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Ausgabe:

Oktober/2004

Spalte:

1105–1107

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Grethlein, Christian, u. Günther Ruddat [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Liturgisches Kompendium.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003. 480 S. m. 4 Abb. 8. Kart. Euro 31,90. ISBN 3-525-57211-5.

Rezensent:

Wilfried Engemann

Das Liturgische Kompendium erscheint fast zur gleichen Zeit und im selben Verlag wie das von H.-Ch. Schmidt-Lauber, M.Meyer-Blanck und K.-H. Bieritz herausgegebene Handbuch der Liturgik. Da "Kompendium" und "Handbuch" - zumindest von der allgemeinen Publikationspraxis her - austauschbare Begriffe sind, kann nur ein Blick in beide liturgische Werke Klarheit verschaffen: Verfolgen die Autoren des Handbuchs das Ziel, in den einzelnen Beiträgen u. a. den gegenwärtigen Wissensstand der Liturgik widerzuspiegeln, haben Ch. Grethlein und G. Ruddat ein besonderes didaktisches Interesse, das die Konzeption ihres Buches prägt: Angesichts des in großem Umfang bereits zur Verfügung stehenden liturgischen Fachwissens, der zunehmenden Relevanz liturgischer Aspekte in der religions- und gemeindepädagogischen Ausbildung sowie vor dem Hintergrund eines deutlichen Wandels der gottesdienstlichen Situation geht es primär nicht um (schon wieder) neue liturgiewissenschaftliche Einsichten. Die Ausgangsfrage des Buches ist vielmehr die nach den notwendigen Kompetenzen, über die diejenigen verfügen müssen, die angesichts der o. g. Entwicklungen die gottesdienstliche Feier verantwortlich gestalten sollen.

Das sind nicht nur "Profis". Erfreulicherweise haben die Autoren nicht nur das potentielle Wissen Theologiestudierender oder besonders qualifizierter Pfarrerinnen und Pfarrer im Blick, sondern auch "die zunehmend wahrgenommene theologische Verantwortung [...] nichtordinierter Christinnen und Christen" (7). Dementsprechend richtet sich das Buch auch an Gemeindepädagogen, Diakone und Religionslehrer. Die besondere didaktische Relevanz des Werkes wird nicht einfach behauptet oder von einer Ermäßigung seines wissenschaftlichen Niveaus erwartet; sondern indem die Herausgeber sowohl Kolleginnen wie Kollegen von den Hochschulen als auch den kirchlichen Institutionen für die Mitarbeit gewonnen haben, werden sie der notwendigerweise doppelten Ausrichtung des Kompendiums auf Liturgiewissenschaft und gottesdienstliche Praxis gerecht.

Das Werk ist in vier Teile gegliedert. Unter den Überschriften "Grundlagen", "Menschen feiern Gottesdienst", "Gottesdienst an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten" und "Orientierungen für die Praxis" geht es mit jedem Beitrag in medias res: So eröffnen die Herausgeber z. B. den Grundlagen-Teil nicht mit einem gesonderten historischen und/oder theologischen Beitrag, sondern nähern sich dem Gottesdienst als "Reformprojekt" an, wobei trefflich ausgewählte theologische und historische Perspektiven zur Geltung kommen, die ein vertieftes Verständnis für die "Fremde Heimat Gottesdienst" in der Gegenwart und die nötigen liturgiedidaktischen Konsequenzen ermöglichen. Unter Grundlagen finden sich in lockerer Folge ferner Analysen zum Gottesdienst als kulturellem Phänomen (H.-G. Heimbrock), als ökumenischem Projekt (B. Kranemann), zur Dimension der Kunst für den Gottesdienst (M. Kumlehn), zum Verhältnis von Musik und Gottesdienst (P. Bubmann) sowie zur Predigt im Gottesdienst (B. Schröder). Bei diesem letzten Artikel hätte man vielleicht etwas allgemeiner das Verhältnis von Verkündigung und Gottesdienst in den Blick nehmen können; die Fixierung auf die Predigt ist angesichts der verkündigenden Dimension anderer Elemente (Gebete, Lieder, Mahlfeier) nicht ganz plausibel. Ein solches Vorgehen hätte freilich - und zwar nicht nur bei dieser Frage - eine Argumentation quer zu den vergebenen Einzelthemen erfordert und aus dem Kompendium womöglich eine (weitaus umfangreichere) Enzyklopädie werden lassen.

Unter "Menschen feiern Gottesdienst" widmet sich der II. Teil des Buches zunächst der Rolle von Kindern (F.-W. Bargheer), von Jugendlichen (M. Bangert) und Frauen (B. Enzner-Probst). Hier wird auf wenigen Seiten nicht nur gut informiert; die Autorinnen und Autoren bieten auch plausible Anregungen für die praktische Arbeit.

Der Beitrag von B. Enzner-Probst erhält u. a. durch seine Fixierung auf den Indikativ ("Frauen betonen vor allem die Verbundenheit mit Gott" [210]; "Frauen verstehen ihre Verkündigung immer auch als öffentliche, prophetisch-politische Rede" [209] usw.) eine als dekretierend misszuverstehende Note. Inhaltlich befremdet er dadurch, dass er zum großen Teil klassische Standards theologischer Ausbildung zum "Profil frauenliturgischer Praxis" [206] stilisiert. Angesichts des eigenen Profils, das die feministische Theologie in den letzten 20 Jahren gewonnen hat, sollte man m. E. davon absehen, weiterhin die Copyrights für Weisheit, Nähe, Emotionalität usw. zu beanspruchen. In Bezug auf die (liturgische) Ausbildung ist gegenwärtig eher danach zu fragen, wie angesichts des mangelnden Interesses von Vikarinnen und Studierenden an einer Beschäftigung mit Feministischer Theologie und mit Gender-Themen die von B. Enzner-Probst auch angesprochenen Aspekte an den Mann bzw. die Frau gebracht werden können.

Schließlich erörtert ein Beitrag die Rolle der "Mitwirkenden im Gottesdienst" (G. Kerl), wobei umfassend über Charismen im Neuen Testament, die Alte Kirche, Luther, das Vaticanum Secundum und das Evangelische Gottesdienstbuch gehandelt wird. Der wichtigen Frage nach der Inszenierung der Rollen - und eben auch der des leitenden Liturgen, sei er Pfarrer oder Laie - wird demgegenüber nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet.

Der dritte Teil setzt sich mit dem Gottesdienst "an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten" auseinander. Die Beiträge erörtern zum einen in instruktiven Synopsen historische Entwicklungen und aktuelle Gestaltungsfragen bezüglich der Kasualien (Taufe: Ch. Grethlein, Konfirmation: M. Meyer-Blanck, Trauung: M. Klessmann, Bestattung: T. Roser). Zum anderen nehmen sie in verschiedenen Reflexionsperspektiven nochmals den Gottesdienst als Ganzes in den Blick. H. Schroeter-Wittke erläutert den Gottesdienst als Ereignis "in der Zeit" (Bezugnahme u. a. auf Zeiterfahrung, Kirchenjahr, Lebenszeit, Weltzeit), Th. Klie stellt ihn in Bezug zu dem Raum, in dem er stattfindet bzw. der durch den Gottesdienst entsteht. H. Schwier bietet in einem für das Thema erstaunlich knappen, aber höchst informativen Artikel einen Abriss der Geschichte des Sonntagsgottesdienstes und seiner sich wandelnden Sitze im Leben, wobei der gegenwärtigen Situation und den aktuellen Herausforderungen hinsichtlich der Gestaltung des Sonntags wiederum besondere Aufmerksamkeit gilt. Hervorzuheben ist, dass das Kompendium dem in der Moderne faktisch immer kasueller werdenden Charakter der Gottesdienste zu den großen Festen Rechnung trägt, indem es den liturgischen und gemeindepädagogischen Facetten des Weihnachtsgottesdienstes ein eigenes, von J. Hermelink verfasstes Kapitel widmet.

Sämtliche Beiträge der Teile I-III bieten jeweils in einem eigenen Abschnitt liturgiedidaktische Anstöße und Anregungen zur Weiterarbeit. Teils sind sie unmittelbar in die gottesdienstliche Praxis integrierbar, teils markieren sie konkrete Desiderata der Liturgiewissenschaft. Die im letzten Teil zusammengestellten Beiträge zur "Struktur des Gottesdienstes" (W. Ratzmann), zum "Gesangbuch als liturgischer Hilfe" (K. Danzeglocke) und zur "Gottesdienstplanung" (W. Reich) sind insgesamt auf die Vermittlung einer liturgischen Kompetenz ausgerichtet, die es ermöglicht, den Charakter eines bestimmten, in seiner Theologie und Situationsbezogenheit konkret werdenden Gottesdienstes in entsprechende Strukturen und Formen zu übersetzen.

Die Herausgeber präsentieren ein gleichermaßen informierendes wie anregendes Werk, dessen Autoren sich durch ein hohes Maß an Kooperation hinsichtlich der offenbar sehr genauen Vorgaben auszeichnen. Angesichts des hohen Informationsanspruchs des Kompendiums vermisst man einen Beitrag über die wichtigsten Reflexionsperspektiven der Liturgiewissenschaft selbst, einen Beitrag, in dem gewissermaßen das methodische Repertoire des Fachs präsentiert würde, was wiederum mit der Frage nach der "didaktischen Leistung" einzelner Perspektiven verbunden werden könnte. Das Sachregister hat einen noch etwas zufälligen Charakter. So findet man zwar - falls man danach sucht - Begriffe wie "Elementarisierung", "Internet" und "Kopulation"; dagegen vermisst man Einträge wie "Agende", "Gebet", "Glaubensbekenntnis", "Introitus" oder "Symbol", Begriffe, die im Buch selbst durchaus eine Rolle spielen. In Anbetracht des fehlenden Kapitels über die Ansätze der Liturgiewissenschaft wäre ein Personenverzeichnis hilfreich.