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Ausgabe:

Oktober/2004

Spalte:

1084 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Traver, Andrew

Titel/Untertitel:

The Opuscula of William of Saint-Amour. The Minor Works of 1255-1256.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2003. VIII, 220 S. gr.8 = Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Neue Folge, 63. Kart. Euro 35,00. ISBN 3-402-04014-X.

Rezensent:

Peter Dinzelbacher

Mit der vorliegenden Publikation befinden wir uns mitten in den Auseinandersetzungen um die Beteiligung der Bettelorden an der Lehre der Universität Paris, wie sie seit der Mitte des 13. Jh.s die akademische Welt beschäftigten und noch lange beschäftigen sollten - man denke an Gerson. Während für die Franziskaner kein Geringerer als Bonaventura, für die Dominikaner kein Geringerer als Thomas zur Feder griff, führte für die weltliche Geistlichkeit der Universität an erster Stelle Wilhelm von Saint-Amour die Debatte. Debatte ist freilich ein zu harmloser Ausdruck - es handelte sich um eine aggressive und den Bogen nachvollziehbarer Argumentation bei weitem überspannende Polemik, die der Magister in verschiedenen Traktaten und Predigten zu Pergament brachte. Sie sollte ihm nicht nur die Relegation von der hohen Schule einbringen, sondern auch die Exkommunikation, in der er 1272 verstarb.

T. legt hier in kritischer Edition die Antwort Wilhelms auf Bonaventuras Quaestio De mendicitate sowie die drei Sermones Qui amat periculum, Si quis diligit me und De pharisaeo et publicano vor. Die Texte selbst umfassen die Seiten 123 bis 205; ihnen folgen Literaturverzeichnis und Register. Vorangestellt ist ein sehr kurzer Lebenslauf, der jedoch ungewöhnlicherweise in zwei Teile, vor und nach 1255/56, aufgespalten ist (1-6 bzw. 79f.). Die Einleitung beschäftigt sich hauptsächlich mit der Nacherzählung und Kommentierung der Quaestiones disputatae, des (hier nicht edierten) bis in die Frühneuzeit hinein einflussreichen Hauptwerkes De periculis novissimorum temporum sowie der Sermones und Responsiones. Knapp 40 Seiten nehmen die rein editionsphilologischen Informationen wie Handschriftenbeschreibungen, Fehlervergleich, Stemma etc. ein.

In den einzelnen Texten finden sich immer wieder dieselben gegen die Mendikanten gerichteten Argumente, wobei in bunter Reihenfolge Bibelzitate, Kirchenväter, kanonisches Recht u.a. herangezogen werden. Den Konkurrenten der Weltgeistlichen wird u. a. ungeachtet ihrer päpstlichen Privilegien die Rechtmäßigkeit ihres Predigt- und Seelsorgeamtes abgesprochen, sie werden - ohne direkte Namensnennung, aber deutlich genug - als Heuchler diffamiert und mit den Vorläufern des Antichrists gleichgesetzt. Namentlich die Aktivierung endzeitlicher Ängste wird von Wilhelm immer wieder ins Spiel gebracht, wobei er so tut, als ob die ketzerischen Ansichten des Franziskaners Gerard von Borgo San Donnino, nach denen es um 1260 zu einem Zusammenbruch der Amtskirche und ihrem Ersatz durch spirituelle Barfüßer kommen sollte, die Theologie der Minoriten überhaupt repräsentieren würden.

Wie überspannt Wilhelms Beweisführung war, zeigen etwa seine Ausführungen zur Bettelei: Sie würde nicht nur zu Schmeichelei und Lüge führen (was noch realitätsgerecht war), sondern auch zu Mord und Selbstmord: Wenn man seine Güter allesamt verschenkt, kann man später keine Almosen mehr vergeben, wodurch man am Tod von Armen schuldig wird; ebenso komme in der völligen Entäußerung die Absicht zum Selbstmord zu Tage (8). Oder: Die Lehren der Dominikaner seien so verderblich, dass der ihnen folgende oder bei ihnen beichtende Gläubige so wie diese sich der ewigen Verdammnis sicher sein können (70). Zu den auch später immer wieder (nicht ohne einige Berechtigung) aufgegriffenen Vorwürfen an die Mendikanten gehört u. a. die Hypokrisie, weswegen sie mit den jüdischen Pharisäern verglichen wurden, oder die Amtsanmaßung, weil nach der Hierarchie des Ps.-Dionysius nur Priester und Bischöfe Kanzelreden halten dürften, weswegen die Bettelorden nur pseudopraedicatores zu nennen sind - deren Auftreten als ein Zeichen der nahenden Apokalypse gewertet werden muss (dagegen fehlt noch die später immer wieder erhobene Anschuldigung der Unkeuschheit unter dem Deckmantel der Seelenführung).

Würde schon die hier zitierte Kritik die päpstliche Verurteilung und Exkommunikation Wilhelms verständlich machen, so zeigt sein Angriff auf den französischen König seine ganze Maßlosigkeit: Ludwig IX. war zwar profranziskanisch gesonnen, hatte sich aber wohl ehrlich um eine Vermittlung im Konflikt zwischen Universität und Mendikanten bemüht. Wilhelms (hier zum ersten Mal gedruckte) Predigt Si quis diligit me musste ihn aber auf die Seite der Letzteren und des sie unterstützenden Papstes Alexander IV. bringen. Denn das Tragen einfacher Kleidung (wie es der Kapetinger pflegte) sei bei einem König Zeichen der Hypokrisie, sein Engagement für die Armen impliziere die Vernachlässigung seiner richterlichen Pflichten, seine Kriegszüge, bei denen Tausende Christen stürben, Sünde (182). Das konnte der Monarch nur auf seine katastrophal geendeten Kreuzzugsunternehmungen in Ägypten beziehen. Die Quittung folgte auf dem Fuß, und Wilhelm konnte den weiteren, letztlich erfolglosen Kampf seiner Schüler nur mehr aus dem Exil beobachten.