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Ausgabe:

November/2004

Spalte:

1173–1176

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Eldridge, Michael D.

Titel/Untertitel:

Dying Adam with his Multiethnic Family. Understanding the Greek Life of Adam and Eve.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 2001. XVI, 313 S. m. 4 Abb. gr.8 = Studia in Veteris Testamenti Pseudepigrapha, 16. Geb. Euro 91,00. ISBN 90-04-12325-3.

Rezensent:

Thomas Knittel

Unter den apokryphen Schriften des frühen Judentums hat in jüngerer Zeit das so genannte "Leben Adams und Evas" (= LAE, die seit Tischendorf übliche Bezeichnung "Apokalypse des Mose" ist mittlerweile zu Recht weitgehend aufgegeben worden) zunehmende Beachtung gefunden. Es handelt sich dabei vermutlich um einen Text aus dem 1. oder 2. nachchristlichen Jh., der in der jüdischen Diaspora entstanden sein dürfte und eine in verschiedener Hinsicht sehr interessante Nacherzählung der ersten Kapitel der Genesis darstellt. Freilich liegen die Entstehungsverhältnisse im Einzelnen sehr im Dunkeln, was nicht zuletzt daran liegt, dass fünf verschiedene Fassungen überliefert sind (griechisch, lateinisch, armenisch, georgisch und altkirchenslawisch), die ein hohes Maß an Gemeinsamkeit, zugleich aber auch erhebliche Unterschiede erkennen lassen. Die hier zu besprechende Arbeit, eine von Michael A. Knibb betreute Dissertation, widmet sich speziell der griechischen Fassung (im Folgenden als gLAE bezeichnet) und versteht sich als "fully-worked out interpretation" dieses Textes (275 u. ö.).

Des Vf.s Untersuchung ist folgendermaßen aufgebaut: Nach einem ausführlichen Durchgang durch die relevanten Einleitungsfragen (Datierung, Originalsprache, Quellen, Textrekonstruktion, Verhältnis zu den anderen Versionen von LAE) im Teil A (13-133) wendet sich der Vf. einer umfassenden Analyse des Textes zu (Teil B, 135-230). Im abschließenden Teil C (231-281) kommt er schließlich, ausgehend von den Beobachtungen am Text, noch einmal auf die Frage nach den Entstehungsverhältnissen zu sprechen (Handelt es sich um ein jüdisches oder christliches Werk, und in welchem Kontext entstand es?) und legt die sich aus seiner Untersuchung ergebenden Schlussfolgerungen für die weitere Beschäftigung mit gLAE dar. Gerahmt werden diese drei Hauptteile durch eine Einleitung (1-11) und verschiedene Indizes (Literaturverzeichnis, Autoren- und Stellenregister, 285-313).

Der Vf. hebt zu Recht hervor, dass es bislang an einer umfassenden Untersuchung zur Theologie des gLAE fehlte, eine Lücke, die seine "comprehensive interpretation" zu schließen beabsichtigt (2 f.). Freilich ist mir letztlich nicht deutlich geworden, warum sich der Vf. gerade der griechischen Version von LAE zugewendet hat. Sie stellt nach Überzeugung des Vf.s weder die älteste Textform dar (132 u. ö.), was ein gewichtiger Grund wäre, noch ist sie redaktionsgeschichtlich, als Bearbeitung einer älteren Textform, von Interesse, denn der Vf. betrachtet seine Textinterpretation als unabhängig von einer bestimmten Entstehungstheorie (142). Welches theologische oder auch religionsgeschichtliche Interesse hat der Vf. an gLAE? Wenn diese Frage unbeantwortet bleibt, stehen seine durchaus weiterführenden Beobachtungen am Text etwas isoliert im Raum.

Dieses Problem zeigt sich bereits bei der Frage der Datierung (20-30). Der Vf. gibt als Entstehungszeit der griechischen Version den Zeitraum von ca. 100 v. Chr. bis ca. 200 n. Chr. an (z. B. 233), betont aber zugleich, dass die dafür sprechenden Argumente im Grunde nur für die Vorlage dieser Version gelten, da gLAE doch als spätere Rezension des ursprünglichen LAE zu betrachten sei (30, vgl. auch die ausführliche Analyse zu dieser Problematik auf den S. 100-133). Faktisch trennt der Vf. dann nicht zwischen Vorlage und Bearbeitung, bzw. wo er das tut, misst er seinen Beobachtungen kein großes Gewicht für das Verständnis von gLAE bei. Und nur so kann er gLAE als Quelle für das frühe Judentum heranziehen, z. B. im Hinblick auf dessen Frauenbild oder seine Apologetik (278). Hier wäre eine größere Klarheit wünschenswert gewesen, auch wenn zugestandenermaßen vieles hypothetisch bleiben muss.

In der Frage der Originalsprache (31-56) wendet sich der Vf. zu Recht gegen die Annahme einer semitischen Vorlage für gLAE, was der gegenwärtigen opinio communis entspricht, wofür er aber eine ganze Reihe von neuen Argumenten beibringt. Im Abschnitt "the underlying sources" (57-74) fragt er sodann nach dem religionsgeschichtlichen Quellenmaterial, wobei wiederum die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen Vorlage (LAE) und Bearbeitung (gLAE) deutlich wird.

Das Ergebnis bleibt insgesamt recht vage: Die Erzählung greife sowohl auf mythische Überlieferungen (wie z. B. die Tradition vom Fall Satans oder das Lebensbaummotiv) als auch auf hellenistische Vorstellungen vom Leben nach dem Tod (Himmelfahrt der Seele u. a.) zurück, ferner auf "midrashic elements" (Abels Begräbnis, Deutung der Fluchsprüche von Gen 3, Versammlung der Kinder Adams an seinem Sterbebett) und gewisse Überbleibsel alter Traditionen, die nur noch bruchstückhaft in gLAE enthalten seien. Die herangezogenen Kategorien ("myth and legends", "hellenistic conceptions", "midrashic elements", "relic traditions") erlauben freilich keine nähere Eingrenzung des religionsgeschichtlichen Milieus, in dem LAE bzw. gLAE entstanden sein könnte, was vom Vf. offenbar aber auch nicht beabsichtigt war (74: "this investigation into the diverse materials ... has not been intended to produce immediate results").

Bezüglich der "text-critical question" (75-100) spricht sich der Vf. gegen eine grundsätzliche Bevorzugung der Handschriften DSV aus, die M. Nagel in seiner noch heute grundlegenden Studie zur Textüberlieferung von gLAE favorisiert hatte (M. Nagel, La vie grecque d'Adam et d'Eve, Apocalypse de Moise. 3 Bde., Diss. Strassbourg 1972). Vielmehr sei an bestimmten Punkten (allerdings nicht durchgängig) den Handschriften ATLC, die häufig einen erweiterten Text bieten, der Vorzug zu geben. Von neuem wird hier das Fehlen einer zuverlässigen kritischen Edition des Textes schmerzlich bemerkbar.

Nachdem somit die Einleitungsfragen erörtert sind, wendet sich der Vf. der Textanalyse zu. Als Textgrundlage wählt er die bei A.-M. Denis (Concordance Grecque des Pseudépigraphes d'Ancien Testament, Louvain-la-Neuve 1987, 815-818) abgedruckte Textfassung Nagels, deren Beurteilung in der Forschung allerdings umstritten ist, da sie in mancher Hinsicht von Nagels Analyse in früheren Jahren (siehe oben) abweicht. Ich selbst würde vor allem im Blick auf gLAE 13,3b-5 (vgl. 137-140) anders urteilen.

Zunächst untersucht der Vf. im Sinne des "redaction criticism" die besondere "Handschrift" des Erzählers in seiner Bearbeitung von LAE (137- 159), wobei der vermeintlichen Auslassung von armLAE 1-21 (mit Parallelen im georgischen und lateinischen Text) besondere Bedeutung beigemessen wird. Sie führe dazu, dass gLAE 15-30 (Evas Bericht vom Sündenfall) in den Mittelpunkt rückt (142), was auf Grund der universalistischen Tendenz dieses Abschnittes theologisch bedeutsam sei (158). Sodann wendet sich der Vf. der Gattungsfrage zu (160-172) und kommt zu dem Ergebnis, dass gLAE eine "midrashic novella" sei. Zu fragen wäre freilich, was damit für das Verständnis des Textes gewonnen ist.

Das Herzstück der Untersuchung stellen nach meinem Eindruck die folgenden beiden Abschnitte "the narrative discourse" (173-203) und "the narrative act" (204-225) dar. Der Vf. wendet hier erstmalig Fragestellungen des "narrative criticism" und der "speech act theory" auf gLAE an. Zunächst zur narrativen Struktur des Textes (vgl. die Zusammenfassung, 202 f.): Als Autor (184) impliziere die Erzählung eine frühjüdische Person oder Gruppe, die mit der Septuaginta vertraut gewesen und durch die hellenistische Kultur geprägt worden sei (das Attribut "hellenistic" wäre freilich zu präzisieren). Sie wende sich an eine auch für Heiden offene Richtung des frühen Judentums (185). Der Handlungsablauf der Erzählung ("plot") sei durch "two situations of potentiality" bestimmt: die Erkrankung Adams (gLAE 5) und die Verheißung ewigen Lebens in 13,3b (welche ich textkritisch für sekundär halte). Dabei werde die Spannung durch die (für die Leser lange Zeit) ungewisse Haltung Adams und Evas gegenüber Gott aufrecht erhalten und durch den retrospektiven Bericht Evas vom Sündenfall (gLAE 15-30) sowie durch das "setting" der gesamten Erzählung ("inside or outside of paradise") noch verstärkt.

Was lässt sich nun darauf aufbauend mit Hilfe der "speech act theory" über die Erzählabsichten des Erzählers ermitteln (vgl. die Zusammenfassung, 224 f.)? Der Vf. beobachtet, dass der Erzähler zuweilen unmittelbar zu den Lesern spricht, und zwar in Form von Verheißungen und Ermahnungen (28,4; 30,1; 41,3; 43,2 f.), die der Erzählung eine "very high authority" geben. Ferner bietet der Text als "display text" den Lesern Identifikationsmöglichkeiten, die gewissermaßen eine abholende Funktion haben. Er will überzeugen, durch den Inhalt der Erzählung wie auch durch deren Gestalt. Letzteres lässt sich beispielsweise an der Verwendung einer Ich-Erzählerin (Eva) oder auch an der (Sympathie weckenden und damit abholenden) Darstellung der Eva-Figur insgesamt erkennen.

Wovon will nun der Erzähler überzeugen? Damit befasst sich der letzte Abschnitt des zweiten Hauptteils ("the message intended", 226-230), dessen Kürze im Vergleich zu den vorausgehenden Partien allerdings etwas verwundert. Der Erzähler möchte seinen Lesern Gottes Gnade vor Augen führen und sie zur Buße anregen. Er mahnt sie zur Wachsamkeit gegenüber allem "Bösen" sowie zum Festhalten am "Guten" und hält ihnen das ewige Leben als Ziel vor Augen.

Im Teil C geht es dem Vf. schließlich um die "historical significance" der Erzählung; gLAE sei als eine (nichtchristliche) frühjüdische Schrift zu betrachten, die im Diasporajudentum entstand, wobei aber eine genauere Lokalisierung der Entstehungsregion kaum möglich sei (264 f.).

Der Vf. legt eine Studie vor, deren Stärke im angewandten methodischen Instrumentarium und in vielen anregenden Beobachtungen am Text besteht. Das Ergebnis entsprach freilich nicht immer meinen Erwartungen, insofern nicht selten ein Ungleichgewicht zwischen den oft sehr umfangreichen (durchaus auch instruktiven!) literaturtheoretischen Erörterungen und den meist recht knappen und relativ vagen Schlussfolgerungen aus der konkreten Anwendung auf den Text zu beobachten war.

Ein Beispiel hierfür sind die Überlegungen zur Gattung von gLAE (siehe oben), deren Relevanz für die Analyse des Textes mir nicht deutlich wurde und denen der Vf. selbst die Aussage folgen lässt: "Whatever else the Greek Life may be, there can be little dispute over the fact that it belongs to the broad category of writing that may be called narrative" (173).

Ferner vernachlässigt der Vf. nach meinem Urteil die anthropologische Ausrichtung der Erzählung. Sie will nicht nur ermahnen, sondern auch erklären (vgl. die Frage in gLAE 5,3: Was ist Krankheit?). Daher scheint mir der Anspruch des Vf.s, eine "fully worked out interpretation" (siehe oben) von gLAE vorgelegt zu haben, nicht eingelöst, obgleich ich das zu besprechende Buch durchaus mit Gewinn gelesen habe und das kritische Gespräch mit dem Vf. gern weiterführen würde.