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Ausgabe:

Juni/1998

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament. Neubearb. Ausgabe. Begründet durch E. Beyreuther, H. Bietenhard, u. L. Coenen. Hrsg. von L. Coenen, u. K. Haacker in Verb. mit J. Kabiersch, S. Kreuzer, H. Lichtenberger, G. Mayer u. H. Seebaß. I: A-H.

Verlag:

Wuppertal: Brockhaus; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1997. LI, 1015 S. 4. ISBN 3-417-24841 u. 3-7887-1610-X.

Rezensent:

Andreas Lindemann

Die 1. Auflage des TBLNT erschien 1965-1971 in drei Bänden.1 Jetzt liegt der erste Band der neubearbeiteten Ausgabe vor, wobei L. Coenen nach wie vor Herausgeber ist, während an die Stelle der damaligen Mitherausgeber E. Beyreuther und H. Bietenhard nun K. Haacker getreten ist, der zugleich als Fachberater für den Bereich des NT fungiert. Auffallend sind die äußerlichen Veränderungen: Das Druckbild ist sehr viel übersichtlicher geworden, die einzelnen Abschnitte sind klarer als bisher voneinander abgehoben (nicht zuletzt auch dadurch ist der Umfang gewachsen, 1015 statt bisher 722 Seiten für "Abraham" bis "Hoffnung").

Viele Artikel wurden weitgehend revidiert oder völlig neu geschrieben, viele wurden aber auch im wesentlichen übernommen und lediglich mit zusätzlichen Literaturhinweisen versehen. Der Grundgedanke blieb erhalten: Ausgangspunkt sind deutsche Begriffe, und ihnen werden die entsprechenden neutestamentlichen griechischen Worte zugeordnet. So gibt es einen Artikel "Anfang/Ende", unter dem griech. Worte wie u. a. arche, archon, eggys, eschatos, protos, telos, skolos und peras abgehandelt werden (wobei man diese Übersicht nur im Inhaltsverzeichnis findet, nicht aber bei dem entsprechenden Artikel). Das Stichwort ÚÎÙÚ "Gerichtsvollzieher, Gerichtsdiener" (hapax legomenon in Lk 12,58) steht allerdings, offenbar wegen des Zusammenhangs mit dem Ver, prasso im Artikel "Arbeit/Last", während man es doch - wenn überhaupt - eher unter "Gerechtigkeit/Gericht" suchen würde. Als eigene Begriffe sind gegenüber der 1. Auflage entfallen u. a. "Apostel" (jetzt unter "Sendung/Mission"), "Fluch" (jetzt unter "Segen"), "Hand/ Handauflegung" (hier wird, ebenso wie bei "Haupt", auf den Begriff "Leib" verwiesen) und auch "Herr" (jetzt unter "herrschen/dienen"). "Himmel" und "Hölle" bilden jetzt nur einen Artikel, und statt bisher "Hoffnung" gibt es nun den Artikel "Hoffnung/Furcht/Sorge".

Der erste Band enthält 85 Artikel (darunter auch Kombinationen wie "alt/neu/jung" oder "denken/Vernunft") aus der Feder von mehr als 120 Autoren; zahlreiche Artikel inzwischen verstorbener Autoren wurden in bearbeiteter Form übernommen. Die Formulierung in der Einführung, Kriterium für die Aufnahme von NT-Vokabeln sei "der Grad, in dem sie zu Gefäßen für Inhalt und Gestalt der Botschaft des NT geworden sind" (XXVII), entspricht ungefähr dem früher Gesagten; es wird damit aber natürlich ein weiter Spielraum eröffnet. Die Gliederung zu den einzelnen Stichworten innerhalb eines Artikels, z. T. von verschiedenen Autoren, wurde beibehalten (I: Sprachgebrauch im griech.-hellenistischen Raum; II: Septuaginta, Philo usw. und die hebr. Äquivalente; III: Neues Testament). An die Stelle der bisherigen Abschnitte "Zur Verkündigung" sind "Hermeneutische Überlegungen" getreten, ohne daß allerdings völlig klar wird, welche Konzeptänderung sich damit verbindet. Die Literaturangaben wurden reichlich vermehrt und vor allem auch bibliographisch präzisiert (so gab es in der 1. Aufl. beim Artikel "Abraham" 9 Titel, einschließlich der entsprechenden Artikel aus ThWNT und RGG; jetzt findet man 26 Titel, und die Hinweise auf Lexikonartikel sind generell entfallen).

Nach dem Abkürzungsverzeichnis (das in großem Umfang auch antike Literatur anführt, freilich ohne nähere Informationen und vor allem ohne die Nennung von Textausgaben) folgt eine Umschrifttabelle und eine im ganzen sehr brauchbare Erläuterung von Fachausdrücken (freilich nicht immer unproblematisch - man wird beispielsweise über den "Elohisten" informiert ohne jeden Hinweis auf die neuere Diskussion, aber beim "Jahwisten" wird immerhin auf die unterschiedlichen Datierungsvorschläge verwiesen; auch eine Definition wie "Kosmologie ist die Lehre von der Welt" - so die gesamte Information, XLVII - ist wahrscheinlich nicht sehr hilfreich).

Im folgenden soll versucht werden, anhand mehr oder weniger zufällig herausgegriffener Artikel den Charakter des neubearbeiteten TBLNT und das Verhältnis zur 1. Auflage zu beschreiben. Der Artikel "Abraham" (H. Seebass) ist weithin wörtliche Übernahme aus der früheren Auflage; stark erweitert ist der Abschnitt "A. im Frühjudentum" (so statt bisher "Judentum"; der Ausdruck "Spätjudentum" ist mit Recht ganz verschwunden), wobei statt der Verweise auf Billerbeck nun zahlreiche Textbelege aus der Literatur des spätantiken Judentums geboten werden. Der Artikel "Antichrist", jetzt von O. Böcher, ist klarer gegliedert, viel stärker auf die Texte bezogen und im ganzen ausführlicher als früher; die abschließenden hermeneutische Überlegungen stammen nach wie vor von L. Coenen und sind praktisch wörtlich übernommen. An die Stelle des die Stichworte penes und ptochos umfassenden Artikels "arm" ist der Artikel "Armut/Reichtum" getreten, der nun ironischerweise mit den Stichworten thesauros und mamonas (bisher im Artikel "Besitz") beginnt. Inhaltlich ist vieles fast wörtlich übernommen. Die hermeneutischen Überlegungen dagegen sind völlig verändert, weil ja nun Armut und Reichtum in ihrer Bezogenheit aufeinander bedacht werden müssen. R. Krüger (statt bisher H. H. Eßer) gibt eine Skizze der wirtschaftlichen Situation der Gegenwart, relativ holzschnittartig und mit einer sprachlichen Entgleisung ("Die Einbeziehung Lateinamerikas [!] ab 1492 in die von Europa gelenkte Weltwirtschaft brachte für diesen Subkontinent den größten Holocaust [!] und die größte ökologische Katastrophe der Menschheitsgeschichte mit sich", 86; der Autor lehrt in Argentinien, aber die Herausgeber hätten hier doch eingreifen sollen).

Der Artikel "Auferstehung", der bislang 7 Seiten umfaßte, ist auf fast 20 Seiten angewachsen. Nach der lexikalischen Behandlung der Stichworte anastasis, egeiro usw. folgt ganz neu eine ausführliche Darstellung von "Geschichte und Gehalt biblischen Auferstehungsglaubens" (einschließlich Hinweisen auf Vorstellungen in der außerbiblischen Antike). Sehr schön zeichnet W. Klaiber die neutestamentlichen Aussagen zur Auferstehung Jesu theologisch nach. Etwas unmotiviert folgt die Darstellung von arpaxo, als bezeichne das Wort nur die eschatologische Entrückung. Danach folgen die hermeneutischen Überlegungen von Klaiber, wobei die Diskussion über die Historizität mit der etwas paradoxen Feststellung eingeleitet wird: "Jesu Auferweckung ist ein Ereignis in der Geschichte. Ob es als historisches Ereignis bezeichnet werden kann, ist umstritten" (106). Gleichwohl handelt es sich um einen wertvollen Beitrag zur theologischen und hermeneutischen Reflexion.

Der Artikel "Frau" ist erstaunlicherweise nur wenig verändert. So ist ein Satz wie "Paulus anerkennt die Gleichwertigkeit der Frau in der Gemeinde (Gal 3,28; 1Kor 11,5 ...), doch nicht als Gleichheit oder Gleichrangigkeit (1Kor 11,3 ff.; vgl. Kol 3,18 par.): Von der Schöpfungsordnung her will er ihre besondere Stellung gewahrt wissen" (1355) unverändert stehengeblieben (2482). 1Kor 14,34 f. gilt undiskutiert als paulinisch, und lediglich der Hinweis auf 1Thess 4,4 ist durch die in Parenthese gesetzte Bemerkung ergänzt worden, von der Frau als "Gefäß" spreche Paulus "ohne Abwertung (vgl. Röm 9,21 ff.)" - als wäre damit der Sprachgebrauch erklärt. Die Schwäche des NT-Teils ist um so auffälliger, als H. Seebass den ATAbschnitt gegenüber der 1. Aufl. erheblich verbessert hat.

Die bisher recht reservierten Ausführungen über Jesu Mutter Maria beim Stichwort meter sind korrigiert worden: Statt "Dieser Einstellung Jesu [sc. wie sie in Lk 11,27 f. sichtbar wird] entspricht die Stellung Marias in der Urchristenheit. In dem Ostergeschehen tritt sie völlig zurück und wird im übrigen NT nur noch einmal Apg 1,14 genannt" (1356), bezieht sich der Einleitungssatz jetzt auf die vorangehende Aussage "Wenig später am Kreuz gilt Jesu Fürsorge seiner M. (Joh 19,25-27)", und aus Apg 1,14 wird nun abgeleitet, daß sich die Familie "sofort nach den Osterereignissen dem Jüngerkreis anschloß" (2484). Auch die kritischen Bemerkungen zum "katholischen Madonnenkult" fehlen nun, einschließlich des Hinweises auf die religionsgeschichtlichen Parallelen. Die hermeneutischen Überlegungen stammen von Cornelia Coenen-Marx, einer von insgesamt vier Autorinnen. Sie erwähnt den religionsgeschichtlichen Hintergrund des Marienbildes als Jungfrau und Mutter (489); sie verweist auch auf die die Vorstellung von der Geschlechterdifferenz begleitenden subjektiven Erfahrungen, denen freilich die andere Erfahrung gegenüberstehe, "daß Geschlechtlichkeit und Geschlechterdifferenz in Christus keine letzte Dignität haben und daß darum Männern und Frauen gleiche Würde und gleiches Recht zukommen, das eigene Leben in Freiheit zu gestalten" (490).

Glänzend ist der Artikel "Freiheit/Abhängigkeit", im wesentlichen von S. Vollenweider. Der Artikel "Friede" ist von B. Wander gegenüber der 1. Aufl. (H. Beck) erweitert und präzisiert worden. Die hermeneutischen Überlegungen von H. Schaefer setzen mit der Anfangszeile eines (inzwischen einigermaßen vergessenen) deutschen Schlagers ein; es wird dann an Friedensinitiativen in der Kirchengeschichte erinnert, erfreulicherweise auch über die "Friedensbewegung" der 80er Jahre hinaus (549). Die Gedanken "zur Verkündigung" von H. Beck waren in systematisch-theologischer Hinsicht sicherlich abstrakter gewesen, aber auch umfassender.

Völlig neu geschrieben wurde der Artikel "Gott". Die Ausführungen über das griech. Gottesverständnis (R. Heiligenthal) sind informativ und gehen weit über die wenigen Sätze in der 1. Aufl. hinaus. Ähnliches gilt für den AT- bzw. Judentums-Abschnitt; D. Vieweger beschränkt sich nicht auf knappe Hinweise, verbunden mit eher bibelkundlichen Textreferaten, sondern bietet eine fundierte Übersicht (wobei der in der 1. Aufl. überdimensionierte Qumran-Abschnitt mit Recht auf das für Qumran Charakteristische reduziert wurde). Der NT-Teil (Heiligenthal) ist viel weniger als bisher von systematischen Vorgaben als vielmehr vom Befund in den Texten selber her bestimmt; so fehlen mit Recht die langen Abschnitte über "die Personhaftigkeit" und über "die Eigenschaften Gottes" sowie die abschließenden Erwägungen zur "Dreieinigkeit". Warum der Abschnitt über "Gott und die Kirche" entfallen ist (immerhin spricht Paulus durchgängig von der "Kirche Gottes"), ist nicht erkennbar. Die hermeneutischen Überlegungen von U. Körtner bilden schon insofern etwas Besonderes, als sich hier tatsächlich hermeneutische Reflexionen finden und nicht nur Versuche einer allgemeinen Applikation der Textaussagen auf die Gegenwart. Körtner bietet auf zwei Seiten Grundzüge einer Theologie, die wirklich dem Verstehen des Redens von Gott dienen (wobei hier nun auch die Notwendigkeit trinitarischen Redens von Gott expliziert wird, 842).

Dagegen ist der Artikel "Herrenmahl" (B. Klappert) in den Teilen I-III praktisch unverändert geblieben, einschließlich der Literaturhinweise im Text, die dem Stand der 60er Jahre entsprechen (die in der Bibliographie genannte jüngere Literatur ist nicht eingearbeitet). Seltsam ist, daß eine der (ganz wenigen) Korrekturen in der Aussage besteht, die Wendung "mein Blut des Bundes" (Mk 14,24) werde "in allen Fassungen der Abendmahlsüberlieferung ... genannt" (921), was natürlich nicht der Fall ist. Getilgt sind Aussagen, die von der exklusiven Bedeutung des Opfers Jesu sprachen; statt "Sein Sterben begründet die Heilsordnung (Bund) der Endzeit" (1676 mit Verweis auf E. Lohse), heißt es jetzt: "Sein Sterben wird hineingestiftet in die Heilsordnung (Bund) der Endzeit" (2921, ohne Literaturhinweis). Die Überlegungen zur Verkündigung aus der 1. Aufl. sind ersatzlos (!) entfallen; stattdessen schließt Abschnitt III mit Gedanken unter der Überschrift "Israel und die Kirche - erster und eschatologisch neuer Bund" (924), in denen mehrfach betont wird, daß durch den Neuen Bund der erste Bund "bekräftigt und aufgerichtet" werde und daß Israel wie die Kirche auf die "Vollendung des verheißenen eschatologisch Neuen Bundes" warten (mit Verweis auf Röm 11,27 ff.). Inwiefern sich diese Aussagen auf das Verständnis des Abendmahls im NT stützen könnten, wird nicht gesagt.

Die Neuauflage des TBLNT hinterläßt einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits ist das Werk jedenfalls äußerlich durchgängig "moderner" geworden, und auch inhaltlich bieten viele Artikel eine wirklich gute, die wissenschaftliche Arbeit fördernde Information. Andererseits wirken viele Artikel ausgesprochen "alt", bisweilen nicht zuletzt auch in sprachlicher Hinsicht. Erstaunlich sind gewisse Ungleichgewichte: Das in jeder Hinsicht bedeutsame Stichwort eikon wird im Artikel "Bild" auf kaum mehr als einer Seite abgehandelt (177 f.; Kritik hatte hier schon bei der 1. Aufl. G. Friedrich geübt), hypostasis im Artikel "Gestalt" erhält hingegen fünf Seiten (767-772), mit allein zwei Seiten über die drei Belege im Hebr.

G. Friedrich hatte seinerzeit hervorgehoben, daß das Werk besonders auch für diejenigen, die kein Griechisch gelernt haben, eine große Hilfe sein werde; tatsächlich sind die griech. Worte durchgängig auch in Umschrift geboten, aber die Gestaltung ist in vielen Artikeln letztlich doch so angelegt, daß durch Griechisch- (und auch Hebräisch-)Kenntnisse eine einigermaßen glatte Lektüre zumindest erheblich erleichtert wird. Der Blick ins TBLNT wird sich aufs Ganze gesehen künftig eher lohnen als bisher; aber angesichts der sehr unterschiedlichen Qualität der Artikel wird der Gewinn sehr unterschiedlich ausfallen.

Fussnoten:

1 Vgl. die damalige Besprechung durch G. Friedrich, ThLZ 98, 1973, 819-825.