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Ausgabe:

September/2004

Spalte:

941–946

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Vahrenhorst, Martin

Titel/Untertitel:

"Ihr sollt überhaupt nicht schwören". Matthäus im halachischen Diskurs.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2002. XIV, 465 S. 8 = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 95. Geb. 74,00. ISBN 3-7887-1889-7.

Rezensent:

Hans-Jürgen Becker

Diese von Martin Karrer betreute und im Sommersemester 2000 von der Kirchlichen Hochschule Wuppertal angenommene Dissertation ist eine Studie zu Schwur und Eid im antiken Judentum (Kap. II; 41-214) und bei Matthäus (Kap. III; 215- 377). Ihr Hauptanliegen ist die Interpretation von Mt 5,33-37 und 23,16-22. Dazu werden zunächst die antik-jüdischen Quellen zum Thema ausgewertet, denn der Judenchrist Matthäus sei nur auf dem Hintergrund des ihm vorangehenden und des ihm zeitgenössischen Judentums recht zu verstehen. Diese These, die in der Mt-Forschung heute breite Zustimmung findet, wird in Kapitel I ("Der Fragehorizont der Arbeit"; 1-39) nur kurz begründet. Im weiteren Verlauf der Studie erweist sie sich aber erneut als sachgemäß: Mt erscheint in den untersuchten Texten als ein schriftgelehrter Theologe, der sich bewusst in die jüdische Tradition hineinstellt. Da er innerhalb des weiten Rahmens dieser Tradition den Rabbinen am nächsten steht, spricht der Vf. in Kapitel I auch bereits das Hauptproblem an, das mit der Heranziehung rabbinischer Werke zu Mt verbunden ist: ihre relativ späte Datierung. Der Vf. bezieht hierzu einen konservativen Standpunkt: Viele Einzeltexte sind älter als die Kompilation der Schriften, in denen sie verarbeitet sind, oder sie haben eine ältere Vorgeschichte. Es geht ihm aber nicht darum, bestimmte, uns bekannte rabbinische Traditionen vormatthäisch zu datieren, so dass sie Mt "vorgelegen" haben könnten. Vielmehr will er jenseits der Fixierung auf einzelne "Parallelen" ein Gesamtbild dessen erarbeiten, was zum Thema Schwur und Eid im antiken Judentum "denkmöglich war" (37), um dann innerhalb dieses Gesamtbildes die matthäische Position sachlich zu verorten.

Kapitel II wertet zunächst nacheinander Apokryphen und Pseudepigraphen, Qumran, Philo und Josephus aus. Das Ergebnis lässt sich, mit einigen kritischen Anmerkungen, wie folgt zusammenfassen: Apokryphen und Pseudepigraphen (61-74) setzen Praxis und Verbindlichkeit von Schwur und Eid als selbstverständlich voraus: Menschen schwören einander unter Berufung auf den Bereich des Heiligen. Auch Gottes Zusagen können in Form des Zuschwörens erfolgen. Eine Reihe von Texten warnt vor dem unachtsamen und nichtigen Schwören sowie vor der Gefahr des bewussten oder unbewussten Meineides, der als Missachtung Gottes verstanden werden kann. Sir 23,9-11 kritisiert das zu häufige Schwören, enthält allerdings keine Negativbewertung des Schwörens überhaupt, wie der Vf. möchte (65.74). Ähnlich richtet sich Judit 8 zwar gegen einen, als Versuchung Gottes ausgelegten, "Schwur" Usijas - aber nicht (auch nicht "implizit"; 68.74) gegen jeden Schwur und Eid.

In Qumran (75-91) erhält der Eid einen besonders wichtigen Ort im Aufnahmeritus der Gemeinschaft und im Rechtsverfahren zur Klärung von Eigentumsdelikten. Dabei wird der Gottesname durch Anwendung der Formel "bei den Fluchsprüchen des Bundes" vermieden. Im Übrigen wird der Gebrauch des Eides in Qumran stark eingeschränkt. Der Grund dafür liegt offenbar gerade in seiner hohen Dignität. Die Formulierung des Vf.s, "Gelübde und Eide erscheinen [in Qumran] beide als etwas, das nach Möglichkeit zu vermeiden ist" (91), erscheint daher zumindest missverständlich.

Die antiken Zeugnisse über die Essener (91-95) decken sich weitgehend mit dem Befund der Qumrantexte - abgesehen von der Darstellung Philos, der in diesem Punkt aber kaum zuverlässig ist. Im Werk Philos (96-130) findet sich das Thema an wenigen, aber theologisch bedeutsamen Stellen. Als erster der jüdischen Autoren gibt er eine Definition des Eides: Er ist "eine Zeugenschaft Gottes über einen zweifelhaften Sachverhalt" (96). Wo die Bibel vom Schwören Gottes spricht, darf man das also nach Philo nicht wörtlich verstehen: Es handelt sich nur um ein Zugeständnis an die menschliche Auffassungsgabe. Wenn Philos Definition zufolge Schwur und Eid Gott als Zeugen aufrufen, dann ist ihr Missbrauch nicht nur Ausdruck von Gottlosigkeit, sondern verletzt die Heiligkeit Gottes, der zum "Mittäter des Bösen" gemacht wird (112). Am besten ist es daher nach Philo, gar nicht zu schwören, sondern, wie Gott selbst, immer wahrhaftig zu sein (114). Dieses Ideal des freiwilligen Schwurverzichts, das Philo bei den Essenern verwirklicht sieht, bringt ihn allerdings nicht "an die Schwelle eines absoluten Schwurverbotes", wie der Vf. meint (129). Nicht einmal der Verzicht kann nach Philo in Rechtssituationen in Betracht kommen, für die der Eid als einzige Zuflucht für einen fälschlich Verdächtigten vorgesehen ist - in diesen Fällen hat die Vermeidung von Unrecht Priorität, wie der Vf. selbst referiert (117). Nicht bei Gott, sondern beim Logos, bei Vater und Mutter, bei den Gestirnen, dem Himmel, dem Kosmos soll in diesen Fällen geschworen werden - Ersatzformeln, die im philonischen Denken alle einen engen Bezug zu Gott wahren (120-123).

Josephus (131-144) bezeugt den weit verbreiteten Gebrauch von Schwur und Eid, ohne ihn zu problematisieren. Gott fungiert als Zeuge oder Mittler. Gelübde und Eid rücken bei Josephus eng zusammen - in beiden Fällen verpflichtet sich der Mensch zu einer bestimmten Handlung (139). In einigen Details der Anwendung und Geltung des Eides zeigt Josephus, wie auch sonst des Öfteren, eine auffällige Nähe zu den rabbinischen Zeugnissen (143 f.).

Diese nehmen schließlich den vergleichsweise größten Teil von Kapitel II in Anspruch (145-207). Der Vf. konzentriert sich auf die Werke der älteren, tannaitischen Periode (bis ca. 200 n. Chr.), zieht aber zuweilen auch die jüngeren, amoräischen Traditionen der Talmudim heran. Diese Literatur bietet umfangreiches Material zum Thema. Der Vf. hebt das Bemühen der Rabbinen um Kategorisierung und Systematisierung der verschiedenen Formen und Situationen von Eid und Schwur hervor. Da der falsche und der nichtige Eid im rabbinischen Verständnis einer Entweihung des göttlichen Namens gleichkommen, wird zum einen der Gebrauch von Eid und Schwur eingeschränkt, zum anderen treten Ersatzformeln an die Stelle des Gottesnamens. Außerdem wird das weniger "gefährliche" Gelübde (mit der "Qorban-" oder anderen Formeln) dem Eid vorgezogen.

In seiner Behandlung der rabbinischen Literatur erliegt der Vf. mehr noch als in den vorangegangenen Abschnitten der Versuchung, eine dem Schwurverbot bei Mt möglichst nahe kommende Auffassung in die Quellen hineinzulesen. So kann die Warnung vor dem Schwören, mit der MekhY zu Ex 20,17 ein exegetisches Problem löst, nicht als "totales Schwurverbot" (166) gewertet werden. Dies scheint dem Vf. selbst bewusst zu sein, denn er führt die Stelle später nicht wieder in diesem Sinne an (gleich im folgenden Absatz nur noch: "Tendenz zum Schwurverbot"). An anderen Stellen werden die Kontexte und die eigene Aussagerichtung der Texte nicht genügend beachtet. Einige Beispiele hierzu: In tSot 7,4 wird nicht das Ablegen des Schwurs "als Sünde gewertet" (152), sondern, präventiv, der mögliche Falschschwur. Das an dieser Stelle liturgisch ausformulierte Warnritual tendiert nicht zum Schwurverzicht (164), sondern dient dazu, dass der Schwur schließlich doch geleistet werden kann. Die Stelle mKet 9,2 enthält keine "schwurfeindliche Tendenz" (165), sondern behandelt den Zusammenhang, der zwischen der Befreiung von der Vereidigungspflicht in einer Erbschaftsangelegenheit und den Besitzverhältnissen der betreffenden Personen besteht; mNed 1,1 verbietet nicht das Schwören - und nimmt damit dem ganzen Rest des Traktats jede praktische Relevanz, wie der Vf. offenbar annimmt (365 f.)-, sondern besagt nur und überdies indirekt, dass die kesherim (freiwillig) nicht schwören.

Weil die Rabbinen, trotz der tatsächlich bei ihnen laut werdenden Skepsis und Kritik, Schwur und Eid nicht gänzlich verhindern konnten und wollten, haben sie die damit verbundenen, ihnen notwendig erscheinenden Regelungen und Restriktionen eingehend behandelt. Der Vf. trifft daher kaum die Intention der tannaitischen Quellen, wenn er ihnen eine "Tendenz zum Schwurverbot" zuschreibt. Über ein Verbot wird an keiner Stelle auch nur diskutiert. Die genannte "Tendenz", im Sinne einer dahin fortschreitenden Entwicklung bei den Tannaiten, erhebt der Vf. vielmehr aus einem späteren, amoräischen Text (yShevu 6,5), den er, m. E. ebenfalls zu Unrecht, als Schwurverbot auffasst. Wenn auf so schmaler Basis in der Zusammenfassung dieses Teils der Arbeit plötzlich pauschal von den "amoräische(n) Quellen mit ihrer Ablehnung des Schwörens" die Rede ist (207, Anm. 217), so setzt sich diese Wertung über die Vielfalt der amoräischen Zeugnisse hinweg, ohne ihnen überhaupt eine eigene Untersuchung zu widmen.

Im "Ergebnis" von Kapitel II (208-214), das eher der Versuch einer Synthese ist, sieht der Vf. als Ergebnis eines Prozesses, der um 90 n. Chr. begonnen habe, "spätestens um das Jahr 150 herum ein strukturelles Schwurverbot geschaffen, das sich in der amoräischen Epoche weiter verschärft hat" (212). Der Wunsch nach einer linearen, zeitlich möglichst weit vorgezogenen Entwicklung (und damit einer weniger einsamen matthäischen Position; vgl. 373 f.) ist Vater dieses Gedankens. Dabei verdankt sich die Jahreszahl 150 dem bereits erwähnten konservativen Blick auf das Datierungsproblem. Auch diesbezüglich ist jedoch größere Vorsicht angebracht. Denn zwar kann man der "Vermutung", dass die Zuschreibungen tannaitischer Traditionen an bestimmte Rabbinen "nicht ganz willkürlich erfolgten" (206), zustimmen, aber nicht unbedingt im Sinne ihrer Historizität. Vielmehr ist immer in Betracht zu ziehen, dass hermeneutische und halachische Tendenzen auf der Ebene der Redaktionen der Sammelwerke systematisiert und mit bestimmten Rabbinen- und Schulnamen etikettiert wurden.

Kapitel III wendet sich den matthäischen Zusammenhängen zu. Der Vf. untersucht sehr ausführlich die Kontexte in Mt 5 und 23 und weist die jüdische Gelehrsamkeit des Evangelisten in diesen Kapiteln nach. Dazu zieht er eine Fülle weiterer, vor allem rabbinischer Materialien heran, die mit dem eigentlichen Thema der Arbeit nur indirekt in Beziehung stehen. Die Interpretation der Schwurperikopen selbst rekurriert auf die in Kapitel II vorgestellten Texte und ist daher vergleichsweise kurz (256-276 und 351-367). Sie lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Aus dem Kern von Mt 5,33-37, dem jesuanischen Schwurverbot, sei durch Zuwachs im Verlauf der Überlieferung und schließlich durch matthäische Redaktion eine Weisung geworden, die "eine begründete Position im halachischen Diskurs bezieht" (261). Sie hebe die in der Schrift vorgesehene Möglichkeit des Schwörens "im Interesse des Schutzes Gottes vor Entheiligung" (275) auf, da dieser Schutz durch Ersatzformeln nicht gewährleistet werden könne. Entsprechend empfehle V. 37 keine neue Schwurformel, sondern fordere entschiedene und ungeteilte Wahrhaftigkeit der Rede, mit der der Mensch Gott selbst entsprechen soll (V. 38; vgl. 5,48). In Mt 23,16-22 signalisiere bereits die (redaktionelle) Anrede "blinde Wegweiser", dass es um halachische Lehrdifferenzen gehe (351-357). Die der matthäischen Tradition zuzurechnende "Grundstufe" dieser Perikope, nämlich V. 16-19, sei wegen der Spannung zum Schwurverbot in Mt 5 kaum jesuanisch. Sie wolle vielmehr, ebenso wie die matthäische Ergänzung in V. 20-22, gerade die Gültigkeit jeder Schwurformel unterstreichen, "die sich auf etwas Heiliges bezieht, sei es geheiligt wie eine Gabe oder ohnehin heilig wie der Tempel oder Altar". V. 20-22 weisen insbesondere den Gottesbezug nach: "beides bezieht sich in letzter Konsequenz auf Gott selbst, der heiligend in seiner irdisch-himmlischen Wohnstatt gegenwärtig ist" (364). Zwischen den Perikopen in Mt 5 und 23 bestehe auf der redaktionellen Ebene aber nicht unbedingt ein Widerspruch. Da die Tannaiten halachische Fragen oft ohne jeden Praxisbezug verhandelt haben, setze "die Diskussion von Ersatzformeln in Mt 23,16-22 [...] keineswegs voraus, dass man das Schwören praktiziert oder es gar bejaht". Zum anderen seien die Leser des Evangeliums bei der Lektüre von Mt 23 auf Mt 5 und die dort gezogene Konsequenz des Schwurverbots zurückverwiesen (366).

Nach einem kurzen Ausblick auf die Stellen bei Mt, an denen das Schwören sonst noch eine (durchweg negative) Rolle spielt (368-370), setzt der Vf. die beiden zuvor behandelten Perikopen zum Gesamtbild aus Kapitel II in Beziehung (371-377) und fasst zusammen: "Die matthäischen Aussagen zu Schwur und Eid fügen sich bruchlos in die antike jüdische Diskussion über diesen Themenkomplex ein". Sowohl die Ersatzformeln (371) als auch der Verzicht auf das Schwören, den "der mt Jesus um der Heiligkeit Gottes willen Halacha werden" lässt (373), finden sich in den anderen jüdischen Quellen. Diese zeugen insgesamt von einer "Entwicklung" hin zum Schwurverbot, an der Mt "Anteil [hat], indem er die Problematik aufdeckt, die den Ersatzformeln selbst inhärent ist" (374). Es entspreche dem rabbinischen Befund, wenn der matthäische Jesus sowohl die Berufung auf Heiliges als auch die auf Geheiligtes in der Schwurformel für gültig erkläre. Als Problem erscheint lediglich die Tatsache, dass die in Mt 23,16-22 genannten Schwurformeln in den rabbinischen Texten als Gelübdeformeln erscheinen. Dies erkläre sich zum einen dadurch, dass die Rabbinen "Eide und Gelübde nicht immer streng voneinander unterschieden" haben (375). Zum anderen verweist der Vf. auf die schon "sehr früh" datierende "Tendenz, statt des Schwurs auf das Gelübde zurückzugreifen" (376). Vielleicht habe Mt durch die Anführung von Gelübdeformeln gerade zeigen wollen, "dass auch das Vermeiden des Schwörens durch das Ausweichen auf Gelübde kein probates Mittel ist, die Heiligkeit Gottes vor dem entweihenden Zugriff zu schützen" (376).

Kapitel IV ergänzt die Ausführungen zu Mt 5 und 23 durch eine kurz gefasste Behandlung weiterer "halachischer" Zusammenhänge bei Mt (Sabbat, Reinheit der Hände, Scheidungsgründe) und schließt mit Ergebnis und Ausblick.

Es ist das Verdienst dieser Studie, dass sie das jüdisch-schriftgelehrte Profil des Mt detaillierter als bisher herausarbeitet. Der Evangelist ist an den Details der Halacha interessiert und besitzt entsprechende Kenntnisse. Die sachliche Nähe zu den rabbinischen Texten ist evident. Mt steht offenbar Vertretern der frühen rabbinischen Bewegung nach 70 gegenüber. Die auf sie gemünzte Polemik des Mt nimmt der Vf. aber weniger ernst als die in ihr aufscheinende Nähe zu ihnen. Der Evangelist vertritt eine Halacha, die sich angesichts des nahe herbeigekommenen Himmelreichs an der Vollkommenheitsforderung Jesu ausrichtet. Er macht deutlich, dass die Gerechtigkeit der Gegner, gemessen an diesem Maßstab, nicht ausreicht. Während Mt ihnen daher das Höllengericht ansagt und umgekehrt die Verfolgung der Gemeinde durch die rabbinischen Repräsentanten drastisch beschreibt, zeichnet die vorliegende Arbeit insgesamt das Bild einer in einigen Details zwar kontroversen, im Grunde aber freundlichen und offenen "Talkrunde". Dies tritt in Sätzen zu Tage wie: "Matthäus erweist sich als kompetenter Teilnehmer an dieser Diskussion." Er "nimmt kenntnisreich und engagiert am halachischen Diskurs teil und beteiligt sich an der Suche nach einer Halacha ...", er leistet dazu "einen produktiven Beitrag" (412; vgl. 414). Seine Ersatzformeln "werden auch von anderen jüdischen Diskussionsteilnehmern in Erwägung gezogen". Die durch solche Terminologie nahe gelegte Vorstellung einer Gesprächssituation (Mt "partizipiert sehr ernsthaft am Gespräch über die Halacha Israels"; 377) führt m. E. in die Irre. Vielmehr ist es wohl ein Selbstgespräch des Mt gewesen. Der Evangelist war nicht an einer "halachischen Diskussion" mit seinen Gegnern interessiert, sondern daran, Jesu Weisung in der für ihn autoritativen schriftgelehrten Tradition zu verankern. Dies tat er, den Blick auf die Gemeinde gerichtet, auf Kosten der abwesenden Gegner.

Auch unabhängig von Mt, im Blick auf die Gesamtheit der anderen jüdischen Quellen, verschleiern die Begriffe "Diskurs" oder "Diskussion" mehr, als sie erklären. Sie sind problematisch, weil sie eine Metaebene jenseits der konkreten Texte herstellen und so die Tatsache in den Hintergrund treten lassen, dass diese Texte sich in Literaturen verschiedener Gattungen, Formen und Sprachen aus mehreren Jahrhunderten finden, die sich in den wenigsten Fällen aufeinander beziehen. Eine Abhandlung Philos ist und will etwas anderes sein als die Gemeinschaftsregel aus Qumran. Ebenso wenig lässt sich ein Evangelium ohne weiteres mit einem Mishnatraktat vergleichen. Aber nicht nur der immer wieder, auch im Untertitel der Arbeit beschworene "halachische Diskurs" ist ein abstraktes Konstrukt, sondern schon der Begriff der "Halacha" selbst ist, vor allem in Anwendung auf nicht-rabbinische Quellen, problematisch und wäre zunächst einmal auf formanalytischem Wege zu definieren (dasselbe gilt im Übrigen für den heute grassierenden Midrashbegriff). Erst recht ist die Konstruktion einer zeitlichen "Entwicklung" (hin zum Schwurverbot) aus dem Gesamtbild der Quellen methodisch fragwürdig, zumal wenn sie, wie in diesem Buch, dazu dient, einzelnen Texten "Tendenzen" zuzuschreiben, die sich bei isolierter Analyse nicht einwandfrei nachweisen ließen. Zwar ist dem Ansatz des Vf.s zuzustimmen, die Vielfalt des antik-jüdischen Denkens zum verhandelten Thema anhand der Quellen zunächst einmal darstellen zu wollen, denn Mt als eine dieser Quellen muss tatsächlich zuallererst in diesem Kontext betrachtet und interpretiert werden. Dabei bleibt aber die Vergleichbarkeit der Quellen methodisch grundsätzlich problematisch. Im Falle der rabbinischen Texte ist die Datierungsfrage ein wichtiger Teilaspekt dieses Problems. Es wird hier keineswegs gelöst.

Dass Mt sich "ganz auf jüdischem Boden" befindet (415), ist aus dem Gesamtbild, das die vorliegende Studie zeichnet, klar ersichtlich. Gegen die Meinung des Vf.s lässt sich aber weder ein Schwurverbot noch eine frühe Tendenz dazu in den rabbinischen und in anderen Quellen nachweisen. Die verbreiteten Warnungen vor dem Schwören sind und bleiben etwas anderes als ein betontes Verbot mit letztlich messianischer Autorität, das sich in dieser Radikalität und Ausschließlichkeit sonst nicht findet. Da die rabbinischen Lehrer voneinander abweichende Meinungen vertraten und Mehrheitsentscheidungen trafen, bei denen die Zumutbarkeit für das breite Volk eine wesentliche Rolle spielte, sind sie mit dem matthäischen Jesus, dem "einen Lehrer" (Mt 23,10), nicht ohne weiteres vergleichbar (geschweige denn ein Einzelner von ihnen, etwa Rabbi Meir; 414). Die Lehre Jesu nach Matthäus bleibt, auch über das Schwurverbot hinaus, einzigartig in ihrer unauflöslichen Bezogenheit auf die schriftgelehrte Tradition und zugleich ihrer messianisch begründeten Autorität. Das rezensierte Werk arbeitet eindrucksvoll die Verbundenheit des Mt mit den anderen antik-jüdischen Quellen heraus, neigt aber dazu, die Besonderheit des matthäischen Standorts zu relativieren, die doch das Gesamtbild des so facettenreichen antiken Judentums nicht schmälert, sondern bereichert.