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Ausgabe:

Juni/1998

Spalte:

610–614

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Fix, Karl-Heinz

Titel/Untertitel:

Universitätstheologie und Politik. Die Heidelberger Theologische Fakultät in der Weimarer Republik.

Verlag:

Heidelberg: Winter 1994. XI, 365 S. 8 = Heidelberger Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte, N.F. 7. Lw. DM 39,-. ISBN 3-8253-0195-8.

Rezensent:

Berndt Hamm

Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung einer an der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Heidelberg eingereichten Dissertation. Es untersucht in seinem ersten Teil (der allein zwei Drittel der Seiten umfaßt: 17-198) die politische Einstellung derjenigen Professoren und Privatdozenten, die zwischen 1918 und 1933 zur Heidelberger Theologischen Fakultät gehörten, und zwar unabhängig davon, ob sie davor oder danach außerhalb Heidelbergs lehrten. Dabei wird bei den Älteren auch ihre Haltung zum Kaiserreich der Vorkriegszeit und zum Ersten Weltkrieg thematisiert, wie bei den Jüngeren - wenigstens ausblicksweise - auch ihre Stellung zum Nationalsozialismus nach Januar 1933 Berücksichtigung findet. Diese sachgemäße Linienführung über die Zäsuren 1914, 1918 und 1933 hinweg macht die Lektüre der biographisch-theologisch-politischen Einzelcharakterisierungen besonders lohnend. Folgende Theologen werden, geordnet nach dem Zeitpunkt ihrer Berufung nach Heidelberg bzw. ihrer Heidelberger Habilitation, der Reihe nach vorgestellt:

Ludwig Lemme (Ruf 1891, gest. 1927, Syst.), Friedrich Niebergall (Habil. 1903, später Marburg, gest. 1932, Prakt.), Hans v. Schubert (Ruf 1906, gest. 1931, KG), Johannes Bauer (Ruf 1910, gest. 1933, Prakt.), Georg Beer (Ruf 1910, gest. 1946, AT), Otto Frommel (Habil. 1912, gest. 1951, Prakt.), Martin Dibelius (Ruf 1915, gest. 1947, NT), Georg Wobbermin (Ruf 1915, später Göttingen und Berlin, gest. 1943, Syst.), Wilhelm Braun (Habil. 1917, gest. 1923, KG), Ernst Lohmeyer (Habil. 1918, später Breslau und Greifswald, gest. 1946, NT), Robert Jelke (Ruf 1919, gest. 1952, Syst.), Friedrich Küchler (nach seiner Vertreibung aus Straßburg seit 1919 in Heidelberg, gest. 1921, AT), Willy Lüttge (Ruf 1922, gest. 1928, Syst.), Robert Winkler (Habil. 1923, später Breslau, gest. 1983, Syst.), Artur Weiser (Habil. 1922, später Tübingen, gest. 1978, AT), Theodor Odenwald (Habil. 1923, gest. 1970, Syst.), Ernst Stracke (Habil. 1924, später Tübingen, gest. 1963, KG), Julius Wagenmann (Habil. 1925, später Kiel, gest. 1941, KG), Andreas Duhm (Habil. 1927, gest. 1975, Prakt.), Walther Köhler (Ruf 1929, gest. 1946, KG), Heinz-Dietrich Wendland (Habil. 1929, später Kiel und Münster, gest. 1992, NT/Sozialethik), Fritz Haag (Habil. 1930, gest. 1933, AT), Renatus Hupfeld (Ruf 1931, gest. 1968, Prakt.).

Fix diagnostiziert insgesamt bei den Heidelberger Theologen- unabhängig von ihrer Fachrichtung - einen auffallend hohen Politisierungsgrad, besonders seit August 1914, und zwar sowohl ihres außerwissenschaftlichen Wirkens, z. B. in politischen Gruppen und Parteien, in Aufrufen und Predigten, als auch ihrer wissenschaftlichen Publikationen. Es ist erstaunlich, zugleich aber auch typisch für ihr theologisch-wissenschaftliches Sendungsbewußtsein im politischen ,Weltanschauungskampf’ der Ära, wie die Theologen dazu neigen, ihre wissenschaftliche Tätigkeit "weit über das Maß des thematisch, fachlich oder als Reaktion auf Zeitereignisse Gebotenen als Medium der privaten politischen Meinungsäußerung zu nutzen" (297). Dabei steht der hohe Orientierungsanspruch bei den meisten Theologen dieses Zeitalters - und so auch bei der großen Mehrzahl der Heidelberger - in einem krassen Mißverhältnis zur mangelnden Selbständigkeit und Reflektiertheit ihrer politischen Stellungnahmen. Im Sog eher altkonservativ-nationalstaatlicher oder eher jungkonservativ-völkischer Zeitströmungen, der gängigen neoidealistischen und neoromantischen, sozialistischen und nationalistischen, militaristischen und männerbündischen, rassebiologischen und antisemitischen Denkkategorien werden Theologie und Politik derart miteinander verquickt, daß die Theologie ihre biblisch bestimmte Klärungskraft und die politischen Aussagen ihren nüchternen Realitätsbezug verlieren.

Vom ausgehenden Kaiserreich bis in das ,Dritte Reich’ hinein findet sich bei den Heidelbergern das ganze Repertoire der üblichen Angriffe auf die ,seelenlose’ und ,individualistisch zersetzende’ Aufklärungskultur des Westens und seine parlamentarische Parteiendemokratie. In Kontrast dazu treten gängige religiöse Deutungsmuster wie: die einzigartige Sendung Deutschlands im deutschen Kulturkrieg für Europa (19), die Not Deutschlands als stellvertretende Passion des Gottesknechts (37.81; ähnlich 40.48 f. 55.59.193), die Seelenverwandtschaft zwischen Christentum und Germanentum (20.52) oder Luthertum und Deutschtum (55 f.71.123.132.198), das Volkstum und die organische Volksgemeinschaft als gottgestiftete Blut- und Seelengemeinschaft (z. B. 171, wobei schon im Ersten Weltkrieg auch der Rassebegriff präsent ist, 27.122), der "Führergeist" (190) und "heldische Geist" im deutschen Christentum (186) usw. Dem Volksgemeinschaftsideal fehlt auch nicht der charakteristische, vor allem gegen den jüdischen ,Fremdkörper’ gerichtete Ton einer ausgrenzenden Volkshygiene, wenn z. B. Renatus Hupfeld im Jahre 1925 das "Ringen um die völkische Reinheit und Lauterkeit, das Streben, das Blutfremde aus dem Volksorganismus auszuschalten", herleitet aus dem "instinktiven Gefühl, daß man in innerster Gemeinschaft nur mit seelisch gleich organisierten Menschen stehen kann" (191). Dementsprechend begrüßte Hupfeld den NS-Staat mit seiner Abwehrhaltung gegen "volksfremde Elemente" (196), zugleich aber war er Mitglied im Landesbruderrat der Bekennenden Kirche und leitete die Heidelberger Bekenntnisgruppe (198).

All dies wird von Fix im Blick auf die jeweiligen Personen und Zeitphasen sehr differenziert dargestellt, auch wenn er wegen der Vielzahl der berücksichtigten Theologen im Einzelfall nur andeutungsweise die Einbettung der politischen Haltung in eine bestimmte biographische Lebenssituation und eine spezifische Art von Theologie zeigen kann. Dazu bedürfte es weiterführender Einzelstudien, die vor allem bei Niebergall, v. Schubert, Frommel, Dibelius, Wobbermin, Weiser, Köhler, Wendland und Hupfeld sehr ergiebig sein könnten. Für problematisch halte ich es, daß Fix gelegentlich die Vermischung von Politik und Religion in der Kriegstheologie des Ersten Weltkriegs als "untheologisch" oder "pseudotheologisch" charakterisiert (20). Auch wenn diese Art von Theologie - wie so viele Theologien von der Alten Kirche bis in unsere Zeit - einen hohen Ideologieanteil hat, so bleibt sie doch ,Theologie’ (Theologie als Reflexionsgestalt von Religion), obgleich der Charakter einer biblisch-christlichen Theologie geschwunden ist.

Die Heidelberger Fakultät repräsentiert mit ihrem Lehrkörper nicht nur den allgemein verbreiteten hohen Politisierungs- und Ideologisierungsgrad der Evangelisch-Theologischen Fakultäten zwischen 1900 und 1945, sondern sie ist in mancherlei Hinsicht auch außergewöhnlich. Sie erhebt sich über das Durchschnittsniveau durch das fachwissenschaftliche Format und internationale Ansehen einiger ihrer Professoren, deren Arbeiten auch heute noch zum gültigen wissenschaftlichen Lektürekanon zählen: Ernst Troeltsch (in Heidelberg bis zu seinem Wechsel an die Berliner Philosophische Fakultät 1915), Martin Dibelius, Hans v. Schubert und Walther Köhler. Freilich kann man Ähnliches auch von anderen deutschen Theologischen Fakultäten sagen. Wichtiger erscheint mir im Blick auf das besondere Profil Heidelbergs, daß die Heidelberger Theologen einer Universität angehörten, deren Professoren mit ihrer Haltung zur Weimarer Republik gegenüber ihren Kollegen im Reich eine Sonderstellung einnahmen: "Heidelbergs liberale Tradition des 19. Jahrhunderts fortsetzend, bekannten sich überdurchschnittlich viele Dozenten zum neuen Staat und seiner Verfassung oder sie gehörten dem Weimarer Kreis verfassungstreuer Hochschullehrer an" (8). Es waren besonders Angehörige der Juristischen Fakultät (wie Gerhard Anschütz, Alexander Graf zu Dohna, Gustav Radbruch u. a.) und der Philosophischen Fakultät (wie Willy Hellpach, Karl Jaspers, Alfred Weber u. a.), die durch ihre Bereitschaft hervortraten, die Republik im Sinne von Demokratie, Liberalität, Toleranz und Verständigung mit den Kriegsgegnern zu fördern und dem politischen Radikalismus öffentlich entgegenzutreten bzw. auch später dem NS-Staat gegenüber auf scharf ablehnende Distanz zu gehen.

Die große Mehrheit der Heidelberger Theologen, auch der liberalen unter ihnen, konnte sich mit einer solchen ,westlichen’ Haltung nicht anfreunden, doch gab es unter ihnen die nicht nur fachwissenschaftlich, sondern auch durch politisches Augenmaß beeindruckende Gestalt des Neutestamentlers Martin Dibelius (93-116, nicht zu verwechseln mit seinem älteren Vetter Otto Dibelius). In deutlicher Front gegen einen politischen Irrationalismus und Dilettantismus, den er in enger Verbindung mit dem deutsch-professoralen Hang zu metaphysischer Spekulation, mystischem Tiefsinn und unduldsamem Ideenfanatismus sah, wandte er sich neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit mit großer Energie der Tagespolitik zu.

1919 trat er in die linksliberale "Deutsche Demokratische Partei" (DDP) ein, für die er sich in Reden und Zeitungsartikeln engagierte. So unterstützte er 1925, bei der harten Auseinandersetzung um die Nachfolge des verstorbenen Reichspräsidenten Friedrich Ebert, wie seine liberalen Gesinnungsgenossen Adolf v. Harnack, Martin Rade und Otto Baumgarten öffentlich den demokratischen (katholischen) Kandidaten Wilhelm Marx gegen die nationalprotestantische Leitgestalt der antidemokratischen Rechten Paul von Hindenburg. Seine Fakultätskollegen nominierten ihn daraufhin nicht für das turnusgemäß der Fakultät zustehende Rektorat (102). Als sich die DDP 1930 mit antisemitisch-völkischen Gruppen und konservativ-christlichen Gewerkschaftskreisen zur "Deutschen Staatspartei" verband, verließ Dibelius demonstrativ die Partei (104). Es ist lohnend, zusätzlich zu Fix die jüngst erschienene Edition einer Dibelius-Schrift zur Frage der deutschen Schuld (vom Frühjahr 1946) heranzuziehen: Friedrich Wilhelm Graf [Hrsg.]: Martin Dibelius: Selbstbesinnung des Deutschen, Tübingen (Mohr-Siebeck) 1997 (mit einem sehr lesenswerten Nachwort des Herausgebers, das sich wiederholt auf das Buch von Fix stützt). Die seinerzeit unveröffentlicht gebliebene Reflexion des Neutestamentlers ist ein einzigartiges Zeugnis jenes klarsichtigen theologischen und historisch-analytischen Urteilsvermögens, das auch, wie Fix zeigt, seinen Weg durch die Weimarer Republik und die Jahre des ,Dritten Reichs’ bestimmte.

Dibelius war zwar der profilierteste, aber nicht der einzige unter den Heidelberger Theologen, der gegenüber dem weitverbreiteten Rechtsnationalismus, Antiinternationalismus und Antisemitismus der deutschen Theologenzunft eine ungewöhnliche Haltung zeigte. Zu erwähnen sind auch Niebergall (wenn er nach 1918 den Krieg "als überlebtes Phänomen im Völkerleben" bezeichnet und - wie auch Frommel und Odenwald - den Völkerbund begrüßt; 37.47.89.139), Beer und Frommel (wenn sie zusammen mit Dibelius im Januar 1919 eine Erklärung gegen antijüdische Hetze unterschreiben; 81 f.), Köhler (wenn er 1930 ein antihistorisches Denken rügt, das das Erleben emporhebe und Dogmatismus und Orthodoxie wieder aufleben lasse, und betont, daß Kirchengeschichte eine ökumenische Perspektive gewinnen und zur Christentumsgeschichte werden müsse - so wie er auch die übliche Verbindung von Luther und Deutschtum kritisiert; 156.159) und v. Schubert (wenn er 1917 die "großen Freiheitsideen" des Westens und die Menschenrechte als verpflichtende Folgewirkung der Reformation versteht; 57). Solche Äußerungen, die aus der verbreiteten theologischen Antihaltung gegen ,westliche’ Ideen und das Judentum ausscheren, kommen ausschließlich von Theologen, die dem liberalen Lager (im weiteren Sinne) angehören. Die theologisch-politische Grundhaltung der orthodoxen ,Positiven’ und der Vertreter eines konservativen Neuluthertums in Heidelberg verbietet ihnen entsprechende Stellungnahmen.

Allerdings zeigt die Arbeit von Fix auch sehr deutlich, wie wenig theologischer Liberalismus vor antidemokratischem und völkischem Denken bewahrte. Viele der Heidelberger Liberalen (Wobbermin, Winkler, Weiser, Odenwald, Stracke, Wagenmann, Duhm), darunter ausgesprochene Schleiermacherianer, wurden von ihren religiösen Kategorien des Erlebens und der Sittlichkeit über die Brücke völkischer Vergemeinschaftungsideale geradewegs in die Arme eines faszinierenden NS-Staats geführt. Andreas Duhm z. B. entfaltet 1932 eine Theorie von der inneren Affinität, die freie Theologie und völkische Bewegung miteinander verbindet (152).

Im kurzen zweiten Teil seines Buches (199-233) untersucht Fix das Berufungsverhalten der Heidelberger Theologen. Er kommt zum Ergebnis, daß sie im allgemeinen nicht primär nach politischen Kriterien entschieden, sondern Toleranz gegenüber anderen politischen Überzeugungen bewiesen und die fachwissenschaftliche Qualifikation in den Vordergrund stellten. Dabei war stets der nachdrückliche Wunsch der badischen Kirchenleitung beteiligt, daß - besonders im Blick auf die systematisch- und praktisch-theologische Ausbildung - neben dem liberalen auch der ,positive’ Standpunkt in der Fakultät ausreichend vertreten sei.

An ihre Grenzen stieß die politisch offene Haltung der Fakultät im Fall der verhinderten Berufung des Berliner Pfarrers Günther Dehn auf den Lehrstuhl für Praktische Theologie im Jahre 1930/31, der bekanntesten aller politisierten Theologenberufungen zwischen den Weltkriegen (212-232). Dehn galt seinen kirchlichen und politischen Gegnern als Barthianer, Sozialist und Pazifist. Seine zunächst durch das Kultusministerium ausgesprochene Berufung scheiterte nicht nur an der journalistischen Kampagne Gottfried Traubs, die seine nüchterne Haltung gegen eine christliche Verklärung des Krieges denunzierte, sondern auch an den schon vorher geäußerten gravierenden Einwänden der positiven Kirchenleitung, an den politischen Spannungen innerhalb der Gesamtuniversität und nicht zuletzt an den intriganten Machenschaften des theologischen Dekans Jelke. In diese Vorgänge hat Fix durch die Auswertung bisher unberücksichtigten Aktenmaterials neues Licht bringen können. Die in der Forschung bereits bekannte Sonderrolle des Martin Dibelius, der bei der ausschlaggebenden Entscheidung der Fakultät als einziger für Dehn votierte, erhält durch Fix’ Recherchen noch klarere Konturen.

Sehr verdienstvoll ist es, daß der Vf. im dritten Teil (234-296) auch die Theologiestudenten und -studentinnen berücksichtigt (da Baden als erstes Land des Deutschen Reiches 1900 das Frauenstudium erlaubte, gab es seitdem auch Heidelberger Theologiestudentinnen, im Sommersemester 1931 sogar mit einem Anteil von fast einem Viertel und im Zeitraum 1919-1934 mit fünf Promotionen). Fix fragt nach der sozialen Herkunft und Lage der Studierenden (z. B. auch nach der Studienfinanzierung), nach ihrer Einstellung zur Politik und ihrem Engagement in Verbindungen, nach der Arbeit der Fachschaft Theologie und der Haltung der Theologiestudierenden zum Fall Dehn.

Interessant ist, daß bei einer gut besuchten Vollversammlung am 28. Jan. 1931 (zwei Tage nach dem Rückzieher der Ordinarien und des Engeren Senats) etwa zwei Drittel der Studierenden Dehn "als Mensch und hiesigem Professor" ihr Vertrauen aussprachen (290). Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf die auch sonst zu beobachtende ungewöhnliche politische Einstellung der Heidelberger Theologiestudenten, die im Unterschied zu der stark nationalsozialistisch radikalisierten Studentenschaft Heidelbergs und auch im Unterschied zu den mehrheitlich rechtsextremen Theologiestudenten andernorts bis 1933 eine politisch gemäßigte oder unpolitische Haltung einnahmen - und dies, obwohl sie in höherem Maße als die Theologen sonst aus jenem kleinbürgerlichen Milieu des unteren Mittel- (besonders Beamten-)standes stammten, der vor allem die Wählerschaft der NSDAP stellte.

An der vorliegenden Dissertation beeindruckt vor allem die Fülle des ausgewerteten gedruckten Schrifttums und ungedruckten Archivmaterials, aus dem ein höchst belehrendes Gesamtbild der Heidelberger Fakultät über mehr als zwanzig brisante Jahre hinweg erarbeitet wird.

Die politische Fragerichtung des Vf.s ist angesichts der massiven Politisierung der theologischen Zunft berechtigt und notwendig - vor allem bei einer Forschungslage zur Theologiegeschichte zwischen 1900 und 1945, die immer noch allzu oft dadurch gekennzeichnet ist, daß die Verwobenheit der theologischen Ideengeschichte in die politische, soziale und kulturelle Geschichte ihrer Zeit nicht ernst genommen wird, als gäbe es, ablösbar von allem Mentalen, Ideologischen und Politischen, die reine Sphäre des theologischen Gedankens. Fix’ Buch zeigt mit aller Nüchternheit und Sachlichkeit, daß es auch in Heidelberg diese Unschuld des theologisch-wissenschaftlichen Geistes nicht gab.

Man kann beklagen, daß Fix in einem zu hohen Tempo von Person zu Person eilt und dabei weder dem wissenschaftlichen Lebenswerk des einzelnen noch der jeweils besonderen Verquickung von theologischem Denken, politischer Einstellung, sozial bedingter Mentalität, biographischem Lebensweg und individuellem Charakter wirklich gerecht werden kann (und insofern dem theologischen Geist seine Unschuld läßt). Man mag auch monieren, daß der Vf. am Ende zwar eine knappe Zusammenfassung bietet, aber nicht zu vergleichenden und bündelnden thematischen Linienführungen gekommen ist, so wie auch ein Sachregister fehlt. Auch über manche sprachliche Ungeschicklichkeiten und gelegentliche typographische Pannen mag man sich ärgern. Aber man muß würdigen, was für ein Wagnis es für einen Promovenden bedeutet, einen solchen Bogen zu spannen. Insgesamt ist der Versuch gelungen. Fix hat eine sehr beachtliche Arbeit vorgelegt, die für unsere Kenntnis der Geschichte der theologischen Fakultäten im 20. Jh. von Gewinn ist. - Sie reizt, über Fix hinausgehend, zum Vergleich mit anderen Fakultäten Deutschlands. Der spezifische Charakter Heidelbergs innerhalb der Fakultätenlandschaft lag wohl in seiner großen Offenheit für sehr viele theologisch-politische Kombinationsmöglichkeiten und in seiner Abneigung gegenüber Extremen:

Neben einer theologisch liberalen, sehr differenzierten Mehrheitsposition, die sich den verschiedensten politischen Optionen öffnen konnte, stand einerseits ein älteres positiv-konservatives Denken mit starker Affinität zur traditionell deutschnationalen Haltung (Lemme, Braun, Lüttge) und andererseits ein moderner theologischer Konservativismus, in dem neulutherisches Ordnungsdenken mit organologischen Volkstums- und Volksgemeinschaftsidealen verquickt war - etwa in der Art von Althaus bei Jelke, Wendland und Hupfeld. Ein lutherischer Konfessionalismus, wie er für Erlangen, Leipzig oder Rostock charakteristisch war, fehlte in Heidelberg ebenso wie eine Affinität zur Dialektischen Theologie. Keiner der Ordinarien war in den Jahren 1933/34 Mitglied in der NSDAP und bei den Deutschen Christen, keiner engagierte sich aber auch auf seiten der Opposition gegen sie (auch Dibelius nicht). Das unterscheidet Heidelberg einerseits von Fakultäten wie Tübingen und Göttingen, andererseits von solchen wie Marburg und Bonn.