Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2004

Spalte:

986–988

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schönfeld, Heidi

Titel/Untertitel:

Bücher für den evangelischen Religionsunterricht. Ein Beitrag aus den bayerischen Volksschulen im 19. Jahrhundert.

Verlag:

Jena: IKS Garamond 2003. XII, 606 S. 8 = Arbeiten zur Historischen Religionspädagogik, 1. Kart. Euro 45,00. ISBN 3-934601-60-X.

Rezensent:

Robert Schelander

Bücher für den evangelischen Religionsunterricht - das lässt an Schulbücher denken, Bücher, die in die Hand der Schüler kommen und die im Unterricht verwendet werden. Damit sind wir- so ein Ergebnis der Untersuchung von Heidi Schönfeld - einem geläufigen Vorurteil aufgesessen und haben gegenwärtige Verhältnisse in historische Kontexte eingetragen. Sch. spricht von Büchern für den Religionsunterricht und nimmt dabei eine vierfache Fokussierung ihres Themas vor. Sie untersucht Schulbücher für den Unterricht 1. im Fach evangelische Religion, 2. im Zeitraum des 19. Jh.s (bis einschließlich des Ersten Weltkrieges), 3. im geographischen Raum von Bayern und schließlich 4. in der Schulstufe der Volksschule.

Sch. stellt ihrer Untersuchung ein Kapitel zum Lehrplan voran. Hier werden der rechtliche Rahmen, die kirchlichen Vorgaben und zum Teil auch pädagogische und religionsdidaktische Konzeptionen für die Produktion der "Bücher für den Religionsunterricht" sondiert. Die Vfn. verwendet den Begriff Schulbücher bewusst nicht, da es verschiedene Literaturgattungen sind, die diese Funktion in der damaligen Schule wahrnahmen. Es gelingt ihr sehr gut, maßgebliche Reflexionen zum Religionsunterricht an der Schule hier über ein Jahrhundert mit den markanten Stationen nachzuzeichnen und in ihrer Entwicklung zu verfolgen.

Ein Schwerpunkt ihrer Darstellung liegt auf dem Anfangsunterricht. Es entwickelte sich eine eigene Form von "Schulbüchern für den evangelischen Religionsunterricht der ersten Jahre in der Volksschule" (78) mit einer langen Wirkungsgeschichte. Es ist überraschend zu sehen, wie Ernst Veits in dieser langen Tradition stehendes "Gottbüchlein" aus dem Jahre 1933 sich in vielfältiger Weise auf diese vorausgegangenen Schulbücher bezieht und doch zugleich - ganz im Kontext seiner Zeit - in der Zielsetzung neu ansetzt: "Hin zu einer Teilhabe am kirchlichen Leben" (125).

Neben dieser ersten Gattung spielen die Katechismen (126ff.) quantitativ eine gewichtige Rolle. Die Entwicklung dieser Gattung durch das 19. Jh. wird auch anhand der Diskussion in kirchlichen Gremien (Generalsynode) dargestellt. Faszinierend ist ihre Darstellung zweier Umfragen durch das Oberkonsistorium zum Religionsunterricht in den Gemeinden am Beginn des 19. Jh.s. Beide geben (in Einzelausschnitten) detaillierte Einblicke in zeitgeschichtliche Diskussionszusammenhänge und zum Teil auch in sozialgeschichtliche und schulpädagogische Zustände.

Der unterrichtliche Einsatz der Bibel, so das Ergebnis, erfolgt mit vielerlei und häufig ungeregelten Medien nach "persönlichen Präferenzen". Dies zeigt die "nachrangige" Bedeutung der Bibel als Schulbuch gegenüber dem Katechismus in dieser Zeit auf, so ein Ergebnis der Autorin. Ein kurzes Kapitel zum Gesangbuchlied im Unterricht beschließt die historische Darstellung.

In einem abschließenden 7. Kapitel wird Bilanz gezogen und werden neue Perspektiven aufgezeigt. Die Fülle der Aspekte, die in diesem Zusammenhang angesprochen werden, kann hier nicht gewürdigt werden. Es ist zu wünschen, dass an die hier angesprochenen Perspektiven und Fragestellungen ähnlich gelagerte Untersuchungen - mit anderem regionalem, konfessionellem oder zeitlichem Zuschnitt anknüpfen. Sch. lässt sich im abschließenden Kapitel von den historischen Gegebenheiten nachdenklich stimmen. Nicht durch überzogenes "Lernen aus der Geschichte", sondern durch den direkten Vergleich entstehen anregende Beobachtungen z. B. zur Funktion von Schulbüchern - ein Kapitel, das nicht überlesen werden sollte. Das Verhältnis von Staat und Kirche in der Bildungsfrage beginnt sich auszuweiten, wenn man den Blick von aktuellen Diskussionszusammenhängen um Konfessionalität und LER auf die größere geschichtliche Entwicklung richtet. - Im Anhang werden acht Quellen wiedergegeben, die in der Darstellung besprochen worden sind.

Schulbücher sind Kinder ihrer Zeit. Sch. kann zeigen, wie gesellschaftspolitische Umstände, kirchenpolitische Gegebenheiten, pädagogische Theorien auf ein Schulbuch einwirken. Direkte Kausalitäten lassen sich aber in den seltensten Fällen nachweisen, meist nur vermuten. Der Fokus wird von Sch. auf die Unterrichtswirklichkeit gelenkt. Manchmal hätte man sich mehr Weit- und Überblick gewünscht. Der Anspruch an die eigene Forschung wird von Sch. sehr hoch angesetzt. Sie will theologische und pädagogische Kontexte mit bedenken und zugleich die "Frage nach den unterrichtenden Lehrern und ihrer Ausbildung, nach dem Adressatenkreis, also nach den Volksschulkindern, genauso wie nach staatlichen und kirchlichen Vorgaben" (4) berücksichtigen. Es ist verständlich, dass dies nicht in allen Bereichen und bei allen Quellen im gleichen Maße vollständig einlösbar ist. Jedoch gibt Sch. da und dort Hinweise auf diese Kontexte, wenngleich sich mancher Historiker sicher ein deutlicheres Ausziehen der Linien z. B. zur Theologie und Pädagogik jener Zeit hin gewünscht hätte.

Die Hinwendung zur Alltagswelt, der konkreten Lebenswirklichkeit, macht auch in der religionspädagogischen Forschung in ihrer historischen Dimension nicht Halt. Inwieweit sind aber die Schulbücher tatsächlich "sensible Indikatoren" (1), die den "Blick auf die Schulwirklichkeit" (2) freigeben? Historische Forschung wird sich immer mit der Quelle, mit dem was "überliefert" wird, begnügen müssen. Das wirkliche Leben ist unwiederbringlich im Strom der Zeit untergegangen. Ob Sch. hier nicht mehr findet, wenn sie schreibt: "geradezu spannend werden Schulbücher, wenn Zeugnisse der Unterrichtsstunden, die mit ihnen abgehalten wurden, den Blick auf unterrichtliches Gelingen oder auch auf Schülerleiden freigeben" (2)?

Mit dem Untersuchungsgegenstand der Schulbücher greift Sch. ein häufig vernachlässigtes Thema im "Gefüge von Lehrplan, Schulen, Lehrern und Schülern" (2) auf. Es gibt recht wenig Literatur in der Schulpädagogik, aber noch weniger im religionspädagogischen Kontext zu diesem Themenfeld. Sch. verbindet mit diesem Gegenstand u. a. den faszinierenden Gedanken, am historischen Beispiel die Einheit von Theorie und Praxis aufweisen zu können. Wie spiegeln sich bestimmte wissenschaftliche Theorien in konkreter Unterrichtswirklichkeit und umgekehrt? Überfordert hier aber Sch. nicht ihre Quelle, wenn sie am Schulbuch die ihm "zugrunde liegende Theorie der Erziehung", seinen interpretativen Umgang mit der Welt, seine "methodische und didaktische Funktion" sowie seine gesellschaftspolitischen Einflüsse (2) ablesen will? - Sch.s Untersuchung entstand im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität Bamberg bei Rainer Lachmann. Die neue Reihe verspricht repräsentative Quellen zur Geschichte der Religionspädagogik zu veröffentlichen: "Auch in originalen Schrifttypen".

In ihre Darstellung hat Sch. typische Textpassagen aus den jeweiligen Quelltexten eingefügt. Eine andere Schrifttype und eine andere Zitierweise lassen diese Quellen aus dem fließenden Text hervortreten. Ein auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftiges Vorgehen. Zumal kürzere Zitate in der bisher üblichen Weise mit Anführungszeichen im Text stehen und in der Fußnote der Querverweis angegeben wird. Verwirrend wird es, wenn im Anhang die Quellen in einer Times-Schrift abgedruckt werden und eine Zwischenbemerkung der Autorin in einer Arialschrift wiedergeben wird (492).

Wir können jedenfalls gespannt sein, was diese Reihe an "Schmankerln" und historischen Raritäten, aber auch an Einsichten in historische Zusammenhänge religiösen Erziehens und Unterrichtens zutage fördern wird.