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Ausgabe:

Oktober/2004

Spalte:

1071–1073

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schmitz, Franz-Jürgen [Hrsg. u. Bearb.]

Titel/Untertitel:

Das Verhältnis der koptischen zur griechischen Überlieferung des Neuen Testaments. Dokumentation und Auswertung der Gesamtmaterialien beider Traditionen zum Jakobusbrief und den beiden Petrusbriefen.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2003. VIII, 650 S. 4 = Arbeiten zur neutestamentlichen Textforschung, 33. Lw. Euro 198,00. ISBN 3-11-017748-X.

Rezensent:

Eberhard Güting

Der Titel des 33. Bandes der Arbeiten zur neutestamentlichen Textforschung weckt große Erwartungen. Nach jahrzehntelangen Vorarbeiten tritt nun den ersten beiden Lieferungen der Editio Critica Maior, Bd. IV, mit dem Text und den begleitenden Materialien zum Jakobusbrief (1997) und zu den Petrusbriefen (2000) eine Darstellung der gesamten koptischen Überlieferung der drei im Titel genannten neutestamentlichen Briefe zur Seite. Der Band beansprucht, die gesamte Überlieferung in beiden Sprachen zu überblicken und das Verhältnis der Traditionen zueinander zu bestimmen. Dies ist nach der Edition der Epistulae Catholicae der Vetus Latina durch Walter Thiele (1956-1969) und der Edition der Großen Katholischen Briefe in alter syrischer Überlieferung durch Barbara Aland und Andreas Juckel (1986) ein weiterer großer Schritt in der Erforschung der frühen Überlieferungsgeschichte der Katholischen Briefe.

Die Untersuchung gliedert sich in fünf Teile. Nach einer knappen Einführung in den Stand der Forschung erhält der Leser zunächst eine Liste aller erhaltenen sahidischen Handschriften und Handschriftenfragmente zu allen Katholischen Briefen sowie weiterer erhaltener Handschriften in anderen Dialekten. Hinsichtlich der Dialektforschung wird auf einen Aufsatz des Koptologen R. Kasser verwiesen: Prolégomènes à un essai de classification des dialectes et subdialectes coptes selon les critères de la phonétique, in: Le Muséon. Revue d'études orientales 93 (1980), 53-112.237-297 sowie 94 (1981), 91- 152. Alle Handschriften werden mit ihren Bibliothekssignaturen, den erhaltenen Versen und Versteilen, ihrer Datierung, ihrem Material, ihrer Blattzahl und ihrem Format vollständig aufgelistet (3-48).

Der zweite und gewichtigste Teil des Bandes bietet eine Dokumentation (51-493). Sie besteht aus einer Synopsis der koptischen Texte, die zu einer Referenzzeile mit dem griechischen Text der Editio Critica Maior in Beziehung gesetzt werden. Unterhalb dieser Synopsis, der man die Lesungen der einzelnen sahidischen Überlieferungsträger entnimmt, findet man zwei Apparate, die den Vergleich der koptischen und der griechischen Lesarten ermöglichen. Ein sinnvolles Nummerierungssystem erlaubt es, von der koptischen "Adresse" einer Lesart jeweils zur griechischen überzugehen und umgekehrt. Bei den Zeugen der griechischen Varianten werden die in Frage kommenden koptischen Zeugen wiederholt. Das ermöglicht auch dem Nichtkoptologen den Umgang mit diesem Material. Unterhalb jeder Doppelseite findet man die Liste der jeweils zur Verfügung stehenden griechischen Zeugen (= "Ständige Zeugen"). Diese Dokumentation wird von einer Reihe von ergänzenden Angaben zur koptischen Bezeugung beschlossen. Hier werden solche koptischen Lesarten zusammen mit ihrer deutschen Übersetzung genannt, deren Zuordnung zu einer der Lesarten nicht ganz einfach ist (473-493). Dies fördert eine umsichtige Interpretation der Daten und verdient Anerkennung.

Das Verständnis eines dritten Teils (494-629) hat dem Rezensenten erhebliche Mühe gemacht. Hier danke ich Sch. für ein klärendes Gespräch am 27.11.2003. Dieser Teil bringt auf 89 Seiten Zahlenkolonnen. Die zu Grunde liegenden Rechenprogramme zielten auf einen dreifachen Vergleich, 1) Übereinstimmungen der einzelnen koptischen Zeugen mit allen griechischen Zeugen der Editio Critica Maior, 2) Übereinstimmungen der einzelnen koptischen Zeugen untereinander an Stellen mit griechischem Apparat in der Editio Critica Maior, 3) Übereinstimmungen der einzelnen koptischen Zeugen untereinander nach Vollkollationen. Das Vorgehen gründet sich nicht auf die klassische von Paul Maas weiterentwickelte stringente Methode, Verwandtschaftsbeziehungen von Handschriften durch signifikante gemeinsame Fehler nachzuweisen, sondern geht von der statistisch abgesicherten Methode Colwells aus, die sich bisher nur bei späten, vorwiegend byzantinischen Handschriften bewährt hat.

Diese Arbeiten, das kann man sagen, wurden für den Kenner gemacht. Es ging dabei um die Positionierung ausgewählter koptischer Zeugen im Feld der für die koptische Überlieferung typischen ("charakteristischen") Überlieferungsträger. Welche Handschriften stehen einander nahe, für welche Handschriften lassen sich vielleicht einmal genealogische Beziehungen ermitteln? Eine erste systematische Auswertung dieses Materials wird Gerd Mink vom Institut für Neutestamentliche Textforschung, Münster, in absehbarer Zeit vorlegen, cf. G. Mink, Problems of highly contaminated traditions: The New Testament. Stemmata of variants as a source of a genealogy for witnesses, in: Pieter Th. van Reenen, August den Hollander, Margot van Mulken, with the assistance of Annelies Roeleveld (Hrsg.), Studies in Stemmatology, II, Kinds of variants (Arbeitstitel).

Immerhin lässt sich nach den durch Sch. vorgelegten Auswertungen bereits sagen: Die sahidische Überlieferung steht den bekannten alexandrinischen Zeugen nicht durchgehend nahe. Doch ist zumindest in den beiden Petrusbriefen ein alexandrinischer Strang von Zeugen erkennbar (V). "Die koptischen Übersetzungen galten bisher immer als Zeugen des griechischen sog. alexandrinischen Textes, diese Annahme muss nun revidiert werden" (595).

Unklar ist dem Rezensenten, welche Eigenschaften einer Handschrift die Auszeichnung eines "charakteristischen Zeugen" verschaffen. Für den Jakobusbrief sind alle erhaltenen Papyri auch charakteristische Zeugen und gleichfalls die erhaltenen Majuskeln. Doch im ersten und zweiten Petrusbrief werden einige ständige Zeugen nicht mehr unter die "charakteristischen" Zeugen aufgenommen. Das trifft im 1Petr für P72 01 und 02 zu, im 2Petr für 01 04 025 und 048. Dagegen bleibt 1739 stets unter den "charakteristischen" Zeugen. Hoffentlich wird dieser Punkt nach der angekündigten Untersuchung G. Minks klarer.

Ein knapper vierter Teil unterrichtet über das Format und die Herkunft der herausragenden koptischen Handschriften (631- 634). Ein großer Teil der sahidischen Handschriften stammt offenbar aus einem Fund des Jahres 1910, der nach und nach bis 1920 in den Handel kam und der zu einem bedeutenden Teil von den Bankiers John Pierpont Morgan und Jack Pierpont Morgan erworben wurde, dem so genannten Hamuli-Fund. Die Datierung (vorwiegend das 9. und 10. Jh.), die Schrift und das Format der Seiten und der Kolumnen zeigen eine "erstaunliche Ähnlichkeit" der im Faijum und in Sohag gefertigten Handschriften (632). Dieser Bericht erwähnt mehrere Handschriften, die z. T. verschmutzt und unleserlich waren oder wegen ihrer Fragmentierung nicht ausgewertet werden konnten. Das gilt auch von der sa 120 aus dem 7./8. Jh., die nur das 1. Kapitel des Jakobusbriefs erhalten hat und somit "weniger signifikant" ist als die späteren Handschriften (633). Hier setzt der Rezensent ein erstauntes Fragezeichen. Wenn diese Handschrift sich der Auswertung durch Rechenprogramme entzieht, so doch mit Sicherheit nicht einem Studium mit einer textkritischen Zielsetzung. Darauf wurde hier verzichtet.

Ein fünfter und letzter Teil analysiert zwei Aspekte der von den Übersetzern gezeigten Übersetzungsweise (636-650). Hier wird zunächst ein mit Belegen versehener Überblick über sämtliche im Griechischen vorkommenden Tempora und Modi mit den jeweiligen koptischen Entsprechungen gegeben. Zweitens werden die im Koptischen vorkommenden griechischen Fremdwörter aufgelistet.

Der Druck ist sorgfältig und gut lesbar. Auf späten Seiten gibt es keine Trennungsstriche mehr. Wo Wörter am Zeilenende zu lang sind, werden sie durchgebrochen. Es bleibt festzustellen, dass hier von der Sammlung und Zusammenfügung des Materials aus zahllosen Bibliotheken über die sprachliche Aufschließung der Übersetzungstexte bis zur Bereitstellung des griechischen Vergleichsmaterials eine beeindruckende Leistung vorgelegt wurde. Dafür gebührt dem Autor Dank.