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Ausgabe:

Oktober/2004

Spalte:

1111–1113

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Plusa, Slawomir

Titel/Untertitel:

Das Predigtgespräch als Ort des lebendigen Lernens. Zur Fruchtbarkeit der Themenzentrierten Interaktion (TZI) in der Predigtausbildung.

Verlag:

Würzburg: Echter 2002. 303 S. gr.8 = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 51. Kart. Euro 24,50. ISBN 3-429-02474-9.

Rezensent:

Ralph Kunz

Slawomir Plusa, Dozent für Homiletik und Studentenseelsorger im polnischen Bistum Radom, zeigt in seiner Promotionsschrift, wie die Themenzentrierte Interaktion (TZI) für die Predigtpraxis und -ausbildung fruchtbar gemacht werden kann. Die Methodik der TZI und ihre vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten sind schon seit längerer Zeit ein Thema der praktisch-theologischen Diskussion. Neu ist der starke Fokus auf das Predigtvorgespräch. Das Interesse des Vf.s konzentriert sich auf die Lernerfahrungen in der Vorbereitung der Predigt, weil er darin zu Recht eine Weiterentwicklung der Predigtdidaktik erkennt (16-46). Akzente werden bei der lern-, handlungs- und symboltheoretischen Einbettung der Gesprächsmethode und ihrer Rezeption gesetzt (46-133). Zwei Vorbereitungsgespräche im "Würzburger Predigtkurs" (vgl. dazu Ratzmann/Steinhäuser 2002, 437 ff.), in dem die TZI als Gesprächsführungsmethode für die Vorbereitung der Predigt geübt wird, bilden die Grundlage für den empirischen Teil (134-285). Im kurzen Ausblick werden die Erkenntnisse gebündelt und Konsequenzen sowohl für die Predigtausbildung als auch für die Predigtpraxis gezogen (286-291).

Die Arbeit behandelt ein Thema, das auf dem Schnittfeld zwischen Homiletik, Pädagogik und Seelsorge liegt. Wo und wie lernen Prediger, so zu sprechen, dass ihre Hörer das Evangelium verstehen und mit ihrem eigenen Leben in Verbindung bringen können? Für den polnischen Hintergrund des Vf.s ist diese Frage von besonderer Relevanz. Ende der 60er Jahre schuf das II. Vatikanische Konzil die Grundlage für eine neue Wertschätzung der Homilie auch in der katholischen Kirche (16 f.). Begleitet wurde dieser Öffnungsprozess in der Kirche von einer Wende in der evangelischen und katholischen Homiletik, einer Wende, die in der polnischen Kirche nicht mitvollzogen wurde. Mit dem Ende des Realsozialismus hat sich die Rolle der Kirche und ihrer Verkündigung aber verändert. Sowohl gesellschaftliche als auch kirchliche Entwicklungen führten zu einem Verständnis der Predigt als dialogisches Kommunikationsgeschehen. Der Vf. weist auch auf Versuche hin, Predigt als Dialog zu gestalten und dadurch ihren Gesprächscharakter zu stärken (25f.). Aber eine Rede ist nur ein virtuelles Gespräch und ein Gespräch wirkt als Rede aufgeführt schnell künstlich. Der Vf. macht geltend, dass im Rahmen der Predigtdidaktik ein Zusammenhang zwischen dialogischer Rede und Gespräch gefunden werden kann (26 ff.). Die Predigerin lernt im Gespräch von ihren Hörerinnen auf zwei Weisen: einerseits im Nachhinein als Predigtkritik (29 ff.) und andererseits beim Predigtvorgespräch im Rahmen der homiletischen Lerngruppe. Die Methode der gemeinsamen Vorbereitung, das so genannte Schriftgespräch, basiert auf der Homiletik von Ernst Lange (1976) und wurde von Rolf Zerfass (1987) weiterentwickelt. Zentrales Anliegen ist die Mitbeteiligung der Hörer in der Exegese. Dem Vf. gelingt in diesem ersten Teil der Arbeit eine knappe Skizze der homiletischen Diskussion freilich unter Ausblendung der kritischen Rezeption von Langes Situations- und Kommunikationshomiletik. Innerhalb der gewählten Fragestellung wird aber plausibel, warum die Einsatzmöglichkeiten der TZI im Predigtvorgespräch positiv einzuschätzen sind.

Die Darstellung der Gesprächsmethode, ihr geschichtlicher Hintergrund (46 ff.), das Konzept und die Methode (50 ff.), ihre humanistische Vision (54 ff.), ihre Ziele (58 ff.) und anthropologische Basis (65 ff.), ist kurz und prägnant. Instruktiv ist auch der Überblick über die Rezeption in den pastoralen Handlungsfeldern (72 ff.). Für den Vf. wird Ruth Cohns ursprüngliche Bezeichnung der TZI, "Lebendiges Lernen", zum Leitbegriff der theologischen Anwendungen (59). Im Konzept des Lebendigen Lernens wird die Spannung zwischen individueller Erfahrung und sozialer Wirklichkeit kreativ genutzt. Der Lernstoff wird personalisiert und dadurch kommunizierbar. Von dieser pädagogischen Zielsetzung her werden handlungs-, lern- und symboltheoretische Impulse in der praktisch-theologischen Debatte neu beleuchtet. Besonders fruchtbar wird die Relecture verschiedener Stränge der Theoriediskussion im Rahmen einer theologischen Symboltheorie (113 ff.). TZI wird als Auslöser von Resymbolisierungsprozessen zur Grundlage für ein Wechselspiel zwischen Interaktion und Inhalt der Verkündigung (128 ff.).

Im empirischen Teil werden die erarbeiteten Theorie-Impulse erprobt. Weil es um die Wirkung des erlebnishaften, ganzheitlichen und vorwissenschaftlichen Zugangs zum Text im Schriftgespräch geht (134), richtet sich das besondere Interesse auf die Entwicklung der Gesprächsdynamik und die Resymbolisierungsprozesse, die durch dieses Gespräch ausgelöst werden. Es soll geprüft werden, ob das geleitete Gespräch über einen Text tatsächlich zum Wechselspiel zwischen Emotionalem und Rationalem führt. Methodisch orientiert sich der Vf. für die Gesprächsanalyse an Lamnek (1993) und Mayring (1992). Die Leitfragen sind: Wie kommuniziert die Gruppe? Was lernt sie resp. der Prediger von der Dynamik der Gruppe? Wie wirkt sich das Gespräch auf die konkrete Predigt aus? Die Gespräche werden in Sequenzen zerlegt, analysiert und bewertet. Der empirische Teil bestätigt weitgehend das positive Urteil über die TZI. Am ergiebigsten ist die Analyse des symbolischen Gehalts des Predigtvorgesprächs.

Im kurzen Schlussteil zieht der Vf. Bilanz. Dabei wird noch einmal der Gewinn, den ein TZI-geleitetes Predigtvorgespräch für die spätere Predigtarbeit in der Gemeinde einspielt, hervorgehoben. Die Quintessenz für die Predigtausbildung lautet: "Die Aufgabe der Predigtausbildung besteht also darin, Orte vorzubereiten, an denen der Prediger eine Sprache lernen kann, die kommunikativ ist, weil sie aus der Begegnung mit anderen Menschen entsteht und von ihnen verstanden wird. Mehr noch als die Nachbesprechung der Predigt ist das Predigtvorgespräch ein solcher Ort." (288) Leider wird nicht weiter ausgeführt, wie das Modell der Predigtvorbereitung in der Gemeindepraxis angepasst und umgesetzt werden kann.

Dem Vf. ist ein eindrückliches Plädoyer für das Predigtgespräch als Ort lebendigen Lernens gelungen. Es enthält einige bedenkenswerte Impulse, die aber für die weitere Diskussion kybernetisch präzisiert und homiletisch vertieft werden müssen. Ein von der TZI inspiriertes Sprechen müsste vor allem die Kritik der idealen Kommunikation, wie sie in der rezeptionsästhetischen Homiletik (Engemann) und dem religionsphänomenologischen Protest gegen die "Wut des Verstehens" (Josuttis) zur Sprache kommt, aufnehmen. Inwieweit das Leitprinzip lebendigen Lernens, die dynamische Balance zwischen Rationalem und Emotionalem, Begriff und Bild, Stille und Sprechen usw. für ein solches Gespräch die geeignete Basis darstellt, wäre m. E. einer kritischen Prüfung zu unterziehen.