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Ausgabe:

Oktober/2004

Spalte:

1097–1099

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Neuhaus, Gerd

Titel/Untertitel:

Frömmigkeit der Theologie. Zur Logik der offenen Theodizeefrage.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2003. 192 S. 8 = Quaestiones disputatae, 202. Kart. Euro 22,90. ISBN 3-451-02202-8.

Rezensent:

Martin Hailer

Der vorliegende Band präsentiert die Theodizeeproblematik in einer Weise, die die Verflochtenheit nicht nur mit ihrer Tradition, sondern - noch mehr - die Verflochtenheit mit den Debatten der gegenwärtigen katholischen Fundamentaltheologie zeigt. Neben und mit der Theodizeefrage werden der Rationalitätsanspruch der Theologie, die Frage nach dem Verhältnis von Vernunft und Glaube und anderes bearbeitet.

Der Vf. geht dabei so vor, dass er die Theodizeefrage zunächt als eine Frage der autonomen Vernunft entfaltet. "Die Wiederkehr des verabschiedeten Gottes als Postulat der reinen Vernunft" (27) skizziert den kantischen Erwägungsgang, nach dem die autonome Vernunft zur Aufrechterhaltung ihres moralischen Selbstanspruchs die Annahme eines allmächtigen Gottes braucht, sich damit aber zugleich das Problem der Inkongruenz von Allmacht und Weltgeschehen einhandelt. So gesehen ist die Theodizeefrage nicht zuerst religionskritisch gedacht, sondern eine notwendige Implikation der neuzeitlichen Vernunftkonzeption. Sie bearbeitet ursprünglich "den Einspruch gegen die Welt, so wie sie ist" (22, i. O. herv., vgl. 25 f.39). Im Folgenden werden alle Theodizeeversuche als gescheitert vorgeführt, weil in ihnen allen ein "Opfermechanismus" (50 u. ö., vgl. bes. 74- 81, die einschlägige Literatur von R. Girard kommt zum Zuge) zu Tage tritt, nach dem die Rechtfertigung Gottes durch die Inkaufnahme menschlichen Leidens und Sterbens geschieht. Auch die geschicktesten Varianten, so der Vf., entkommen diesem inakzeptablen Mechanismus nicht.

Dem Wunsch, gegen die Welt, so wie sie ist, Einspruch zu erheben, entnimmt der Vf. ein Motiv, das die ganze Argumentation trägt: Dass solcher Einspruch überhaupt möglich ist, zeigt, dass unser Bewusstsein nicht völlig vom Schrecken absorbiert ist, sondern ihn noch einmal überschreiten und zum Gegenstand machen kann (31 f., vgl. 61. 152-158.180). Es ist in uns die Befähigung angelegt, nicht im Vorfindlichen aufzugehen, sondern es Theodizee-sensibel zu überschreiten und sich nicht zufrieden zu geben. Das ist ein transzendentalphilosophisches und -theologisches Argument, dessen Herkunft aus dem Rahnerschen Denken vom Vf. hervorgehoben und unter anderem mit dem Begriff der Erlösung bei Th. W. Adorno parallelisiert wird.

Zugleich sieht der Vf. hier die Möglichkeit, das theologische Sprachspiel als anschlussfähig zu erweisen. Ist die autonome Vernunft darauf angewiesen, den Einspruch zu artikulieren und doch nicht zu wissen, wie sie ihn jemals einlösen können soll, so heißt das, dass es Vernunftautonomie ohne das Bewusstsein bleibender Heteronomie nicht geben kann (82-84). Das theologische Sprachspiel nun löst die Theodizeefrage auch nicht, aber es kann das philosophisch nur vage benannte heteronome Moment benennen: Es ist die Hoffnung auf die eschatologisch widerfahrende Gerechtigkeit Gottes, die sich in seiner Universalität (spätexilische Prophetie) und in seiner Langmut (Kreuzestheologie) gezeigt hat. Die autonom-heteronome Vernunft und das biblische Glaubensdenken sind viel ähnlicher strukturiert, als es zunächst den Anschein haben mag, so dass der Vf. von einem "Konvergenzpunkt" sprechen kann (103, vgl. 89.96. 110.127 f.139-143). Damit ist die Theodizeefrage nicht beantwortet, aber aufs richtige Gleis gestellt: Nicht das opake Woher eines Erlösungsgedankens, sondern "die Frage nach der Parusieverzögerung ist die christliche Gestalt der Theodizeefrage" (121).

Der Vf. wehrt sich dagegen, dass Theologie mehr sagen könne als dies, und versteht das Offenhalten der Theodizeefrage als die Frömmigkeit der Theologie (Titel). Zugleich wehrt er sich gegen den in der katholischen Fundamentaltheologie gegen ihn erhobenen Vorwurf des Fideismus, indem er auf das Konzept der autonom-heteronomen Vernunft als philosophisch guten Grund dafür verweist (154).

Zu fragen ist vor allem, ob die theologische Antwort allein in der futurisch-eschatologischen Perspektive bestehen kann, wie der Vf. dies anstrebt, und ob das dem von ihm mit guten Gründen kritisierten Hegelschen Modell (46-49) nicht recht nahe kommt. Fällt demgegenüber die Rede von der Gegenwart Gottes im Geist so weit zurück, dass Gott nur im wie lange noch? und in der Klage (101 f.) anwesend-abwesend ist? Es könnte sein, dass die Frage des Bandes der überzeugend dargetanen Unlösbarkeit der Theodizeefrage und den fundamentaltheologischen Fragen zu weit aufsitzt und nicht ausreichend bedenkt, dass es biblisch-theologisch nicht um eine Rechtfertigung Gottes, sondern um das Entdecken der Lebensmöglichkeiten angesichts von Gottes bleibender Umstrittenheit geht.