Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2004

Spalte:

1086 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Busch, Werner

Titel/Untertitel:

Caspar David Friedrich. Ästhetik und Religion.

Verlag:

München: Beck 2003. 223 S. m. 66 Abb. gr.8. Lw. Euro 34,90. ISBN 3-406-50308-X.

Rezensent:

Alf Christophersen

Die Epoche der Romantik zeichnet sich durch eine ihr eigene intensive Verbindung von Kunst und Religion aus, deren Merkmale etwa ein erkennbarer Drang ins Überkonfessionelle, die starke Betonung des Gefühls oder eine spezifische Form ausgeprägter Naturfrömmigkeit sind. Die der Verhältnisbestimmung der beiden Größen Kunst und Religion gewidmete umfängliche Debatte lebt seit jeher nicht selten davon, dass eine gewisse theorielastige Unbestimmtheit vage formulierter Gedanken durch Überhöhung ins Ästhetische einen vermeintlich tieferen Sinn erhalten soll. Umso konstruktiver hebt sich vor dieser Folie Werner Buschs mit reichen Abbildungen versehene Untersuchung über Caspar David Friedrich ab, an dessen Werk der Berliner Kunsthistoriker zu einer differenzierten, weit über den Einzelfall hinausweisenden Analyse des Zusammenhangs von Ästhetik und Religion gelangt.

B. setzt sich dezidiert von Versuchen ab, das Werk Friedrichs "einer Nutzung durch den Zeitgeist und [...] einer Ideologisierung" zu überlassen. Zudem wendet er sich kritisch gegen das innerhalb der Kunstgeschichte vorherrschende Bemühen, diesem "Inbegriff eines frühromantischen Künstlers" gegenüber "das ganze gewaltige Arsenal der frühromantischen Literatur und Theorie" anzuwenden. Stattdessen wählt er einen antizyklischen Weg, auf dem er in doppelter Linienführung zum einen "das individuelle Werk historisch und strukturell" auch gegenüber Dekonstruktion und Diskurstheorie wieder ins Recht setzen will- dies mit der Überzeugung, dass alle Bilder Friedrichs auf bestimmten abstrakten Figuren basieren, denen bei der "Sinngenerierung" (7) eine tragende Rolle zukommt. Zum anderen unternimmt er den Versuch, die "Beliebigkeiten frühromantischer Zumutungen durch historische und geistesgeschichtliche Präzisierungen wenigstens tendenziell aufzuheben" (8). Zwei Gesichtspunkte treten dabei in den Vordergrund, der Goldene Schnitt und die Beeinflussung Friedrichs durch Schleiermacher.

Die Monographie gliedert sich in sechs Hauptkapitel. Der Einstieg, "Friedrichs Selbstbild" (11-33), ist ein Besuch im Atelier des Künstlers, dessen Darstellung der eigenen Arbeitsstätte eine bestimmte Programmatik hat. So dienen die beiden "Blicke aus dem Atelier" (um 1805/06) B. dazu, das ihnen inhärente, im Werk Friedrichs "wichtigste ästhetische Teilungsprinzip überhaupt" (27) zu präsentieren: den Goldenen Schnitt. Er löst nicht nur "unmerklich ästhetisches Wohlgefallen" (28) aus, sondern verschränkt Außen- und Innenperspektive mit einer Betonung der Isoliertheit des Künstlers, dem das Atelier "zum Kultraum" wird, "in dem in geweihter Stunde die Inspiration" (29) zu empfangen ist. Das Atelier, aus allen Zusammenhängen herausgeschnitten, bildet einen "geistigen Raum". Er gibt der Kunst, die in ihm geschaffen wird, "ihre verlorene Heiligkeit zurück, indem die durch nichts getrübte Reinheit des Gefühls als Wahrheit, ästhetisch zum Ausdruck gebracht, im Bild erscheint" (30).

B. analysiert im zweiten Kapitel (34-45) den "Tetschener Altar", "Das Kreuz im Gebirge" (1807/08). Mit diesem Bild verursachte Friedrich "geradezu einen Aufruhr, spaltete die Öffentlichkeit" und wurde schlagartig "zu einer Art frühromantischen Identifikationsfigur" (34). B. zufolge läuft die rechte Senkrechte des Goldenen Schnitts direkt durch den senkrechten Balken des Kreuzes, das nicht selbst erlöst, "aber in seiner Übersetzung zum Rahmen mit Hilfe des Goldenen Schnitts [...] das Versöhnungszeichen der sich einander zuneigenden Palmzweige für die Bildtafel möglich" (45) macht.

In dichter Darstellung und prononcierter Kritik an bisheriger Rezeption werden im Kapitel 3 (46-81) "Mönch am Meer" (1808-1810) und "Abtei im Eichwald" (1809-1810) in den Argumentationsgang einbezogen, in dem auch Friedrichs entschiedene Opposition gegen Napoleon I. sowie die Reaktionen von Clemens Brentano, Achim von Arnim und Heinrich von Kleist aufgegriffen werden. Mit Schleiermacher verdeutlicht Friedrich, dass Erneuerung "nur über den Weg der individuellen Frömmigkeit" gedacht werden kann, "der die verfaßte Kirche eher ein Hemmnis ist" (80). Eine weitere Vertiefung liefert das 4. Kapitel, das sich mit "Friedrichs Werkprozeß" (82-141) befasst. Es ist für die Argumentation B.s nicht zuletzt deshalb zentral, da er nunmehr auch detaillierter auf den Golden Schnitt eingeht und die entscheidende Grundproblematik seiner Studie benennt; denn das von ihm als für das Werk Friedrichs zentral eingestufte Prinzip ist erstmals um 1850 "mathematisch beschrieben, in seiner ästhetischen Bedeutung benannt und den Künstlern anempfohlen" (101) worden. Handelt es sich um "eine kunsthistorische Projektion" (102)? B. weist diese Vermutung zurück und betont seine Auffassung, dass der Goldene Schnitt so etwas wie Friedrichs "Signatur" (106) ist, die sein ganzes Werk begleitet.

Die Kunst wird in der Interpretation B.s zur Mittlerin religiöser Erfahrung (Kapitel 5, "Pendants", 142-158), etwa der plötzlichen Transzendierung eigenen Elends. Im Abschlusskapitel 6 (159-185) bemüht sich B. um eine Verankerung der künstlerischen Konzeption Friedrichs im Werk Schleiermachers. Herkömmlich werden Luthertum und Pietismus als Friedrich prägende Elemente angeführt. Im Sinne Luthers sieht er "das Leben unter dem Signum des Kreuzes stehen. Dies verbindet sich, für ihn offenbar problemlos, mit einer ausgeprägten Naturfrömmigkeit." (159) In Schleiermachers Reden "Über die Religion", ihrer Konzeptualisierung von Anschauung und Gefühl, hat Friedrich darüber hinaus, so B.s These, eine gedankliche Anleitung zur Verbindung von Kunst und Religion gefunden. Beide sind einander persönlich begegnet. 1810 und 1818 besuchte Schleiermacher das Dresdener Atelier, getroffen haben sie sich wohl, vermutet B., bereits 1798 in Berlin, vermittelt durch den Verleger Andreas Reimer, der nach 1820 die größte jemals existierende Sammlung von Bildern Friedrichs zusammentrug (s. 162; vgl. 74 f.).

Das Kapitel über "Schleiermacher und Friedrich" gehört zu den wichtigsten Passagen dieses herausragenden Buches, das in der Verbindung kunstgeschichtlicher Einzelanalyse, historischer Einordnung und Werkinterpretation beispielhaft ist. Ob der Goldene Schnitt in seiner Abzielung auf die Versöhnung theoretisch von B. nicht doch etwas überschätzt wird (vgl. den Schluss, 186-191), bleibt eine die weitere Debatte anregende Frage. Dabei wird auch die Schleiermacherforschung und -interpretation zu weiteren Ausführungen provoziert, ohne dabei, so ist zu vermuten, Friedrichs Frau widersprechen zu wollen, die bemerkte, "man dürfe ihren Mann beim Himmelmalen nicht stören, das sei für ihn Andacht" (42).