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Ausgabe:

September/2004

Spalte:

962–964

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Kelly, Geffrey B., and F. Burton Nelson

Titel/Untertitel:

The Cost of Moral Leadership. The Spirituality of Dietrich Bonhoeffer.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2003. XVIII, 300 S. gr.8. Kart. US$ 25,00. ISBN 0-8028-0511-6.

Rezensent:

Christina-Maria Franke

Eine der "besten" Ein- und Heranführungen, die man überhaupt erhalten kann, wenn es um die Person und das Werk Bonhoeffers geht! Eine "Lücke" in der Bonhoeffer-Forschung ist "geschlossen", eine bahnbrechende Arbeit, "ermutigend" und "überzeugend", ein "Schatz" für jeden Leser, der den "wirklichen Bonhoeffer" kennen lernen will! So und ähnlich lauten die auf dem Cover zitierten Urteile über die jetzt vorliegende Gemeinschaftsproduktion von Geffrey Kelly und Burton Nelson.

Nach über 50 Jahren Bonhoeffer-Forschung machen Superlative dieser Art ein klein wenig skeptisch. Freilich begegnet uns heute Bonhoeffers Lebensgeschichte tatsächlich in einer schwer auslotbaren Verschränkung mit seinem Tode, die immer neu entdeckt sein will, um den nachfolgenden Generationen nahe gebracht werden zu können. Die Autoren haben das versucht, indem sie über das Genre einer biographischen Einführung hinaus das Glaubensleben von Bonhoeffer als das eines "modernen Märtyrers" (XIII) beleuchten. Sie intendieren auf den Spuren seiner Spiritualität einen "Durchbruch" (XII) in der Bonhoeffer-Forschung.

Das Buch ist in zehn Abschnitte gegliedert. Sie gelten dem geistlichen Leben Bonhoeffers, bewusst lose orientiert an einzelnen biographischen Etappen, welche im Horizont seines Ringens um gerechtere Gesellschaftsstrukturen interpretiert werden. Es geht dabei um die "Rhythmik seiner christozentrischen Spiritualität" (43) und um die "prophetische Dimension" der Spiritualität (51 ff.). Beides mündet bei Bonhoeffer im Aufstehen und Reden für die Opfer der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland und im bedingungslosen pazifistischen Einsatz für den Weltfrieden. Die Autoren sehen die schon beim "frühen" Bonhoeffer erkennbare Dynamik seiner Spiritualität in der Christusnachfolge begründet. Sie führt in letzter Konsequenz auch in den politischen Widerstand als ein Stehen beim Kreuz um den Preis des eigenen Lebens. Auf dieser Linie wird das geschwisterliche Verhältnis zwischen Spiritualität und konsequenter moralischer Integrität narrativ entfaltet. Dabei springen die Autoren immer wieder zwischen Damals und Jetzt hin und her - zwischen den Texten, Predigten, Gedichten, Gebeten und Briefen Bonhoeffers ohnehin. Exakt 100 Diskussionsfragen unterschiedlicher Qualität, mit welchen das Buch schließt, wollen den Leserinnen und Lesern ermöglichen, sich den Geist der Spiritualität Bonhoeffers unter den Bedingungen unserer Zeit anzueignen.

Die Stärke des Buches liegt in einem durchgängig gewinnenden Stil, getragen von der Frage, was eigentlich ein konsequent aus der Christus-Nachfolge heraus geführtes Leben ist, das für uns zu moral leadership zu werden vermag. Es bedeutet auf jeden Fall, radikal weltbejahend zu existieren, ohne sich an die Welt zu verlieren. Bonhoeffers "christuszentrierte Spiritualität" lehrt uns nach Ansicht der Autoren, bei der Gestaltung einer authentischen Existenz im Glauben die Balance zwischen Alltäglichkeit und Spiritualität zu halten. Das impliziert einen angemessenen Umgang mit der gegenwärtig allenthalben anzutreffenden Faszination für alles irgendwie "Religiöse". Kritische Wachheit ist gegenüber jenen Religiositätsbegeisterungen geraten, die sich mit weniger als Christus zufrieden geben. Das bleibt, wie die Autoren nicht als Erste herausarbeiten, die zündende und vorwärts treibende Kraft gerade auch in Bonhoeffers Überlegungen zum "religionslosen Christentum" (vgl. 38 f.41- 44), was freilich noch etwas anderes ist als "non-religious Christianity" oder "non-religious interpretation" (vgl. 7.42.95.271). Womit Bonhoeffer zutiefst rang, zeigt der folgende Ausschnitt deutlich:

"Even a seemingly harmless sermon, such as he described in his diary in 1939, could stir up his inner malaise over the church's failure to be Christ to the world. On that occasion Bonhoeffer lamented that a worship service he had attended in a prominent Riverside, New York, church was nothing more than a respectable, self-indulgent religious celebration bereft of the cutting edges of God's Word. For Bonhoeffer, that service, full of self-satisfied praise for the freedoms of America, represented the sort of idolatrous religion that stirs up the flesh which is accustomed to being kept in check by the Word of God." (48)

Die selbstgefällige, in eine irgendwie attraktive religiöse Feier eingebettete Predigt der Kirche vertieft die Kluft zur Spiritualität, die Christen eigentlich bewegt. In Bonhoeffers Religionskritik geht es nicht um Ängste vor religiöser Vielfalt, sondern um die Identität und Zukunft der christlichen Gemeinschaft. Weit deutlicher noch als die Autoren kann man daher sagen, dass für Bonhoeffer deshalb der Gebrauch des Häresie-Begriffes unerlässlich war, vor allem wenn die praktisch-kirchliche Selbstgefälligkeit sich selbst durch dogmatische und dogmengeschichtliche Absicherungen rechtfertigt und damit die Identität des Christentums zu Grunde richtet. Nur ein Christentum, das vom Geist Christi getrieben ist, kann auch in der Lage sein, diesen Geist in die gesellschaftlichen und politischen Dimensionen zu tragen. Das Autorenduo schreckt deshalb auch selbst vor Stellungnahmen zu brisanten Fragen der Welt- und Tagespolitik in der Gegenwart nicht zurück. Der US-Militarismus und der Einmarsch in Afghanistan werden im Horizont der Frage reflektiert, welche Position Bonhoeffer demgegenüber eingenommen hätte (115 ff.). Das Gemeinsame zwischen damaliger und jetziger Situation sei in der Frage des Widerstandes gegen das Böse zu sehen, welches ein gesellschaftliches System nicht nur unterwandert, sondern selbst zum System zu werden droht (114).

"Because so many Americans have turned Bonhoeffer into a folk hero and modern martyr, they seem to expect that Bonhoeffer would have been proud of the way in which the United States has been a force for peace in the world ever since the allied victory in World War II. If they would examine Bonhoeffer's writings more carefully, however, they might find a withering condemnation of any political system, including that of the United States, that engages in ideological, domineering, manipulative attitudes toward vulnerable peoples and nations." (120)

Solche Worte erstaunen, weil erst wenige Seiten zuvor behauptet wird, dass es durchaus die Verantwortung von moral leaders sein könne, dem Terrorismus gegebenenfalls auch mit dem Mittel des Krieges zu antworten.

"The recent war against terrorism elides well with Bonhoeffer's own decision to join a violent conspiracy, not as a virtuous decision in keeping with the gospel, but as a sinful, albeit tragic, necessity in order to protect the lives of the innocent. Bonhoeffer invoked the responsibility to defend those unable to protect themselves, which is the hallmark of Jesus' mandate to care for the most vulnerable of his brothers and sisters." (118)

So ohne weiteres sind Bonhoeffers Urteile dann eben doch nicht in die weltpolitische Lage des 21. Jh.s zu übertragen! Außerdem sollte die Berufung auf Bonhoeffer nicht dazu führen, die eigene politische Meinung mit dem Pathos einer durch sein Martyrium beglaubigten Wahrheit zu überhöhen. Zu emotionsbeladenen Formulierungen neigen die Autoren bei der Darstellung des Lebens Bonhoeffers überhaupt. Ein größeres Maß an Nüchternheit und ein geringeres Maß an wiederholten Beteuerungen der außerordentlichen moralischen Integrität Bonhoeffers wären ebenso wünschenswert wie eine Reduktion des Redens von der Spiritualität in Genitiven (z. B. spirituality of liberation, spirituality of peace, 83 ff.120). Im Grunde ist auch die Kategorie des "Prophetischen" schon eine Überhöhung dessen, was Bonhoeffer faktisch getan und gedacht hat. Bonhoeffer selbst hätte sie im Blick auf sein Leben und Denken weit von sich gewiesen. Man sollte sie jedenfalls nicht verwenden, ohne auch von seinen Irrtümern, Grenzen und Schwächen zu reden. Das wird ihm besser gerecht und macht ihn ja auch nicht klein, sondern bringt ihn uns als einen Theologen nahe, der sich mit seinen großen Möglichkeiten und Gaben den zerreißenden Problemen seiner Zeit gestellt hat.

Die Autoren sind sich der Gefahren der Idealisierung der Person Bonhoeffers (etwa im Hinblick auf die Finkenwalder Zeit, vgl. 23) im Übrigen durchaus bewusst. Jene Neigung zur Pathetik mindert deshalb nicht den Eindruck der Sensibilität, mit der die inneren und äußeren Konflikte in seinem Leben geschildert werden. Besonders eindrücklich wird herausgearbeitet, was es für Bonhoeffer hieß, Glied einer Kirche zu sein, die ihre Stimme nicht geschlossen für die Juden zu erheben vermochte (45 ff.). Auch wenn in diesem Buch nicht alle lebensgeschichtlichen und historischen Details erschöpfend belegt werden können, ist es doch richtig, dass die Verfolgung der Juden für Bonhoeffer ein grundlegendes Motiv für seinen einsamen Weg in der Kirche und schließlich in den Widerstand war. Welcher geistlichen Stärke es bedurfte, um diesen Weg in immer neuem eigenen Hören auf den Gott der Bibel und in entschlossenem Handeln in der Welt zu gehen, haben die Autoren eindrücklich beleuchtet. Ihr Fragen nach einer Spiritualität in den Kirchen von heute, in der die Verinnerlichung des Glaubens mit dem verantwortlichen Welthandeln eine Einheit bildet, ist von Bonhoeffer her deshalb ein gebotenes Fragen.