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Ausgabe:

Oktober/2004

Spalte:

1074–1076

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Clark, Francis

Titel/Untertitel:

The Gregorian Dialogues and the Origins of Benedictine Monasticism.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2003. XII, 464 S. gr.8 = Studies in the History of Christian Thought, 108. Geb. Euro 135,00. ISBN 90-04-12849-2.

Rezensent:

Katharina Greschat

Es bedurfte mehr als 40 Jahre intensiver und hitziger Diskussionen, bevor sich die inzwischen allgemein vertretene Auffassung endgültig durchsetzen konnte, wonach die Regula Benedicti von der älteren Regula Magistri abhängig sei. In dem vorliegenden Band äußert Francis Clark die Hoffnung, seine für die Frühgeschichte des benediktinischen Mönchtums nicht minder provozierende These, dass der Autor der Dialoge nicht Gregor der Große selbst, sondern ein unbekannter Schreiber am apostolischen Stuhl aus dem 7. Jh. gewesen sei, könnte vielleicht etwas eher von der Forschung anerkannt werden.

Diese These hatte C. bereits in den beiden inzwischen vergriffenen Bänden The Pseudo-Gregorian Dialogues (PsGD) von 1987 ausführlich entfaltet und sie wird seither äußerst kontrovers diskutiert. Deshalb will er nun die Auseinandersetzung mit seinen Kritikern auf dem neuesten Stand der Forschung und in kompakterer Form nicht allein für die Fachgelehrten führen. Den Zeitpunkt für seine Veröffentlichung hat C. insofern gut gewählt, als in den letzten Jahren in der Gregor-Forschung einiges in Bewegung geraten ist und selbst sein ärgster Widersacher A. de Vogüé den Kommentar In primum regum nicht mehr Gregor, sondern einem Mönch des 12. Jh.s zuschreibt.

Wie in PsGD wird auch hier zunächst ein kurzer Überblick über die Erforschung der Dialoge geboten, der ganz darauf zugeschnitten ist zu zeigen, dass dieser Bestseller des Mittelalters mit seinen abstrusen Wundergeschichten, der Vorstellung von Dämonen, Hölle, Messopfer und Fegefeuer seit dem Humanismus und der Reformation nur noch dazu geeignet sei, das Gregorbild in den schwärzesten Farben zu malen. Sie haben Gregor den Harnackschen Vorwurf nach Förderung des Vulgärkatholizismus und die Bezeichnung pater superstitionis eingetragen. Ohne die Dialoge ließe sich hingegen endlich zum wahren Gregor vordringen: "Once the traditional assumption of the Gregorian authorship of the Dialogues has been exposed as mistaken, the real Gregory can be seen as he truly is: not as a strange mixture of greatness and puerility of soul, but as a saintly teacher of transparent integrity, of extraordinary mental acuity and as a master of faith and religious experience ..." (400).

Als wichtigen Grund für die Unechtheit der Dialoge nennt C. seine in PsGD ausführlicher dargestellte Entdeckung, dass sie sich nicht nur in Stil, Ausdruck, Wortgebrauch, Phraseologie, Morphologie, Syntax und hinsichtlich der Vorstellungswelt von allen anderen Werken Gregors unterscheiden, sondern auch ungefähr 80 direkte Passagen aus dem nur noch zum Teil erhaltenen Werk Gregors (Inserted Gregorian Passages - IGPs) enthalten, die seine ganz spezifische literarische Handschrift tragen. Diese IGPs werden hier jedoch nur knapp in einem Appendix dokumentiert, bei Bedarf sollte der Leser die Diskussion in PsGD konsultieren. Den Schwerpunkt der vorliegenden Veröffentlichung (179-361) bildet vielmehr die Diskussion C.s mit seinen Kritikern, die vor allem die frühe äußere Bezeugung der Dialoge als ein Werk Gregors des Großen gegen ihn ins Feld führen. Ihnen hält C. entgegen, dass die Dialoge den Schriftstellern des frühen 7. Jh.s unbekannt waren und erst nachträglich in den Liber pontificalis, das Werk Isidors von Sevilla und Ildefons von Toledo, eingefügt wurden. Dazu passt dann auch die spätestens seit Kassius Hallinger bekannte und häufig mit einigem Erstaunen zur Kenntnis genommene Tatsache, dass Gregor die Regula Benedicti weder selbst praktiziert noch gefördert hat. Diese fand vielmehr erst um 620/630 in Franken, nach neuesten Forschungen von Michaela Zelzer sogar erst um 660 in der Regula Donati explizite Erwähnung. Erst in dieser Zeit, am Ende des 7. und zu Beginn des 8. Jh.s, wurden auch die Dialoge bekannt und es lässt sich eine Benediktverehrung und stärkere Verbreitung der Regula Benedicti nachweisen. Einen vorläufigen Höhepunkt erlebte sie mit dem Neuaufbau Montecassinos durch Gregor II. (715-731), bevor dann die Karolinger das benediktinische Mönchtum endgültig zur Norm erhoben.

Größte Sorgfalt verwendet C. darauf, die so genannten "bedrock proofs" seiner Gegner zu entkräften. Die immer wieder zum Beweis für die Echtheit der Dialoge angeführte Ep. III.50 an Maximian ist ihm bereits von der Chronologie her als eine "supporting forgery" für die Dialoge verdächtig. Im Jahre 593 verfasste Gregor seine Ezechielhomilien, die er auf Grund der Belagerung Roms durch Agilulf abbrechen musste, so dass er kaum die nötige Zeit für ein Werk wie die Dialoge gehabt haben dürfte. Ebenso wenig könne man sich auf den Liber Testimoniorum des Paterius stützen, da die drei sicheren Zitate aus den Dialogen zur Kategorie der IGPs gehören. Wie Paterius hatte offenbar auch Tajo von Saragossa Zugang zu gregorianischen Texten, denen er einige IGPs entnahm, die sich auch in den Dialogen finden. Die anderen angeblich aus dem frühen 7. Jh. stammenden Zeugnisse, auf die sich C.s Gegner berufen, erweist dieser entweder als später interpoliert, wie die Fredegarchronik, oder aber als sehr viel später entstanden als bisher angenommen, wie die Vita Patrum Emeritensium und die Vita Fructuosi. Seiner Ansicht nach gehören diese beiden spanischen Viten gar nicht in die Zeit der Westgoten, sondern in die Zeit nach der islamischen Eroberung, in der man bereits verklärend auf die Westgotenherrschaft zurückblickte.

Im letzten Teil arbeitet C. noch einmal das Profil seines Dialogverfassers als eines Funktionärs im scrinium der römischen Kirche heraus, der um 670/680 gegen die Dominanz der griechischen gesta asketischer Größen des Ostens die Bedeutung des lateinischen Mönchtums und insbesondere die des Benedikt hervorheben wollte.

C.s jüngstes Werk zeichnet ein äußerst anregendes Bild von der sich erst langsam und zögerlich entwickelnden Benediktverehrung im 7. und beginnenden 8. Jh., das dazu geeignet ist, eine ganze Reihe von Schwierigkeiten rund um das Benediktproblem zu lösen. Allerdings bleibt zu fragen, ob auch sein Gregorbild in gleicher Weise zu überzeugen vermag. Wenn der wahre Gregor wirklich keine Neigung zu bisweilen drastischen und dem modernen Menschen anstößig erscheinenden Erzählungen im Stil der Dialoge verspürte, wie C. annimmt, dann müsste C. erklären, warum Gregor in seinen Briefen und in seinen zweifellos echten Werken dennoch häufig gerade auf solche Erzählungen zurückgreift. Dann müsste C. auch eine Erklärung dafür finden, warum Gregor beispielsweise in einem Werk wie den Moralia in Job mit einer gewissen Genugtuung davon berichtet, wie sein konstantinopolitanischer Widersacher Eutychios seinen Irrtum über die Wirklichkeit des Auferstehungsleibes angesichts des nahen Todes anerkannte (Mor. XIV,56,72-74), daraufhin die Haut seiner Hand ergriff und erklärte: "Ich bekenne, dass wir alle in diesem Leib auferstehen werden".

Offenbar bedarf es gerade im Hinblick auf das Gregorbild noch weiterer Diskussionen, um diejenigen zu überzeugen, die C.s These bisher noch skeptisch gegenüberstehen. Er mag sich unterdessen damit trösten, dass seit dem Erscheinen von PsGD noch kaum 20 Jahre vergangen sind.