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Ausgabe:

Oktober/2004

Spalte:

1109–1111

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Günther, Jörn

Titel/Untertitel:

Wenn die Ehe scheitert. Eine empirisch-theologische Studie zur Trennungskrise und Religiosität bei Ehepartnern.

Verlag:

Würzburg: Echter 2003. 573 S. m. 18 Abb. gr.8 = Studien zur Theologie und Praxis der Caritas und Sozialen Pastoral, 21. Kart. Euro 32,80. ISBN 3-429-02508-7.

Rezensent:

Gerald Kretzschmar

Mit dem Scheitern einer Ehe ist ein Phänomen gegeben, das sich im Hinblick auf den Wirkungszusammenhang von Trennungskrise und Religiosität beschreiben und deuten lässt. Das ist die forschungsleitende Hypothese, die der an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Passau entstandenen Dissertation zu Grunde liegt. Mit seiner Fragestellung widmet sich der Vf. einer Thematik, die zumindest im deutschsprachigen Raum bislang so gut wie gar nicht bearbeitet wurde. Das gilt sowohl für die praktisch-theologische als auch die empirisch-sozialwissenschaftliche Forschung. Insofern widmet er sich einem theologischen wie sozialwissenschaftlichem Desiderat, dessen Bearbeitung angesichts der Involviertheit der Kirchen in den Prozess der Eheschließung (kirchliche Trauung!) bei gleichzeitigem Verbleib der Scheidungszahlen auf hohem Niveau unbedingt geboten scheint.

G. wählt für seine Studie einen empirischen Zugang zur Thematik. Im ersten phänomenologisch orientierten Teil werden der bisherige wissenschaftliche Kenntnisstand zur Trennungskrise bei Ehepartnern sowie ausgewählte Facetten des aktuellen Diskurses um die Religiosität in der modernen Gesellschaft präsentiert. Außerdem wird der gegenwärtige Forschungsstand zum Wirkungszusammenhang von Krise und Religiosität beleuchtet. Dazu wird herausgestellt: Krise und Religiosität werden vor allem im Kontext eines funktionalen, auf Kontingenzbewältigungspraxis zielenden Religionsbegriffs durchaus thematisiert. Nicht auffindbar in der Reihe der Kontingenzen, auf die dieser Religionsbegriff in der Regel bezogen wird, ist allerdings das Phänomen der Trennungskrise bzw. der Trennung von Ehepartnern.

Das zweite Kapitel informiert über den empirisch-reflexiven Zugang der Studie. Dabei wird zunächst eine theologische Verortung der Studie im Feld einer als Handlungswissenschaft verstandenen subjektorientierten Praktischen Theologie vorgenommen. Als Ort, an dem sich das Handeln Gottes an und mit dem Menschen realisiert, wird die Lebensgeschichte von Menschen als prominenteste Quelle praktisch-theologischer Forschung herausgestellt. Auf dieser Grundlage rekurriert die Studie auf eine qualitativ-empirische Methode, mit deren Hilfe die (religiösen) Plausibilisierungsstrukturen von Menschen, die eine Trennungskrise und schließlich eine Trennung durchlaufen haben, rekonstruiert werden sollen. Konkret handelt es sich bei der angewandten Methode um problemorientierte leitfadenstrukturierte Interviews, die in Anlehnung an Mayrings Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse computergestützt ausgewertet wurden.

Befragt wurden insgesamt acht Personen aus dem Raum Passau. Dabei handelt es sich um Personen, deren Trennung vom Ehepartner nicht länger als sechs Jahre zurückliegt, die länger als ein Jahr mit dem Ehepartner zusammengelebt haben und die nach der Trennung wieder ein eigenständiges Leben geführt haben.

Das dritte und umfangreichste Kapitel der Studie präsentiert schließlich den praktisch-theologischen Ertrag. Dabei werden mit Hilfe von Verdichtungsprotokollen für jeden analysierten Fall der Beziehungs- und Trennungsverlauf geschildert sowie die wesentlichen Facetten der Religiosität der Befragten beschrieben. Die beim Einzelfall ansetzenden Verdichtungsprotokolle münden in eine fallübergreifende Typisierung, die insgesamt vier Muster bietet, die den Zusammenhang zwischen Trennungskrise respektive Trennung und Religiosität charakterisieren. Religiosität wird dabei elementarisiert durch den Rekurs auf Ausdrucksformen religiöser Praxis und Gottesbilder bzw. Gottesbeziehungen. Der erste Typus weist durch die Trennungskrise eine Veränderung des Gottesbildes und gleichzeitig eine Konstanz der religiösen Praxis auf, der zweite Typus eine Veränderung des Gottesbildes sowie der religiösen Praxis, der dritte eine Konstanz des Gottesbildes, aber eine Veränderung der religiösen Praxis, der vierte Typus schließlich weist sowohl eine Konstanz des Gottesbildes als auch der religiösen Praxis auf.

Die weiteren Abschnitte der Ergebnispräsentation verlassen die Ebene der Einzelfälle und bieten fallübergreifende Ergebnisse. Dabei stehen zunächst die Wahrnehmung und Deutung der Trennungskrise im Vordergrund. Phasenspezifische Merkmale vor und nach der Trennung, spezifische Trennungserlebnisse, Bewältigungsformen der Trennung sowie veränderte Einstellungen zur Trennung werden hier anhand von Interviewausschnitten illustriert. Im Anschluss daran werden die Analyseergebnisse über den Wirkungszusammenhang von Trennungskrise und Religiosität präsentiert. Unter anderem wird dabei auf Vorstellungen über die Ehe im Kontext von Hochzeit und Trennungserfahrung eingegangen, auf Gottesbilder im Kontext der Beziehungs- und Trennungsgeschichte und auf Ausdrucksformen religiöser Praxis vor, während und nach der Trennung.

Die Studie schließt mit einem Kapitel, das exemplarische Perspektiven und Impulse für die pastorale Praxis bietet.

Bilanzierend kann festgehalten werden: Die Studie bietet einen wertvollen Beitrag zur praktisch-theologischen Wahrnehmung und Reflexion der Phänomene Trennung und Trennungskrise. Die präsentierten bereits vorhandenen Theoriebestände und neue empirische Erkenntnisse stellen eine bislang so nicht vorhandene Basis dar, sich praktisch-theologisch mit diesem Phänomen zu befassen. Hinsichtlich der angewandten empirischen Methodik ließen sich kritische Anfragen stellen: insbesondere, ob es tatsächlich gelingt, mit einem leitfadenstrukturierten Interview und anschließender computergestützter Auswertung die Lebensgeschichte von Menschen mit ihren spezifischen Plausibilisierungs- und Sinnstrukturen zu rekonstruieren, um diese für die Forschungsfrage nutzbar zu machen. Folgestudien zu dieser Thematik wären nicht zuletzt auf Grund der anhaltend hohen gesellschaftlichen und kirchlich-theologischen Relevanz des Themas Ehescheidung wünschenswert.