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Ausgabe:

Oktober/2004

Spalte:

1057 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Klein, Johannes

Titel/Untertitel:

David versus Saul. Ein Beitrag zum Erzählsystem der Samuelbücher.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2002. 220 S. m. Abb. gr.8 = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 158. Kart. Euro 30,00. ISBN 3-17-017352-9.

Rezensent:

Klaus-Peter Adam

Das literarische Wachstum der Samuelbücher ist gegenwärtig umstritten. Dass ein wirklicher Umbruch in der Forschung vorliegt, zeigt sich allein daran, dass die meisten Untersuchungen der vergangenen Jahre Leonhard Rosts Bestimmung der Thronfolgegeschichte als literarische Einheit hinterfragen. Weder große Überlieferungsblöcke noch große Quellen noch durchlaufende narrative Fäden erklären das literarische Wachstum der Samuelbücher befriedigend. J. Kleins Untersuchung zu David und Saul (Dissertation in Bern, betreut von W. Dietrich) versucht ein Erklärungsmodell für ein vor-deuteronomistisches literarisches Wachstum der Samuelbücher zu liefern, indem sie die narrative Ausgestaltung bzw. theologische Verarbeitung der Überlieferungen von Saul und David für Fragen der literarischen Entstehung der Samuelbücher auswertet.

Seiner Untersuchung stellt K. narratologische Beobachtungen und Begriffsbestimmungen zur Poetik voran (11-32) und wendet sich dann der Gegenüberstellung von Saul und David zu (40-42). Formal unterscheidet er direkte Vergleiche zwischen beiden Personen und "Vergleichsbrücken" genannte Anhaltspunkte für eine gewollte Bezugnahme verschiedener Aktionen oder Personen aufeinander (43). Bestimmte Formulie- rungen, Leitworte oder Wortkombinationen und "Verbindungen", nicht jedoch rein motivliche bzw. gattungsgeschichtlich begründete Parallelen, sondern Elemente, die literarische Abhängigkeit nahe legen und die mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit keine zufälligen Bezüge sind, nennt K. "Pfeiler" einer Vergleichsbrücke (45-49).

Im ersten Schritt, einer synchronen Textlektüre, erfasst K. die Gegenüberstellung von Saul und David innerhalb eines Systems der Vergleiche zwischen beiden. Direkte Vergleiche finden sich auf verschiedenen Ebenen: auf der des Erzählers 2Sam 3,1; auf der Ebene der Figuren, z. B. durch Gott 2Sam 7,15; durch den Propheten Samuel 1Sam 15,28 mit dem Gegenüber in 1Sam 9,2. Sie thematisieren den Übergang des Königtums von Saul zu David, erklären Sauls Scheitern und Davids Erfolg und kreisen um die drei Eigenschaften Gottes als Lenker der Geschichte, als gerecht und als verstehbar Handelnder (63). Vergleichsbrücken findet K. in sechs von ihm ermittelten Motivzusammenhängen bzw. sachlichen Bereichen (63-108): beim Motiv des Geschenks für den König; beim Verhältnis der beiden Könige zu Gott (z. B. Erwählung und Salbung; Gottesbefragungen); beim Verhältnis zu den potenziellen Nachfolgern und Oppositionellen (z. B. Jonatan, Absalom, Schimi); beim Verhältnis zum Volk; im militärischen Bereich (z. B. Philisterkriege); bei Begegnungen Sauls und Davids mit Frauen und Propheten. Weil die Fragestellung der Vergleiche konvergiert, schreibt K. alle Vergleiche einem "Verfasser der Vergleiche" (Vv) genannten Autor zu, der die Pfeiler mit anderen Erzählungen von Saul und David verknüpfte und möglicherweise auch Verfasser des Komplexes 1Sam 9-1Kön 2 ist (110). In einem zweiten Schritt ordnet K. die Vergleiche zeitlich ein. Die Gedanken an Sauls Scheitern, an die Usurpation des Throns durch David und dementsprechend an David als einen von Saul zu Unrecht Verfolgten waren gerade in der schwierigen Zeit nach dem Fall Samarias 722 und vor dem Untergang Judas bedenkenswert (112-118). Gott als gerechter, verstehbar handelnder Lenker der Geschichte musste in dieser Zeit wieder plausibel gemacht werden. In Auseinandersetzung mit bisherigen Entstehungstheorien der Samuelbücher erweisen sich die Vv zugeschriebenen Abschnitte als weitgehend von deuteronomistischen Abschnitten abzugrenzende Passagen. K. setzt sie in einer vor-deuteronomistischen Entstehungsphase der Samuelbücher an (119-139). In einem dritten Schritt überprüft er, ob die direkten Vergleiche bzw. Vergleichsbrücken einem Verfasser im späten 8. Jh. zugewiesen werden können und ob es sich um künstlich geschaffene und nicht nur "natürliche", d. h. schon sachlich vorgegebene Brücken handelt. K. ermittelt die Spuren von Vv, indem er Querverbindungen zu den Vergleichen bzw. Vergleichsbrücken untersucht (139-193). Mehrheitlich finden sich konstruierte Pfeiler: 1Sam 9,2.19; 10,1-16.27; 11,12- 14; *13,13 f.; 14,15-22.24-30.31b.36-48; 16,1-13; 17,51-54; 18,5-12; 20,8b.40-42; 24,18-23a; 26,6-11; 28,3a.6.8b.9-12. 13a.14aba.15-17.20ab; 31,1.8-10; 2Sam 3,1.28-39; 5,17-25; 7,12; 8,11-15; 10,1-6a; *12,1-15a; 14,11.26; 16,1-14; 17,27- 29; 18,2b-4a; 19,22 f.; 24,1.3.4a.10.*11-15.16a.17.21bb.25b; 1Kön 1,1-3.11.15 f. 23.29.31; 2,17.21.22.45 f. In natürlichen Pfeilern findet sich die Arbeit von Vv in 1Sam *9; 11,1-11; 28, 4.7.8a.14bb; 31,4 f. 7; 2Sam 18,6; 24,4b. Von Vv bearbeitete Glieder sind 1Sam 15; 16,14-23; 25,18; 30; 2Sam *7,1-17; 14,32 f. Die ermittelten deuteronomistischen Pfeiler (1Sam 13, 13 f.; 15,19; 2Sam 12,9) fallen gegenüber den vielen von Vv geschaffenen Pfeilern nicht ins Gewicht.

Die von K. postulierte Verhältnisbestimmung von Saul und David durch einen Verfasser der Vergleiche ist eigenständig und anregend, wenngleich die eruierten Vergleichsbrücken grundsätzlich dem Verdacht der Überinterpretation unterliegen, wie K. selbst einräumt (46). Methodisch problematisch erscheint, dass K. unter anderem aus der Tatsache, dass sich die von ihm dem Vv zugeschriebenen Abschnitte nur teilweise mit bisher in der Forschung vertretenen vordtr. redaktionellen Zwischenstufen zwischen AG Davids und TFG decken, auf eine Datierung von Vv nach dem Fall Samarias schließen will (134). Im Einzelnen wären zudem literarische Zuordnungen zu Vv zu diskutieren (z. B. bezüglich der Kapitel 1Sam 15.30). Könnte sich die Tätigkeit von Vv nicht auch auf ihm vorliegende Werke wie die Thronfolgegeschichte, die Aufstiegsgeschichte und die Ladeerzählung oder auch auf die weitere Überlieferung der Königebücher bezogen haben?