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Ausgabe:

Oktober/2004

Spalte:

1066–1068

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Griffith, Terry

Titel/Untertitel:

Keep Yourselves from Idols. A New Look at 1 John.

Verlag:

London-New York: Sheffield Academic Press 2002. XVI, 247 S. gr.8 = Journal for the Study of the New Testament. Supplement Series, 233. Lw. £ 60,00. ISBN 0-8264-6051-8.

Rezensent:

Theo K. Heckel

Die unter Judith Lieu am King's College in London bereits in den 90er Jahren eingereichte Promotionsschrift liegt in diesem Buch nun vollständig vor, nachdem G. Auszüge daraus vorher veröffentlichte (IX). G. stellt einleitend klar, dass er von der Eigenständigkeit des 1Joh auch gegenüber den anderen johanneischen Schriften (JohEv, 2/3Joh) ausgeht und dass er von der literarischen Einheitlichkeit des 1Joh überzeugt ist (1-11). Dann wählt er einen durchaus eigenständigen Zugang zur Gesamtdeutung des Briefes. Er rollt seine Deutung des Briefes von hinten auf. G.s Buchtitel wie auch sein exegetischer Zugriff auf den 1Joh gehen vom letzten Satz des Briefes aus: "Kinder, haltet euch fern von den Götzen!"

Dieser Vers, 1Joh 5,21, bereitet den Auslegern bislang erhebliche Schwierigkeiten, meist wird ihm eine nur vage Verknüpfung mit dem Briefkorpus attestiert. G. bietet hier wie auch sonst einen kompetenten und solide informierenden Überblick über die neuere Forschung (12-27). An Sekundärliteratur mangelt es nicht; G. wertet gelegentlich 75 Kommentare des 20. Jh.s zum 1Joh summarisch aus (z. B. 14.18). Er beachtet zudem die übrigen Publikationsmöglichkeiten der erklärenden Literatur, auch aus vorangehenden Jahrhunderten (etwa 175 f.).

In der Fülle seiner Einzelbeobachtungen versteht es G., eine Gesamtthese zum 1Joh zu entfalten. Er zeigt, dass 1Joh 5,21 den unmittelbar vorher als Gott prädizierten Christus den Götzen gegenüberstellt und so eine im Brief angelegte Gegenüberstellung fulminant abschließt. Der Brief ziele auf eine Würdigung Jesu Christi als des einzigen Zugangs zu Gott. Mit dieser Gegenüberstellung von Götzen und Gott versucht der Briefschreiber, die johanneische Gruppe zu festigen.

G. legt zu Recht Wert darauf, dass die Argumentation des 1Joh auf die bei der Gruppe verbliebenen Gläubigen zielt. Zu oft wurden nach G. rhetorische Formulierungen als Hinweise auf Gegnerslogans gedeutet. Für die im Brief häufigen Einleitungen ean eipomenhoti, ho legon oder ean tis eipe hoti kann G. beachtliche Parallelen anführen, die eindeutig eine innerschulische Diskussion entfalten (118-124). So nehmen nach G. die entsprechend eingeleiteten Sätze keineswegs Gegneräußerungen auf, sondern eher johanneisches Traditionsgut (vgl. 87, Anm. 9). Als Vorsichtsmaßnahme mag dies überzeugen (so 124), freilich kann G. schwerlich zeigen, dass eine Schuldiskussion ad intra nicht auch Gegnerslogans aufnehmen kann.

Wenn G. sich sehr zurückhält, Gegnerindizien im 1Joh zu finden, zielt er freilich nicht darauf, Gegnerhinweise als rhetorische Auflockerung ohne außertextliche Referenz zu deuten. Nach G. verarbeitet der Brief die kürzlich durchlittene Erfahrung (73.106.108), dass einige ehemalige Mitglieder der johanneischen Gemeinde, die ethnisch Juden waren, sich von ihrem Bekenntnis zu Christus wieder abwandten (138.174 f.). Nach G. verläuft die "Front" zur Zeit des 1Joh also nicht innerhalb christlicher Gruppen, sondern zwischen Christen und Juden. Der Abkehr von Christus begegne der 1Joh entsprechend, indem er sehr grundsätzliche Christusbekenntnisse mehrmals nenne (1Joh 2,22 f.; 4,15; 5,1.10).

Der gerne als Hinweis auf eine innerchristliche christologische Streitigkeit gedeutete Vers 1Joh 4,2 kann nach G.s Deutung seine These nicht gefährden. G. nimmt dem Vers sein Gewicht, weil er en sarki mit en to kosmo (4,3 fin) parallel deutet (179-188). Der Vers rede so von der Sendung in die Sphäre der Welt, nicht von der Verbindung Christi mit der Vergänglichkeit des Fleisches. 2Joh 7 könnte die Deutung problematisieren, aber G. verweigert dieser Stelle sein Gehör wegen m. E. nur untergeordneter Abweichungen zu 1Joh 4,2 (181, Anm. 105).

Um 1Joh 5,6 ist viel gedeutet und gedeutelt worden. Auch hier votiert G. gegen die Mehrheitsmeinung, die den Vers als Antwort auf eine Gegnerparole deutet. Dagegen empfiehlt G., die Verneinung in diesem Vers (uk en to ydati monon all en to ydati kai en to haimati) als unpolemische Intensivierung zu verstehen (153 f., auch hier mit Lieu). Er schlägt dagegen vor, die beiden Stichworte "Wasser" und "Blut" ständen als Hinweise auf Jesu Taufe und seinen Tod und umgriffen so die Biographie Jesu (159 f.). Hier betone der 1Joh den historischen Ausgangspunkt der Verkündigung Jesu (160). Die differenzierten Aufgaben der drei Zeugen in 1Joh 5,6 unterscheidet G. überzeugend nach den Aktionsarten der Partizipien: Zu den Zeugnissen aus dem Leben Jesu (Partizip Aorist: ho elthon di hydatos kai haimatos) gehören Wasser und Blut, in der Gegenwart der Gemeinde bestätigt deren Zeugnis der Geist (Präsens: to pneuma estin to martyrum).

Im 1Joh stehen Aussagen über grundsätzliche Sündlosigkeit (1Joh 3,6.9) schwer vermittelbar neben solchen, die Sünde nicht grundsätzlich ausschließen (1Joh 1,8). Schon Anfang des 3. Jh.s bezeichnet Tertullian dieses Gegenüber als "offensichtlichen Widerspruch" (de pudicitia 19, zitiert 143). Auch dieses Problem will G. vom Ende des Briefes her lösen. Die "Sünde zum Tode" (1Joh 5,16 f.) stehe für die Apostasie, diese Sünde dürfe es nicht geben. Der Verfasser des 1Joh sagt nach G. mit der behaupteten Sündlosigkeit nur, dass die Adressaten nicht abgefallen sind, um zu bewirken, dass niemand abfallen wird (142). 1Joh 2,18 f. resümiert über die abgefallenen Johanneer: Wer abgefallen ist, sich also den Götzen zuwendet (1Joh 5,21), erweist sich nachträglich als jemand, der nie dazu gehörte (143-148). So verstanden gibt es gegenwärtig nur "Sündlose" oder "Abgefallene". G. will wohl sagen, Stellen wie 1Joh 3,6 warnen vor der Apostasie und wollen so den Verbleib im Verbund festigen. Dieses Ziel verfolgt 1Joh sicher, aber warum redet er dann indikativisch? Er kann, wenn er auf das Verhalten zielt, sonst auch Imperative formulieren.

G. führt den 1Joh und das JohEv auf dieselbe Tradition zurück, ohne eine literarische Abhängigkeit in einer Richtung anzunehmen (z. B. 162). Diese Annahme ist für G.s Gesamtthese nicht ohne Bedeutung. Wäre das JohEv für die Leser des 1Joh ein bekannter Prätext, würde dies G.s Deutung sehr erschweren. Die im JohEv entfaltete Christologie würde 1Joh nicht fortsetzen, eigentlich sogar untergraben. In G.s Deutung repräsentiert der 1Joh ein älteres Entwicklungsstadium als das JohEv. G. liebäugelt dann auch mit einer Frühdatierung des 1Joh um 60 n. Chr. (209). Die sattsam bekannten Argumente, nach denen 1Joh vom JohEv abhängt, würden diese Datierung und damit auch G.s Gegnerdeutung erschweren.

Die Studie legt textnah und kompakt (Text S. 1-212, Anhang mit Bibliographie, Indizes zu Stellen und modernen Autoren) eine These zum 1Joh vor. G. konstruiert aus dem 1Joh zwar auch einen Geschichtsverlauf, aber er lässt den Hauptzeugen, 1Joh, länger zu Wort kommen als viele andere Entwürfe. So entfaltet G. eine für jede Auseinandersetzung mit dem 1Joh unverzichtbare Gesamtdeutung des Briefes, die er auf sehr beachtenswerte Einzeldeutungen insbesondere zu 1Joh 5,6-21 aufbaut.