Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2004

Spalte:

1167–1169

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Colpe, Carsten

Titel/Untertitel:

Iranier - Aramäer - Hebräer - Hellenen. Iranische Religionen und ihre Westbeziehungen. Einzelstudien und Versuch einer Zusammenschau.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2003. XVIII, 709 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 154. Lw. Euro 179,00. ISBN 3-16-147800-2.

Rezensent:

Jutta Leonhardt-Balzer

Der Untertitel des Werkes: "Einzelstudien und Versuch einer Zusammenschau" beschreibt die Form des Buches zutreffend. Colpe hat sein ganzes Leben auf dem Gebiet gearbeitet und sammelt in diesem Buch kleine Beiträge aus 44 Jahren seiner Forschungstätigkeit, jedoch nicht in Form einer Aufsatzsammlung, sondern in Kombination mit dem Abriss einer Gesamtsicht des im Titel angedeuteten Gebiets, in dessen Rahmen er die Einzelstudien durch Querverweise einordnet.

Den Aufbau des Buches begründet C. durch seine Überzeugung, dass ein so umfassendes, "... auf die Rolle der zu ihrer Zeit beteiligten Völker und Nationen politisch zugespitztes Thema nicht länger ein großes, wohl aber ein ganzes ..." sei (XIII). Daher zielt die Darstellung des Überblicks einerseits darauf ab, Kriterien darzustellen, "... unter denen eine proto-, eine para- und evtl. eine post-iranische Religionsgeschichte konzipiert werden kann" (XIII). Andererseits sind die 62 (!) Stücke, in denen die Einzelheiten des Themas dargestellt werden, Ausdruck seiner "Weigerung, den Umgang mit dem stofflich Großen zu bevorzugen", da die "Großen Dinge ... für ... Normgewinnung ganz ungeeignet sind" (XIV).

Das Buch besteht aus drei Abteilungen, einer zu systematischen und methodischen Grundfragen, einem historischen Grundriss und aus 62 Einzelstücken. Der historische Grundriss ist aufgeteilt in Teile (1-5) und Kapitel (I-XLIII), die sich an einer chronologischen Darstellung orientieren, und Abschnitte (A-X) über das Entstehen und Vergehen bestimmter Phänomene. Der historische Grundriss enthält Kapitelüberschriften, einige mit und einige ohne Verweise auf einzelne Stücke, zur Darstellung dessen, was in einer vollständigen monographischen Darstellung mit enthalten sein sollte. Diesem umfassenden Ziel einer Gesamtdarstellung ordnet sich auch die Stückauswahl unter. Bei ihr geht es darum, einen Überblick über die im Gesamtthema enthaltenen Einzelthemen zu geben. Die Einzelstücke stammen zwar aus etwa 40 Jahren des Schaffens C.s, sind aber einer neuen Redaktion unterworfen worden. Dennoch sind sie nicht thematisch an den Gesamtaufbau des Bandes angepasst, sondern chronologisch angeordnet worden. Das Verzeichnis der Stücke mit Angaben zu ihrer Erstveröffentlichung findet sich am Ende des Bandes (705 ff.). Es enthält zusätzlich zu den in dem Buch enthaltenen auch noch vier mit 0 gekennzeichnete Stücke, "die sachlich zwar dazugehören, aber weil sie keine wissenschaftlichen Texte sind, nicht abgedruckt wurden" (XVII).

Der Umfang des so abgesteckten Gebiets ist gigantisch. Es umfasst nicht nur einen zeitlichen Rahmen von fast 3000 Jahren (16. Jh. v. Chr. bis 10. Jh. n. Chr. mit einem Schwerpunkt der beiden Jahrtausende um die Zeitenwende), sondern auch ein räumliches Gebiet von der Größe des Alexanderreiches und eine kulturelle und politische Vielfalt, die sich über mindestens vier Weltreiche erstreckt. In seinem Abriss erfasst C. die erste Trennung der Indo- und Irano-Arier und die weitere Ausdifferenzierung der Ost- und Westiranier. Die Gestalt Zarathustras und die Weiterführung dualistischer Gedanken im Zoroastrismus haben einen wichtigen Platz in der Darstellung, nicht nur für die iranische Religionsgeschichte, sondern auch später für das Judentum und die Gnosis. Diese kulturellen Einflüsse wurden politisch ermöglicht durch die Ausbreitung der Westiranier in Gestalt der Meder und Perser.

Die Machtübernahme der persischen Großkönige über den gesamten Orient bis zu ihrer Thronbesteigung als Pharaonen von Ägypten ist ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der Beziehungen zwischen dem Iran und dem Westen. Die Eroberung Persiens durch Alexander kehrt die politischen Machtverhältnisse um, was auch kulturelle Auswirkungen hat in Form des Einflusses des Hellenismus z. B. auf die Entstehung der Mithrasmysterien, die Entwicklung der ursprünglichen Mager zu den hellenisierten Magiern, und umgekehrt die Verarbeitung einiger iranischer Traditionen in der Apokalyptik und der Gnosis. Nach dem Aufstieg Roms tritt der iranische Osten in der wachsenden Bedeutung der Parther in Erscheinung. Schließlich zeigt sich der Einfluss des iranischen Erbes bei den Völkern auf iranischem Boden nicht nur in einzelnen Aspekten kultureller Traditionen, sondern sogar in bestimmten Formen des Islams.

Allein schon in diesem groben Überblick wird deutlich, wie wichtig es ist, die gegenseitige Befruchtung der iranischen und der westlichen Traditionen nachzuzeichnen. Der große Überblick über die Gesamtentwicklung ermöglicht es, Beziehungen zu sehen - oder unabhängige Entwicklungen festzustellen (z. B. in den Ursprüngen der iranischen und jüdischen Apokalyptik). In dem immensen Stoffreichtum liegt jedoch die Gefahr der Pauschalisierung. Dem will C. durch einen gezielten Blick auf Einzelheiten entgegenwirken. Von seiner Grundkonzeption her ist das Buch ein dringendes Desiderat.

So nötig ein solcher Überblick ist, mit seinem Buch strebt C. keine abschließende Behandlung des Themas an. Das zeigt sich schon an der Auswahl der "Stücke" aus einem Zeitraum von über 40 Jahren: Die meisten Stücke können nicht den Anspruch erheben, den neuesten Forschungsstand wiederzugeben. Der Abdruck von über 30 Jahre alten Rezensionen als Ersatz für die Behandlung ganzer Themenbereiche (z. B. Stücke 7 und 15) lässt sich nur mit der Absicht erklären, einen allgemeinen Hinweis auf die Themenrichtung der in einer abschließenden Behandlung nötigen Einzelstudien zu geben. Auch ausführlichere Stücke beziehen sich nicht auf die aktuelle Forschung. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn der einzige Beitrag (Stück 2), der sich mit einem so komplexen Thema wie dem Verhältnis zwischen dem Iran und den Qumranschriften auseinander setzt, aus dem Jahr 1957 stammt, als die Qumranforschung noch in ihren Kinderschuhen steckte. In den letzten 45 Jahren hat sich hier viel bewegt. Gerade im Zusammenhang der Einordnung der Zweigeisterlehre kann man nicht über die Entwicklung der letzten Jahre hinwegsehen. Ein ähnliches Problem zeigt sich, wenn zur Darstellung der Lehre Valentins in Stück 48 ein Text wiedergegeben wird, der aus dem Jahr 1990 stammt und somit die grundlegende Arbeit von Ch. Markschies (Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis, WUNT 62, Tübingen 1992) unberücksichtigt lassen muss.

Die Auswahl alter Beiträge und ihre zeitliche Anordnung wäre an sich nicht so problematisch, wenn an anderen Stellen Beiträge im Zusammenhang der komplizierten Redaktionsgeschichte des Bandes nicht so eindeutig überarbeitet worden wären. Die von C. gewählte rein zeitliche Anordnung der Stücke hat den Vorteil, dass sie einen Überblick über die Entstehung der Stücke wie auch über ihre Einordnung in das Werk C.s und die jeweilige Forschungsdiskussion zur Zeit ihrer Abfassung ermöglicht. Dieser Überblick wird jedoch durch die offensichtliche neue Überarbeitung einiger Stücke erschwert. Ein Beispiel dafür ist Stück 17, ein bisher unveröffentlichter Text (ursprünglich aus dem Jahr 1972), der stark im Hinblick auf die Gesamtanlage des Buches bearbeitet wurde. Belege anhand von Primärquellen fehlen in diesem Stück völlig, und jegliche Detailargumente sind durch Verweise auf Parallelstücke ersetzt worden. Wenn schon die zeitliche Anordnung aufgebrochen wird, wäre dann nicht eine thematische Anordnung der Stücke insgesamt doch besser gewesen, zumal ohnehin andere, ursprünglich zusammenhängende Beiträge auf Grund ihrer thematischen Verschiedenheit getrennt worden sind (z. B. Stücke 23 und 24 und die Stücke 31-33.34-42)?

Der Neuabdruck der Stücke hatte eine Reihe von bedauerlichen und wohl nicht beabsichtigten Nebeneffekten. So beginnt z. B. Stück 23 mit einer unverständlichen und mit dem Zusammenhang unverbundenen Klammer. Danach folgt der erste Satz des Abdrucks (in der zweiten Zeile) und die erste Fußnote mit der Nr. 6. Ein Vergleich mit der Erstveröffentlichung des Aufsatzes aus dem Jahr 1977 zeigt, dass präzise die erste Seite fehlt und durch besagte Klammer ersetzt wurde. Mit der ersten Seite fehlen aber auch jegliche Angaben, auf welche Schrift sich der Aufsatz bezieht (der Zostrianos aus Nag Hammadi Kodex VIII), wie auch sämtliche bibliographischen Angaben, was das gesamte Stück ohne Nachschlagen im Original fast unverständlich werden lässt. Auch auf S. 707 im Stückverzeichnis sind Wort- oder Satzteile (zu Stück 31) verloren gegangen. Ein weiteres Problem der unveränderten Wiedergabe einiger Stücke ist, dass gelegentliche Querverweise innerhalb des ursprünglichen Kontexts verloren gehen (z. B. in Stück 29, S. 415 oder in Stück 43, S. 509).

Bei allen Problemen in der Ausführung zeichnet der Band die Arbeit eines Mannes nach, der das Feld der Beziehungen zwischen dem Iran, dem Judentum, dem Hellenismus und der Gnosis im Laufe seines Lebens wesentlich mit geprägt hat. Das Buch leistet zweierlei: Es zeigt die Themengebiete und Fragestellungen in ihrer Reihenfolge im Leben des Autors, und es stellt die Aufgabe an die zukünftige Forschung im Grenzgebiet der verschiedenen Bereiche, die sich mit dem alten Iran auseinander setzen, dieses Gebiet in einer umfassenden und zusammenhängenden Darstellung aufzuarbeiten. Mit seinem Buch hat C. einen ersten Schritt in diese Richtung gewagt und mit der Aufgabe gleichzeitig ein Vermächtnis hinterlassen für alle, die sich mit dem Gebiet auseinander setzen.