen Gemeinde verstanden hätten (14). Der Rückgriff auf das antike Vereinswesen "will help explain both Paul's language and, in turn, the language and structure of the communities to which he writes" (114). A. setzt auch sonst mehrere Blickwinkel ein, um jeweils Analogien zum Vereinswesen aufzeigen zu können (z. B. 131 zu episkopos, 158 zu soter). Dabei traut er Paulus allerdings manchmal zu viel Anpassungsfähigkeit zu, sowohl hinsichtlich der sozialen Strukturierung der Gemeinden als auch sprachlich. Pauli jüdische Herkunft und pharisäische Ausbildung treten völlig in den Hintergrund, wenn es heißt: "Both Paul and the Macedonian Christians share the same discursive field as the associations" (114). Ein Ansatz lediglich bei den Rezipienten von Phil und 1Thess und dem paganen Umfeld der Gemeinden hätte manche Einseitigkeit vermeiden lassen. Ebenso bedauerlich ist, dass A. nicht über die geschichtlichen Aspekte hinaus auf soziologische Überlegungen zurückgreift, die Analogien zwischen Vereinen und christlichen Gemeinden auf der Ebene sozialer Muster verstehen lassen.

Kap. 2-4 (15-108) beschäftigen sich allgemein mit dem antiken Vereinswesen, wobei viele verschiedene Aspekte hier in einer gelungenen Übersicht behandelt werden. Neben vielen Inschriften und Papyri aus dem gesamten Mittelmeerraum und aus einem Zeitraum von 700 Jahren werden, so entsprechende Belege vorhanden sind, vor allem Zeugnisse aus dem makedonischen Raum angeführt, um dem lokalgeschichtlichen Aspekt gerecht zu werden.

Einzelne interessante Punkte seien hervorgehoben: A. unterscheidet zwischen religiösen und beruflichen Vereinen (21), obwohl doch landsmannschaftliche Organisationen (wie etwa auch die Synagoge) einen eigenen Typus bilden (vgl. aber 77 f., 149 f. zu politeuma). A. versteht es, eine Reihe von terminologischen Parallelen zum christlichen Sprachgebrauch aufzuzeigen, wie etwa für ekklesia, adelphos oder episkopos. Ebenso erhellend ist der Abschnitt über Beziehungen zwischen weit entfernten Vereinen (91-108), wie sie etwa bei Dionysiasten, Isis und Serapis-Kollegien zu finden sind. Ein klassisches Argument gegen die Analogie von Vereinen und christlichen Gemeinden wird damit entkräftet. Dies gilt auch für die Frage nach dem Exklusivitätsanspruch (87-91), der weder für die jüdische Synagoge noch für christliche Gemeinden in der Praxis zu bestehen schien, während einzelne Vereine durchaus auch Mitgliedschaft in anderen Gruppen ausschließen konnten. Notwendige Differenzierungen - etwa auch hinsichtlich der Mitgliedschaft von Frauen - werden von A. durch das Quellenmaterial überzeugend gestützt. Insgesamt handelt es sich um einen überzeugenden Aufweis der Grundthese.

Allerdings kommen einige Aspekte zu kurz: Die Verknüpfung von Haus und Verein als nächste Analogie zur Versammlung der Christen wird nicht ausreichend bedacht. Die Bedeutung des Umstandes, dass die christlichen Gemeinden keine Eintrittsgelder verlangten, fehlt ebenso wie ein Hinweis auf die viel größere Häufigkeit von christlichen Gemeinschaftsmählern im Vergleich zu paganen Vereinen. Das hätte der Analogie zwar keinen Abbruch getan, das spezifisch Christliche aber doch deutlicher hervortreten lassen.

Die Untersuchung der beiden makedonischen Gemeinden im Licht des Vereinswesens ergibt für Philippi nicht unbedingt viel Neues. Auffallend bleibt, dass das Verhältnis des Paulus zur Gemeinde durch die Geldgabe und den damit verbundenen Austausch von Ehrbezeigungen geprägt ist. Dies demonstriere aber auch eine Differenz zu antiken Vereinen, in denen das Streben nach Ansehen eine wichtige Rolle spielte (153). Wenig überzeugend ist hingegen der Versuch, die Gegnerpolemik des Paulus als Auseinandersetzung mit paganen Vereinen zu deuten (146-149), zumal A. sich zur Begründung dieser Sicht auf einen Hinweis auf die Sekundärliteratur beschränkt. Dem Ergebnis, wonach die Gemeinde von Philippi als analog zu religiösen Vereinen (besser vielleicht: Hausvereinen) zu verstehen sei (161), ist aber durchaus zuzustimmen.

Noch weiter geht A. hinsichtlich der Christen in Thessalonich: Deren Gemeinde wäre nicht nur ein Verein, sondern ein Handwerkerkollegium von Lederarbeitern gewesen. A. schließt dies aus den Anspielungen auf körperliche Arbeit in 1Thess (169-176), geht damit aber m. E. in seiner Interpretation zu weit. Auch dass Paulus einen bestehenden paganen Verein zum Christentum bekehrt habe, ist eine Überinterpretation, die auch durch antike Zeugnisse zum Vereinswesen nicht gedeckt ist. Die These, es habe sich bei der Gemeinde von Thessalonich schließlich um eine ausschließlich männliche Gemeinschaft gehandelt, wird man aus dem Sprachgebrauch (4,4: skeuos) ebenfalls nicht schließen dürfen, da Paulus eben auch sonst ausschließlich männlich formuliert.

In einem Appendix (191-212) untersucht A. schließlich die Frage, ob sich die Existenz von Synagogen in Makedonien für das 1. Jh. nachweisen lässt, und kommt zu einem negativen Ergebnis. Die dazu nötige Skepsis gegenüber Lk, für den jüdische Präsenz in Apg 16 f. zur erzählerischen Grundlage gehört, geht vielleicht zu weit, doch weist A. damit erneut auf das Problem hin, dass die paulinischen Briefe nach Makedonien keine Hinweise auf Judenchristen oder Gottesfürchtige enthalten. Dies liegt aber wohl eher am Wirken des Paulus als Heidenapostel als an mangelnder jüdischer Präsenz.

Die Monographie bietet für die Erforschung der paulinischen Gemeindebildung eine Reihe von weiterführenden Aspekten: Die christlichen Gemeinden wurden als Vereine verstanden, organisierten sich selbst analog zu Vereinen und wurden von Paulus möglicherweise sogar selbst in diesem Kontext - auch in Distanzierung - gesehen. Lokalgeschichtliche und allgemeine Studien zur Geschichte des frühen Christentums und dessen sozialer Ausprägung sollten A.s Ausführungen wenn schon nicht in allen Einzelheiten, so doch in der Grundthese aufnehmen.