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Ausgabe:

November/2004

Spalte:

1186–1189

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

1) Greifenhagen, F. V. 2) Heard, R. Christopher

Titel/Untertitel:

1) Egypt on the Pentateuch's Ideological Map. Constructing Biblical Israel's Identity.

2) Dynamics of Diselection. Ambiguity in Genesis 12-36 and Ethnic Boundaries in Post-Exilic Judah.

Verlag:

1) London-New York: Sheffield Academic Press 2002. XII, 325 S. gr.8 = Journal for the Study of the Old Testament. Supplement Series, 361. Lw. £ 65,00. ISBN 0-8264-6211-1.

2) Atlanta: Society of Biblical Literature 2001. XII, 212 S. gr.8 = The Society of Biblical Literature Semeia Studies, 39. Kart. US$ 29,95. ISBN 1-58983-001-6.

Rezensent:

Jan Christian Gertz

Dass der Pentateuch in seiner vorliegenden Gestalt die literarische Hinterlassenschaft des nachexilischen Judentums des zweiten Tempels ist, gehört zu den grundlegenden Einsichten der alttestamentlichen Wissenschaft des 19. Jh.s. Beschäftigte sich die ältere Forschung vornehmlich mit den Literaturwerken und Traditionen, die in die Letztgestalt des Pentateuch eingegangen sind, so steht diese und die in ihr formulierte Bestimmung der Identität des nachexilischen Israel zunehmend im Mittelpunkt des Interesses.

Die von J. L. Crenshaw betreute Dissertation an der Duke University von F. V. Greifenhagen nähert sich dem Themenkomplex anhand einer eingehenden Untersuchung der Erwähnung "Ägyptens" im Pentateuch. Dabei geht es weniger um die historischen, sozialen und literarischen Beziehungen des antiken Israel zu Ägypten als um die Einzeichnung Ägyptens in der "mental" oder "ideological map" der Verfasser der Letztgestalt des Pentateuch und ihrer zeitgenössischen Adressaten. Gefragt ist also nach dem Topos "Ägypten" im Sinne einer "multivalent metaphor or symbol in which the geographic or ethnographic referent is overdetermined by the values or ideology of the producers of the document" (6).

Nach einer ausführlichen Einleitung (Kap. 1) untersucht G. die Erwähnung Ägyptens in Gen (Kap. 2), Ex (Kap. 3) und Lev bis Dtn (Kap. 4), wobei vor allem die Analyse der Letztgestalt des Erzählkontextes und seiner Entwicklung im Blickpunkt steht.

Schon die Völkertafel Gen 10 zeichnet Ägypten auf der "mental map" als ambivalenten Orientierungspunkt der Identität Israels ein, da sie die geographische Nähe im genealogischen Schema nicht in eine Verwandtschaftsbeziehung übersetzt. In den Vätergeschichten erkennt G. für den Jakobszyklus eine Orientierung an Mesopotamien, während sich die Erzählungen um Abraham und die Josefsgeschichte nach Ägypten ausrichten. Spiegelt dies die Kombination älterer Traditionen, so ordnet die Letztgestalt die Orientierung an Ägypten derjenigen an Mesopotamien unter. Dies zeigt vor allem die ambivalente Darstellung Ägyptens im Kontext der Abrahamerzählungen, wo es als Aufenthaltsort Abrahams einen heilsgeschichtlichen Umweg und eine Gefährdung der Erwählung bedeutet. Ex nimmt den Faden aus Gen auf und hält in seiner Letztgestalt gegen eine starke Exodus-Ägypten-Tradition daran fest, dass die Vorfahren Israels aus Mesopotamien kommen. So wird durch die Verknüpfung mit der Genesis in Ex 1,1-7 und weitere Korrekturen wie die Erwähnung des Gottes der Väter in Ex 3 f. eine alte Fassung der Exoduserzählung uminterpretiert, die ursprünglich die ägyptischen Wurzeln Israels betont hat. Die so entstandene literarisch spannungsreiche Letztgestalt etwa in der Charakterisierung Moses verdankt sich der Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Konzepten der Identität Israels. In der Letztgestalt bietet Ex das Bild einer exklusiven, nicht ägyptischen Identität Israels, wie es in nachgerade klassischer Weise durch das Gegenüber zwischen "uns" und "ihnen", zwischen "Israel" und "Ägypten" entfaltet wird. Lev bis Dtn ziehen diese Linie aus, betonen die Forderung einer Trennung Israels von Ägypten, kennzeichnen Ägypten als negativen Ort und verbieten die Rückkehr dorthin.

Unverkennbar geht es der Letztgestalt des Pentateuch mit ihrer grundsätzlichen Verhältnisbestimmung zwischen Israel und Ägypten um die Bestimmung der Identität Israels. Dieser Gegenwartsbezug führt zur historischen Rückfrage, die zunächst die Letztgestalt des Pentateuchs literarhistorisch im Juda des 5. bis frühen 4. Jh.s verortet (Kap. 5), bevor sie die "mental map" des Pentateuchs in die Geschichte der Judenheit im Mutterland und in der ägyptischen Diaspora während der persischen Herrschaft einzeichnet (Kap. 6). Am Beispiel der jüdischen Kolonie von Elephantine wird ägyptische Diaspora als vorpentateuchische Gemeinschaft beschrieben. Hingegen erscheint die Letztgestalt des Pentateuchs als Produkt der Restauration in Jerusalem, genauer: Sie ist das Produkt einer kleinen literarischen Elite, geschützt und gefördert durch die persische Oberherrschaft. Ägypten wurde hier sicher nicht zum Unmut der persischen Oberherrschaft zum Symbol des Anderen. Nach G. sprechen nicht zuletzt die bescheidenen Verhältnisse im Jerusalem der 2. Hälfte der Perserherrschaft dafür, dass dieser Pentateuch auf redaktioneller Zusammenstellung beruht und keine völlige Neukonzeption ist, was durch den literarischen Befund bestätigt wird, der deutliche Spannungen innerhalb des Textes aufweist. Gerade dieser Befund regt indes die Rückfrage an, ob sich die Letztgestalt des Pentateuchs und die dafür verantwortlichen Verfasser nicht noch präziser erfassen ließen, wenn ihr Eigenanteil an der Letztgestalt herausgearbeitet wird. Soweit G. hierüber Auskunft gibt, haben sich die Verfasser der Letztgestalt im Wesentlichen auf die Kombination von Traditionen beschränkt. Der Kennzeichnung der Letztgestalt als "having an ideological intent and purpose of its own, rather than being merely an editorial compilation of previous views" (207) wird man jedoch in jedem Fall uneingeschränkt zustimmen können.

Mehrere Register sowie Zusammenfassungen der Teilkapitel und des Gesamtwerks (Kap. 7) erschließen die hoch interessante, gut informierte und gedanklich klar strukturierte Arbeit.

Die bei D. N. Fewell, D. M. Gunn und J. Bassler an der Southern Methodist University erarbeitete Dissertation von C. R. Heard nähert sich mit synchron fragenden Zugängen ("literary-aesthetic readings, feminist-advocacy interpretations, and newer sociological-ideological approaches") einer dezidiert historischen Fragestellung: Nach H. korrespondiert in Gen 12- 36 der Erwählung einer Person zum Träger der göttlichen Verheißungen stets die Nicht-Erwählung ("Diselection") eines Verwandten, wobei die nicht-erwählte Person keineswegs so charakterisiert wird, dass sich die Tatsache der Nicht-Erwählung eindeutig damit erklären lässt, was und wie von ihr erzählt wird. Es sei daher zu fragen, warum im Juda des späten 5. oder frühen 4. Jh.s v. Chr., dem angenommenen historischen Ort für die Abfassung der Letztgestalt von Gen 12-36, die nicht-erwählten Verwandten in so uneindeutiger ("ambiguous") Weise dargestellt werden.

H. beginnt mit einer knappen methodischen Grundlegung und einer ebenso knappen Begründung für die Zuschreibung der Letztgestalt von Gen 12-36 an die auch für die Abfassung von Esra-Nehemia verantwortliche "Yehud immigrant elite" (Kap. 1), um dann die Darstellungen von Lot und Abraham, Ismael und Isaak, Esau und Jakob sowie Laban und Jakob einem "close reading" zu unterziehen (Kap. 2-5). Dabei stellt er heraus, dass der Leser bei der Lektüre immer wieder gefordert ist, zwischen verschiedenen Verstehensmöglichkeiten einzelner Handlungen oder Charaktere zu wählen, während an der Tatsache der Erwählung bzw. Nicht-Erwählung durch Gott kein Zweifel besteht. Dieses Verhältnis der Uneindeutigkeit in der Charakterisierung der Personen und der Eindeutigkeit ihrer Nicht-Erwählung zeige, dass die Erzählungen die Nicht-Erwählung allein in der göttlichen Entscheidung begründet sehen wollen. Entsprechend ist es auch nicht an den Erwählten (d. h. den intendierten Lesern), diese Heilstatsachen zu erklären.

Eine sozial- und ideologiegeschichtliche Einordnung beschließt die Untersuchung (Kap. 6): Wie ist der erhobene literarische Befund vor dem Hintergrund zu bewerten, dass Abraham, Isaak und Jakob einerseits, ihre nicht-erwählten Verwandten andererseits "quasi-typological ... representations of relationships between Yehud's immigrant elite and their neighbors" (172) darstellen? Die Antwort ist denkbar einfach. Insofern die Nicht-Erwählung der verwandten Völker ohne Rücksicht auf die Charaktere eines Lot, Ismael, Esau oder Laban allein auf der göttlichen Entscheidung beruhe, seien auch die zeitgenössischen Ammoniter, Moabiter, Araber oder Edomiter von den Judäern, denen als Nachkommen Abrahams, Isaaks und Jakobs das Land gehöre, zu unterscheiden. Unabhängig von Fragen der persönlichen Integrität oder Sympathie gelte: "Achaemenid policy and the divine plan say that they must be differentiated from the Yehudians" (184). Allein die Verschwägerung mit der weiblichen Nachkommenschaft Labans sei nicht illegitim.

Rückfragen an die Untersuchung betreffen die Methode und eine zu einlinige Interpretation der Letztgestalt von Gen 12-36. So hält der Rezensent historische Schlussfolgerungen über den sozialen Kontext und die Intention von Autoren ohne eine eingehende literarhistorische Untersuchung der Quellen grundsätzlich für problematisch. Diese hätte vor allem zu einer differenzierteren Wahrnehmung des Endtextes und seiner Vielstim-migkeit geführt. Schon die Komposition der Erzählungen um Abraham und Lot oder Texte wie Gen 19,30 ff.; Gen 26,34 f. sowie die zahlreichen (redaktionellen) Versuche, Jakobs als zweifelhaft empfundenes Verhalten zu entschuldigen, zeigen deutlich, dass es durchaus Stimmen gab, welche die Erwählung des einen und die Nicht-Erwählung des anderen ethisch begründen wollten. Auch hätte eine literarhistorische Analyse an die Einsicht erinnern können, wonach die älteren Erzählungen und Textschichten in Gen 12-36 die ethnologischen Verhältnisse der Königszeit spiegeln und mittels der Genealogie Aram, Moab, Ammon und Edom, die Nachbarvölker der Königreiche Juda und Israel, in ein zum Teil höchst ambivalentes Verhältnis distanzierter Nähe stellen. Entsprechend blickt der perserzeitliche Pentateuch auf eine recht lange Tradition zurück, in der die Beziehungen innerhalb Israels und diejenigen zu den Nachbarn in ein genealogisches Schema übersetzt werden. Der perserzeitliche Pentateuch ist daher immer auch als ein Prozess der Aneignung und Umformung von Tradition zu würdigen - womit freilich nicht ausgeschlossen ist, dass H. mit seiner Interpretation die Intention einer möglichen Lesart dieser Erzählungen in der persischen Provinz Yehud zutreffend beschrieben hat.

Es bleibt kritisch anzumerken, dass die nicht englischsprachige Forschung kaum zur Kenntnis genommen wird und wichtige neuere Untersuchungen zur Analyse des Pentateuchs und zur Geschichte der persischen Provinz Yehud fehlen.