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Ausgabe:

November/2004

Spalte:

1177–1179

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Martin de Viviés, Pierre de

Titel/Untertitel:

Apocalypses et cosmologie du salut.

Verlag:

Paris: Cerf 2002. 416 S. 8 = Lectio divina, 191. Kart. Euro 37,00. ISBN 2-204-07008-4.

Rezensent:

Klaus Koch

Gleich eingangs betont der Vf., Exeget am Seminar Issy-les-Moulineaux, dass biblische Apokalyptik entgegen einem verbreiteten Vorurteil keine Katastrophenstimmung verbreiten, sondern in einer Zeit der Krise Hoffnung auf salut du monde hervorrufen will. Um das nachzuweisen, werden als die drei wichtigsten Schriften das äthiopische Henochbuch, das Danielbuch und die Johannes-Apokalypse ausgewählt. Untersucht wird nicht das jeweilige eschatologische Aussagegefälle, sondern werden die vorausgesetzten représentations du mal bzw. du salut im Rahmen eines Weltbilds, das zwischen einer guten oberen und einer dem Bösen verfallenen unteren Welt (monde d'en haut/d'en bas) eine grundsätzliche Scheidung vollzieht. In einem ersten Teil werden in diesen Schriften die Gestalten des Bösen, in einem zweiten die des Guten durchmustert.

Teil 1, Kap. 1 (25-68) behandelt unter dem Blickwinkel Du monde d'en haut vers le monde d'en bas das Henochbuch, insbesondere die Funktion der "Wächter", die ihre Bestimmung, Schutzengel der Menschen zu sein, durch ihren Fall verraten und das Böse in die untere Welt gebracht haben. Kap. 2 (69-101) bestimmt umgekehrt Du monde d'en bas vers le monde d'en haut als Thema des Danielbuchs. Untersucht werden die antagonistischen Rollen von Sternen, vom Heer des Himmels, Heiligen, vom Fürst der Fürsten und von den Schutzengeln irdischer Reiche. Ein einheitlicher Ursprung des Bösen tritt nicht zu Tage. Kap. 3 (103-168) erkennt im Drachen der Apokalypse Johannis eine synthèse du mal, indem überlieferungsgeschichtlich verschiedene Figuren zusammengefasst werden und vor allem in Apk. 13 das Tier des Meeres, das Tier der Erde und damit das römische Reich als vecteur des Drachen begriffen werden. Kap. 4 (169-180) fasst zusammen: nach Henoch ist die Bosheit von oben herabgekommen, für Daniel sind die verantwortlichen Agenten Menschen. Beides vereint die neutestamentliche Apokalypse und verbindet den entscheidenden Fall mit Tod und Auferstehung Jesu.

Teil 2 wendet sich den figures du salut zu. Kap. 1 (183-235) betrifft die figures identifiées durch Namen: Michael, Gabriel, Rafael, Uriel, Raguel, Sariel und Remiel, Kap. 2 (237-296) anonyme Gestalten, neben Engeln ohne Namen vor allem den Titel Menschensohn. Der Vf. entscheidet sich - obwohl sie gegenwärtig vielfach (und mit guten Gründen) bestritten wird - für die traditionelle kollektive Deutung: Der Menschensohn gehört der unteren Welt an und bedeutet das Symbol oder den Repräsentanten Israels (wieso er dann mit Wolken des Himmels zu dem, wie der Vf. mit Recht betont, auf Erden stattfindenden Gericht heranfliegen muss, wird nicht erklärt). Kap. 3 (279- 371) wendet sich der Figur Christi in der johanneischen Apokalypse zu und stellt zusammen, was über ihn als Lamm, gekrönten Menschensohn und siegreichen Reiter ausgesagt wird. Dem Leser wird deutlich gemacht, dass Christi Tod und Auferstehung einen contact permanent et bilateral entre le monde d'en haut et le monde d'en bas hervorgerufen hat (370).

Eine Conclusion (375-400) fasst zusammen und hebt die dynamique der apokalyptischen Literatur sowie grandeur et limites ihrer Soteriologie hervor.

Dadurch, dass die für die behandelten Gestalten einschlägigen Textstellen in Übersetzung zitiert werden, eignet sich das Buch zum Nachschlagen für den, der z. B. nach Funktion und Rang der mit Namen ausgezeichneten Engel sucht. Es lässt zudem anschaulich werden, welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede in der Auffassung vom Ursprung des Guten und des Bösen in der Apokalyptik sichtbar werden. Allerdings vermisst man eine Differenzierung innerhalb der einzelnen Werke. Lässt sich, was im Wächterbuch des 1. Henoch steht, mit dem, was später die Bilderreden im gleichen Buch vertreten, auf einen Nenner bringen? Oder lassen sich den aramäischen Danielkapiteln dieselben Konzeptionen zuschreiben wie den hebräischen? Vor allem aber wirkt die strikte Entgegensetzung einer oberen und einer unteren Welt allzu schematisch. Zwischen ihnen vermitteln doch nicht nur kontingent intervenants, vielmehr tritt der andauernde Zusammenhang der einen Schöpfung in der - vom Vf. nicht berücksichtigten - Rolle der ruach hervor; wenn etwa für Henoch Gott "Herr der Geister" heißt, gewiss nicht nur der himmlischen, oder die Windgeister des Himmels das Völkermeer aufwühlen (Dan 7). Auch die ständige Funktion der Gestirne für die den Apokalyptikern so wichtigen irdisch-himmlischen Zeitrhythmen im astronomischen Henoch ließe sich anführen (vgl. weiter den apokryphen Hymnus Dan 3,51-90). - Die Sekundärliteratur des letzten Jahrzehnts, so z. B. die Weichenstellungen im Danielkommentar von J. J. Collins (1993), konnte anscheinend nicht mehr zur Kenntnis genommen werden.