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Ausgabe:

Oktober/2004

Spalte:

1087–1090

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Langer, Andrea

Titel/Untertitel:

Die Gnadenkirche "Zum Kreuz Christi" in Hirschberg. Zum protestantischen Kirchenbau Schlesiens im 18. Jahrhundert.

Verlag:

Stuttgart: Steiner 2003. 201 S. u. 87 Bildtafeln m. zahlr. Abb. gr.8 = Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, 13. Geb. Euro 60,00. ISBN 3-515-07470-8.

Rezensent:

Hartmut Mai

Mit dem Buch von Andrea Langer hat die Gnadenkirche "Zum Kreuz Christi" in Hirschberg in Schlesien (1709-1718) erstmalig eine Monographie erhalten, die diesem wichtigsten lutherischen Kirchenbau Schlesiens der ersten Hälfte des 18. Jh.s eine umfängliche und zutreffende Darstellung sowie eine gerechte Würdigung zuteil werden lässt. Es handelt sich um die ergänzte und überarbeitete Fassung der kunsthistorischen Mainzer Promotionsschrift von 1996. Schon in der "Geschichte des protestantischen Kirchenbaus, Erlangen 1994" (Tagungsband und Festschrift zum 60. Geburtstag von Peter Poscharsky) hatte die Vfn. durch ihren Beitrag über "Konfessionelle Polemik im Ausstattungsprogramm von Hirschberger Kirchen vom 16. bis ins frühe 18. Jahrhundert" (251-258) auf ihre Studien zum Gegenstand in der für Hirschberg charakteristischen konfessionellen Problematik aufmerksam gemacht.

Niemand, der sich ernsthaft mit der Geschichte des protestantischen Kirchenbaus befasst hat, hat den nicht nur für Schlesien bedeutsamen Monumentalbau übersehen, sei es, dass er die Unstimmigkeiten zwischen äußerer Erscheinung und Innenausbau vermerkte (Der Kirchenbau des Protestantismus von der Reformation bis zu Gegenwart, hrsg. von der Vereinigung Berliner Architekten, Berlin 1893, 122 f.), sei es, dass er diesen 4000 Menschen fassenden kreuzförmigen Kuppelbau durch Verweis auf den räumlich nächstgelegenen, zeitlich jüngeren evangelischen Kuppelbau der Dresdner Frauenkirche würdigte (Wiesenhütter, Alfred: Der Evangelische Kirchenbau Schlesiens von der Reformation bis zur Gegenwart, Breslau 1926, 20). Die Vfn. stellt ihre Monographie auf die sicheren Grundlagen des Quellen- und Literaturstudiums und der Analyse der Kirche einschließlich überlieferter Pläne, Entwurfszeichnungen und Modelle sowie intensiver, auf die Erfassung des Inventars gerichteter Studien vor Ort.

Die bekannten kirchen- und kunstgeschichtlichen Fakten, die zur Errichtung des Bauwerks führten, werden in das vielfältige historische Beziehungsgeflecht eingeordnet. Diese Fakten sind die auch nach der Errichtung der drei Friedenskirchen in Schweidnitz, Jauer und Glogau nach 1648 fortbestehende kritische Lage des schlesischen Protestantismus, die in der Altranstädter Konvention von 1707 zwischen Kaiser Joseph I. und König Karl XII. von Schweden vereinbarte Genehmigung zum Bau von sechs Gnadenkirchen und die Vorbildwirkung der Katharinenkirche in Stockholm (1656-1670) für die Gnadenkirchen in Hirschberg und Landeshut.

So entsteht ein anschauliches Bild vom konfessionellen und kunstgeschichtlichen Kontext, aus dem die Besonderheiten der Gnadenkirchen in ihrer Übereinstimmung und in ihrer individuellen Ausprägung zu erklären sind. Die Kenntnis der polnischen Sprache hat der Vfn. die Forschungen vor Ort und die Auswertung von z. T. unveröffentlichten Forschungsergebnissen polnischer Wissenschaftler erleichtert bzw. überhaupt ermöglicht. Neue Erkenntnisse und Sichtweisen treten hinzu. Die Ergebnisse werden in sieben übersichtlich geordneten Kapiteln vorgestellt. Ihnen folgen unter VIII. eine Zusammenfassung in deutscher und unter IX. in polnischer Sprache, ein Quellenanhang (mit zwei aufschlussreichen Gedichten über die Kanzeln in Hirschberg und Landeshut von 1718 bzw. 1720) und ein umfängliches Quellen- und Literaturverzeichnis. Zu begrüßen ist, dass im Text und im Ortsregister (hier mit Hilfe von Verweisen) die Ortsnamen in der deutschen und der polnischen Form angegeben sind. 154 Abbildungen helfen dem Leser zum Verständnis des Textes.

In der Einleitung wird die der Abhandlung zu Grunde liegende kultursoziologische Herangehensweise dargelegt. Es geht um die Erforschung der Barockkunst im konfessionellen System. Das bedeutet, die historischen und konfessionspolitischen Zusammenhänge wahrzunehmen, die Rezeption internationaler Kunstströmungen in der protestantischen Sakralkunst Schlesiens zu erfassen und die Umsetzung theologischer Programme in der Ikonographie zu ermitteln. Dafür ist die Gnadenkirche in Hirschberg ein exzellentes Beispiel. Behandelt werden nacheinander der "historische und konfessionelle Kontext Schlesiens (1521-1707/9)" (I.), "Bau und Ausstattung der Gnadenkirchen in Quelle und Forschung" (II.), die "Architektur der Hirschberger Gnadenkirche" (III.), die Deckenmalerei (IV.), die Emporen- und Logendekoration (V.) und die Ausstattungsstücke in der Hirschberger Gnadenkirche (VI.). VII. bespricht, an II. anknüpfend, die anderen fünf Gnadenkirchen, bietet hierzu viele Einzelnachrichten verbunden mit der Empfehlung, auf diesem Gebiet noch weiter zu forschen. Aus der näheren Beschäftigung mit Hirschberg ergibt sich der Vergleich zu den im gleichen Jahr 1709 begonnenen Gnadenkirchen in Landeshut, Militsch, Teschen, Freystadt (zerstört) und Sagan (zerstört). Nähe und Abstand im Typus und in der Ausstattung, hier einleuchtend dargestellt, werden in der Zusammenfassung (VIII.) auf den Punkt gebracht.

Als "Prestigeobjekte protestantischer Auftraggeber" - anders gesagt als Zeugnisse des frommen Sinnes wohlhabender Bürger lutherischen Bekenntnisses - sind die vom gleichen Architekten Martin Frantz entworfenen Kirchen der Riesengebirgsstädte Hirschberg und Landeshut eng verwandt, während bei den anderen Kirchen die gleiche rechtliche und gottesdienstliche Ausgangsposition zu sehr unterschiedlichen baulichen Ergebnissen geführt hat: zum einen zu den Fachwerkkirchen in Militsch, Freystadt und Sagan, zum andern zu dem massiven basilikalen Emporenraum in Teschen. Die Kirchen in Teschen und Hirschberg haben ihre im 18. Jh. auf so unterschiedliche Weise ausgebildeten Innenräume bis heute weitestgehend bewahrt. In der Hirschberger Kirche wird seit Oktober 1945 katholischer Gottesdienst gehalten.

Auswahlweise sei auf einige Schwerpunkte der Monographie eingegangen. Hirschberg ist beispielhaft für den Bau, die Ausstattung und die Nutzung von Kirchen in den konfessionellen Auseinandersetzungen in Schlesien vom 16. bis 18. Jh. Die Gnadenkirche und die zahlreichen Gruftkapellen auf dem umgebenden Kirchhof zeugen vom Stiftungseifer der lutherischen Bürger. Die Stadtpfarrkirche erlebte bis 1650 ein anhaltendes Ringen zwischen Lutheranern und Katholiken um die Nutzungsrechte, danach zwischen dem katholischen Stadtpfarrer und den Jesuiten. Parallel zum Bau der Gnadenkirche (zwischen 1713 und 1718) ließ Priester Caffart den 22 m hohen Hochaltar sowie Nebenaltäre und Pfeilerfiguren errichten.

Wichtig ist die Einordnung der Gnadenkirche in Hirschberg und Landeshut als protestantische, sich an der Katharinenkirche in Stockholm orientierende Kirchen in die Sakralarchitektur von Martin Frantz (1672-1742). Deren Höhepunkt ist die katholische Martinskirche in Seitsch (1736-1740), die ihrerseits Bezüge zu St. Nikolaus in der Prager Altstadt (1732-1737) aufweist.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Erschließung der ikonographischen Programme und ihre bildkünstlerische Umsetzung, in der Gnadenkirche in Hirschberg in ihrem Reichtum weitestgehend erhalten. In einem längeren Prozess entstanden hier bis zur Mitte des 18. Jh.s die Kanzel, der Abschluss des Chorraumes mit dem glanzvollen Prospekt von Altar und Orgel, die Bemalung der Emporen und Logen mit Szenen und Sprüchen aus dem Alten und Neuen Testament und vor allem mit den großflächigen Gewölbemalereien, die zwischen 1734 und 1751 von Johann Franz Hoffmann und Felix Anton Scheffler ausgeführt wurden. Tafel 19 (Abb. 29) bringt eine schematische Darstellung der ausführlich beschriebenen und mit Abbildungen dokumentierten Ausmalung, über deren theologischen Sinn sich noch weitere Gespräche lohnten.

Nähe und Abstand zur Ausführung gleichzeitiger katholischer Bildprogramme werden durch schlesische Vergleichsbeispiele erkennbar. Die traditionelle Darstellung der Evangelisten in den Zwickeln der Vierungskuppel bekommt durch das von ihnen gehaltene Spruchband aus Römer 10,18 eine Zuspitzung im Sinne lutherischer Verkündigung. Für die Bildfolge in den übrigen Gewölben ergibt sich aus meiner Sicht eine Korrespondenz zwischen der Symbolik des kreuzförmigen Grundrisses und der in der Auferstehung und Himmelfahrt bezeugten Glorie Christi, die in die Verherrlichung der Dreifaltigkeit einmündet. Die Nebenszenen sind darauf hingeordnet.

Hirschberg wirkt bis heute als einheitlicher barocker Raum, in dem die Blicke besonders durch den Prospekt von Altar und Orgel als Abschluss der Ostseite angezogen werden. Zu dieser für die evangelischen Gnadenkirchen Schlesiens einmaligen Lösung kam es jedoch erst durch die Stiftung des 53 klingende Stimmen umfassenden Orgelwerks (1725/29) und die Überwindung des Widerstandes der Geistlichkeit gegen diesen ungewohnten Standort.

In der kreuzförmigen Kirche "Zur Heiligen Dreifaltigkeit" in Landeshut dominierte im hochaufragenden Säulenretabel (1738) die Kreuzigung Christi. Die Orgel (1724, 47 klingende Stimmen) mit reich verziertem Prospekt bildete das Gegenüber auf der oberen Westempore. Die für Hirschberg und Landeshut gestifteten Kanzeln wurden künstlerisch und ikonographisch besonders aufwendig gestaltet. Vor der Nordostecke der Vierung wurden sie so in den Raum gestellt, dass die Verkündigung des Wortes eine sehr große, im Schiff und auf den Emporen versammelte Gemeinde gut erreichen konnte.

Mit welcher künstlerischen Gestaltungskraft die Anforderung an eine große lutherische Gemeindekirche in Landeshut gelöst worden ist und welche unverwechselbare Lebendigkeit den Kirchenraum prägte, lassen die erhaltenen Photos wenigstens ahnen, nachdem die Innenausstattung mit Ausnahme der unteren Empore 1954 entfernt und teilweise in der Garnisonkirche in Warschau wieder verwendet wurde, was die Vfn. in Wort und Bild erstmalig publiziert.