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Ausgabe:

Oktober/2004

Spalte:

1113–1115

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Vischer, Lukas [Ed.]

Titel/Untertitel:

Christian Worship in Reformed Churches Past and Present.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2003. XII, 432 S. gr.8. Kart. US$ 45,00. ISBN 0-8028-0520-5.

Rezensent:

Ralph Kunz

Das Ziel dieser Publikation ist nicht unbescheiden: "This book can help many of us Reformed Christians to sense the global scope of the Reformed branch of the Christian church [...] This book helps us understand how the Reformed tradition need not be dependent on a particular ethnic or cultural context." (x) Was aber macht den reformierten Gottesdienst unverwechselbar? Um auf diese Frage eine Antwort zu geben, haben sich rund 20 reformierte Theologen und Liturgiker aus der ganzen Welt im Januar 2001 im John-Knox-Center getroffen. Lukas Vischer hat die 21 Beiträge dieser Konsultation herausgegeben. Es ist zugleich der dritte Band in der Reihe "Liturgical studies series", die von John D. Witvliet, Leiter des "Calvin Institute of Christian Worship" im Calvin Theological Seminary in Grand Rapids, herausgegeben wird.

Dass die Verbindung zwischen ethnischer und konfessioneller Identität brüchig geworden ist, wird niemand bestreiten wollen. Einleuchtend ist auch die Methode, die verfolgt wird, nämlich durch Ausloten der geschichtlichen Hintergründe und Entwicklungen in den verschiedenen Regionen der Welt ein Bild der gegenwärtigen Situation der reformierten Gottesdiensttradition zu zeichnen. Dieses vielfarbige Bild - V. spricht von einem Blumenstrauß - ist die Grundlage für die Suche nach Inhalten ("ingredients"), die die reformierte Gottesdiensttradition auszeichnen und ihre besondere Farbe im größeren Strauß der Ökumene ausmachen. Hinter dem Buchprojekt ist ein Anliegen vieler reformierter Theologen der Gegenwart zu erkennen. Es geht darum, mehr Profil zu zeigen und reformierte Identität zu markieren. Weil der Gottesdienst eine öffentliche Darstellung des Glaubens ist, bekommt dieses Anliegen hinsichtlich der Liturgie eine spezielle Relevanz und Dringlichkeit. Gibt es etwas, das den reformierten Gottesdienst rund um den Globus erkennbar macht? Und was ist dieses "gewisse Etwas"? Im ersten Teil führen historische Überblicke die Entwicklung der reformierten Gottesdienstkultur in verschiedenen Regionen der Welt vor Augen (3-279).

Historischer Ursprung und Grundlage für alles Folgende ist die Gottesdienstreform im 16. Jh. (Elsie McKee, 3-31). Wie dieser Ursprung weiterhin als Impuls für die Erneuerung wahrgenommen werden kann, zeigt neben den regionalen Berichten auch die Diskussion. Deren Ergebnis, "A Common Reflection on Christian Worship in Reformed Churches Today" (281- 307), bildet den zweiten Teil. Im Schlussteil werden einzelne Themen vertieft. Die Besprechung von drei Beiträgen soll einen Eindruck des Ganzen vermitteln:

Elsie McKee versucht in ihrem Beitrag, die wichtigsten Daten der reformierten Gottesdienstreform in Zürich und Genf zu skizzieren. Die Darstellung der zwinglischen Reform überzeugt den Rezensenten allerdings nicht. Vieles ist historisch ungenau oder einfach falsch, wie z. B. dieser Anachronismus: "In the first place, they (= the Protestants) regarded the object and conception of worship in the Roman Catholic Church as wrong." (8) Über die liturgiegeschichtlichen Hintergründe des Predigtgottesdienstes erfährt man wenig, ein Hinweis auf Surgants Pronaus oder den oberdeutschen Prädikantengottesdienst fehlt. Umso wertvoller ist der kurze Abriss der Gottesdiensttheologie Calvins. M. schöpft hier aus dem Vollen. Es gelingt ihr, in wenigen Strichen die charakteristischen Merkmale der calvinistischen Gottesdienst-, Gebets- und Lebensform auszuleuchten: das neue Konzept der liturgischen Zeit verbunden mit einer größeren Beachtung des Alten Testamentes in den Lesungen (18), die zentrale Rolle der Psalmen in der Anbetung (19 f.), Calvins besondere Wertschätzung des Abendmahls (22 f.) und die Verbindung von Frömmigkeit und Ethos (23 f.).

Bruno Bürki schreibt über den reformierten Gottesdienst in Kontinentaleuropa seit dem 17. Jh. (32-65). B. bietet einen exzellenten Überblick mit einigen Trouvaillen für den deutschen Leser. Zum Beispiel die Miniatur über Jean-Frédéric Ostervald, den Vertreter der vernünftigen Orthodoxie, der in der frühen Aufklärung in Neuchâtel wirkte (37 ff.). Ostervald übernahm Gebete und Riten aus der anglikanischen Liturgie. Taufe und Abendmahl waren z. T. wörtlich nach dem Book of Common Prayer gestaltet. B. zeigt dann auf, wie sich Aufklärung und zunehmend auch der Pietismus prägend auf die Reformen im 19. Jh. ausgewirkt haben. Besser bekannt sind dem deutschen Leser Friedrich Schleiermacher und August Ebrard (42-45). Aber wer kennt Eugène Bersier? Der Pfarrer in der Paroisse de L'Etoile in Paris leitete eine liturgische Erneuerung im frankophonen Protestantismus ein. Er war beeinflusst von der katholischen Liturgie, die allerdings über einen Umweg zu ihm gelangte. Bersier bekam eine französische Übersetzung des Missale und der Riten der Irvingianer in die Hand (46-48). Die Impulse im 19. Jh. boten einen fruchtbaren Boden für die liturgische Erneuerung im 20. Jh., blieben allerdings in der ersten Hälfte auf Frankreich und die Suisse romande beschränkt (48-50). Die liturgische Bewegung (Michaelsbruderschaft), die Wort-Gottes-Theologie (Karl Barth) und Entwicklungen im Reformierten Bund (Karl Halaski) führten dann aber auch im deutschen (und holländischen) Sprachraum zu einer neuen Wertschätzung der Liturgie (50-56). B.s Darstellung der reformierten Gottesdienstgeschichte ist mit unverhohlener Sympathie für die frankophone Gottesdiensttradition geschrieben. Die innerreformierte Ökumene könnte an Farbe gewinnen, wenn sie sich von dieser Sympathie inspirieren ließe.

A Common Reflection on Christian Worship in Reformed Churches Today ist das gemeinsam erarbeitete Manifest der Genfer Tagung (281- 307). Es ist der Versuch, in der verwirrenden Vielfalt reformierter Gottesdienstpraxis das gemeinsame Erbe aufzuspüren und daraus Impulse für die Erneuerung der Liturgie zu gewinnen, Impulse, die für koreanische, südafrikanische, schottische, ungarische und französische Reformierte wegleitend sein können. Einiges, was die Arbeitsgruppe formuliert, bleibt entsprechend vage. Sie kommt aber auch zu sehr profilierten Aussagen. "What makes our worship Reformed in every time and place is, [...] the continued attempt to respond in worship, in the light of the Holy Scripture, to the presence of Jesus Christ in the power of the Holy Spirit. Our primary concern is not that worship should be Reformed but that it should be truly Christian worship." (282) Das ist ein klares Bekenntnis zu einer evangelischen Katholizität. Was im Weiteren unter dem Titel "Searching for Authentic Christian Worship Today" vorgetragen wird, muss diesem Anspruch genügen. Die Betonung der Trinität (283), das Festhalten an der Taufe als Basissakrament (284) und der Hinweis auf die liturgische Dramaturgie sprechen dafür. Ungeachtet der Unterschiede zwischen der freien (Kirchenbuchtradition) und der geformten Weise des Betens (Agendentradition) gilt der Grundsatz: "Each element has its own value and all are indispensible parts of the whole movement leading from gathering to being sent again." (287) Das Positionspapier enthält einige Punkte, die nach einer vertieften Diskussion rufen, so z. B. die (etwas strikte) Ablehnung einer Zielgruppenorientierung. "We should resist the tendency to ignore certain age groups in our worship or to offer different styles of worship for different generations." (295)

Zum Ganzen: Das Buch bietet im historischen Teil einen generellen Überblick, im Reflexionspapier interessante Impulse und in den Vertiefungen pointierte Positionen. Von einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit aktuellen Gottesdienstfragen wäre sicher mehr zu erwarten. Die Herausgeber wollen aber etwas anderes. Darum ist es müßig, historische oder liturgiewissenschaftliche Sorgfalt im Detail zu fordern. Hinter dem Buch steckt die Idee, eine Gottesdiensttheologie für alle Reformierten zu entwerfen. Das ist ein hoher Anspruch, aber für die reformierte Gemeinschaft ein wichtiger Anstoß zum Gespräch. Deshalb ist es verdienstvoll, dass der Herausgeber sich an diese große Aufgabe herangewagt hat. Wer sich mit der Vielfalt, den theologischen Prämissen und der geistlichen Tiefe der reformierten Gottesdienstpraxis beschäftigen will, kommt an diesem Buch nicht vorbei.