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Ausgabe:

Juni/1998

Spalte:

603–605

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Althoff, Gerd

Titel/Untertitel:

Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde.

Verlag:

Darmstadt: Primus 1997. IX, 360 S. m. 10 Abb. 8. Lw. DM 68,-. ISBN 3-89678-038-7.

Rezensent:

Martin Kaufhold

Die Epoche des frühen und des hohen Mittelalters ist in jüngerer Zeit Gegenstand leidenschaftlicher Auseinandersetzungen. Sie entzünden sich vornehmlich an der Interpretation historischen Handelns, an der Bestimmung der Motive dieses Handelns und an dem Menschen- und Gesellschaftsbild, das aus dieser Interpretation erwächst. Es geht dabei - bedingt durch die spärliche Überlieferung - vor allem um das Handeln der Herrscher und der hohen Aristokratie in der Zeit vom 9. bis in das 11. Jh. Die Quellen, die uns über die Menschen, ihr Tun und ihre Beweggründe Auskunft geben und darüber, wie diese frühen Gesellschaften funktionierten, lassen viele Fragen unbeantwortet, und sie fordern damit die Interpretation der historischen Forschung heraus. Eine lange vorherrschende Tradition in der deutschen Mittelalterforschung hat immer den rechtlichen Charakter der gesellschaftlichen Bindungen betont, ihr Interesse galt dem "Staat des hohen Mittelalters" - so der Titel des berühmten Buches von Heinrich Mitteis (1889-1952), und noch heute gilt der Geschichte der "Reichsverfassung" eine besondere Aufmerksamkeit. Die Staatlichkeit und der staatsrechtliche Charakter gesellschaftlicher Institutionen hat in der Forschung das Bild der mittelalterlichen Gesellschaft lange Zeit bestimmt, bis durch die Arbeiten Otto Brunners und Theodor Mayers das Verständnis für die spezifischen, nicht-staatlichen gesellschaftlichen Mechanismen geschärft wurde, die ein geregeltes menschliches Zusammenleben in Personenverbänden garantierten.

Diesem Forschungsfeld der sozialen Regeln in hocharistokratischen Personenverbänden und der Rituale, die die Stabilität dieser Verbände und die Sicherheit ihrer Mitglieder begründen und garantieren sollten, gibt Gerd Althoff seit vielen Jahren durch eigenständige und originelle Arbeiten bedeutende Impulse. Der vorliegende Band faßt bereits gedruckte, aber auch bislang unveröffentliche Arbeiten A.s, der nach Professuren in Gießen und Bonn nun in Münster lehrt, unter dem programmatischen und einleuchtenden Titel "Spielregeln der Politik im Mittelalter" zusammen. Die elf Beiträge gruppieren sich um die Themen " Konfliktführung" und "Kommunikation", wobei A. unter Kommunikation weniger verbale Verständigung als vielmehr das Instrumentarium öffentlicher Rituale und zeichenhaften Handelns in Krisensituationen versteht, dessen Ziel vornehmlich der gewaltfreie Ausgleich unter Streitenden war. Der Schwerpunkt liegt im 10. und 11. Jh., wie etwa die zentralen Beiträge über "Königsherrschaft und Konfliktbewältigung im 10. und 11. Jahrhundert" und "Colloquium familiare - colloquium secretum - colloquium publicum" über die Rolle der "Beratung im politischen Leben des früheren Mittelalters". A. führt aber die Untersuchung weiter in das 12. Jh., so in dem wichtigen Beitrag über "Konfliktverhalten und Rechtsbewußtsein. Die Welfen im 12. Jahrhundert". Am Beispiel des Konflikts von Rudolf von Habsburg mit Ottokar von Böhmen versucht er die Verbindlichkeit der Regeln, mit denen er das hocharistokratische Verhalten im früheren und hohen Mittelalter erklärt, auch für das spätere 13. Jh. darzulegen. Weitere Beiträge untersuchen den Anspruch auf eine ehrenvolle Unterwerfung als Mittel der Konfliktbeilegung, den schwierigen Weg, auf dem ein Anliegen das Ohr des Herrschers erreichte und die Bedeutung öffentlich gezeigter Emotionen.

Die Sammmlung wird durch eine Positionsbestimmung in der Forschung eingeleitet, und sie wird abgeschlossen durch einige grundsätzliche Reflexionen über die Funktion eines solchen sozialen Systems in dem Beitrag "Ungeschriebene Gesetze. Wie funktioniert Herrschaft ohne schriftliche Normen"? Das Buch eignet sich in seiner klaren Darstellung besonders gut zum Einstieg in das Thema, zumal A. seine Ergebnisse am Schluß jedes Kapitels nochmals prägnant zusammenfaßt. Eine solche Sammlung von Beiträgen, die seit dem Ende der 80er Jahre entstanden sind, bringt zwangsläufig manche Wiederholung mit sich. Das ist in diesem Falle ganz hilfreich, denn so wird A.s zentrales Anliegen sehr deutlich. Entgegen einem verbreiteten Verständnis vom Mittelalter als einer Zeit mühsam gezügelter Emotionen und manchmal barbarischer Unmittelbarkeit, wie es uns beispielsweise bei Norbert Elias begegnet, betont A. das Inszenierte und Zeichenhafte der mitunter gewalttätig erscheinenden Handlungen. Wer sich dem überlegenen Gegner unterwarf, lieferte sich ihm nicht auf Gedeih und Verderb aus, vielmehr durfte er darauf setzen, daß der Sieger seinen Triumph nach einem geregelten Ablauf inszenierte, der es am Schluß allen Beteiligten erlaubte, das Gesicht zu wahren. Die Bedingungen des anschließend öffentlich inszenierten Rituals wurden zuvor in kleinem Kreise ausgehandelt. Eine besondere Bedeutung kam dabei den Vermittlern, den "Mediatores" zu. A. legt großen Wert auf die Verbindlichkeit dieser Abläufe und damit auf die Sicherheit, die diese Regeln allen Beteiligten gewährte. Er spricht hier gar von einem "Grundgesetz": "Es durfte nichts improvisiert und spontan geschehen, alles mußte vorher abgesprochen und erst dann inszeniert werden" (125). Das ist in dieser entschiedenen Form wohl doch eine problematische Feststellung, zumal, wie A. selber einräumt, die von ihm ermittelten Regeln an keiner Stelle formuliert worden sind. A. gewinnt sie aus der vergleichenden Analyse der Quellenzeugnisse.

Um diese Interpretation der Quellen ist lebhafter Streit in der Mediävistik entbrannt. Er entzündete sich an Johannes Frieds großem Werk "Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024, Berlin 1994. (Vgl. dazu etwa die Kontroverse Fried/Althoff in der Historischen Zeitschrift 260 [1995] oder den Beitrag von Borgolte in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen 247 [1995]). Mit Johannes Fried und Michael Borgolte sehen zwei namhafte Kenner des früheren Mittelalters durchaus Raum für spontane Emotionen und individuelle Motivation, und sie lesen die Überlieferung entsprechend. Der Band von A. ist damit auch eine Positionsbestimmung in der Debatte um das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und historischer Anthropologie. Die Debatte hat durch die Leidenschaft der Autoren für ihr Thema mitunter einen persönlichen Ton bekommen. Als Außenstehender möchte man diesen Aspekt bedauern, kann aber eine Debatte über das menschliche Handeln in der Gesellschaft des frühen Mittelalters auf so hohem Niveau nur begrüßen. Die Diskussion wird durch A.s Beiträge sicher weiter angeregt werden. - Drei knappe Anmerkungen seien zum Schluß erlaubt.

Die erste ist traditionell-handwerklicher Art: Ein Buch, das sich gerade zum Einstieg in ein Forschungsproblem eignet, könnte in seinen Belegen für Nicht-Fachleute mitunter ausführlicher sein und etwa bei Verweisen auf die staufische Zeit Quelleneditionen und Forschungsliteratur nennen. 2. Bei der Lektüre fühlt man sich bei allen Unterschieden wiederholt an Johan Huizingas "Herbst des Mittelalters" erinnert. Dies liegt wohl nicht zuletzt an der zentralen Bedeutung, die der mittelalterlichen Geschichtsschreibung auch bei A. zukommt. Wer die Autoren und ihre Stellung zum Geschehen und den handelnden Personen nicht so gut kennt, würde sich einige Hinweise auf die einschlägige Forschung wünschen. 3. Da A. die historische Bedingtheit des von ihm ermittelten Regelwerks selbst betont - er leitet die Notwendigkeit einer neuen Herrschaftspraxis nicht zuletzt aus der anfänglichen Schwäche der ottonischen Herrschaft ab - muß auch auf den Wandel dieser Regeln im späteren Mittelalter hingewiesen werden. Nun wurden Konflikte durchaus mit ausführlichen Argumenten und erheblichem verbalen Aufwand ausgetragen. Auch der Charakter der Mechanismen zur Beilegung von Konflikten änderte sich. Daß Ottokar von Böhmen einen Schiedsspruch der Vermittler im Konflikt mit Rudolf ignorierte, war wohl kein Skandal mehr, sondern im fortgeschrittenen 13. Jh. ein so verbreitetes Problem, daß man nun veränderte Instrumente für den friedlichen Ausgleich suchen mußte.

Allerdings fordert jede profilierte Arbeit an ihren Grenzen Widerspruch heraus, und es ist auch ein Verdienst der Arbeit von Gerd Althoff, unsern Blick für diesen Wandel geschärft zu haben.