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Ausgabe:

Juni/1998

Spalte:

598 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lamarche, Paul

Titel/Untertitel:

Evangile de Marc.

Verlag:

Paris: Gabalda 1996. 431 S. gr.8 = Études Bibliques, 33. Kart. fFr 450,-. ISBN 2-85021-089-7.

Rezensent:

Dietrich-Alex Koch

Die Neubearbeitung der Auslegung des MkEv in der bekannten französischen Kommentarreihe Études Bibliques (vorhergehende Bearbeitung durch M.-J. Lagrange, zuerst 1911, 5. Aufl. 1929) überrascht zunächst durch eine ungewöhnlich wirkende Gliederung: Nach dem "Beginn" (Mk 1,1-15) teilt der Vf. das MkEv in zwei große Teile: Der 1. Teil beschreibt "La mystère de Jésus dans sa mission: 1,14-8,33" (69), der 2. Teil "La révélation du Fils de Dieu souffrant et mourant: 8,22-15,47" (211). Die doppelte Zuordnung von 1,14 und 8,22-33 ist kein Irrtum, sondern Absicht: Jeweils handelt es sich um textliche Scharniere bzw. Gelenke im Aufbau des MkEv, die sowohl nach rückwärts wie nach vorwärts verweisen (vgl. 29, dagegen ist die Begrenzung des ,Scharniers’ auf 8,22-30 im Inhaltsverzeichnis 430 ein unschöner Fehler).

Inhaltlich bemüht sich der Vf. darum, die theologische Zielrichtung des MkEv deutlich herauszuarbeiten. Dabei ist für L. Mk nicht als ,Hermeneut’ des Petrus zu verstehen (s. Papias!), vielmehr ist eine deutliche theologische Nähe zu Paulus festzustellen. Theologisches Zentrum des MkEv ist für L. eine Christologie, die Ausdruck des "amour kénotique" Gottes ist (22.24.205 u. ö.; vgl. auch 213.253 u. a. zu Phil 2,6-11 als theologiegeschichtlichem Wendepunkt). Es handelt sich um eine "christologie très profonde qui voit dans la faiblesse du Jésus terrestre la révélation de la faiblesse du Fils de Dieu, à travers laquelle se dévoile la faiblesse de Dieu" (14). Von hier aus erschließt sich auch für L. das sogenannte Messiasgeheimnis als Mittel der Darstellung der Niedrigkeit und Schwachheit Jesu (21 f.).

Methodisch geht der Vf. von einer zweistufigen Entstehung des MkEv aus: einem "Proto Marc", das bereits "l’essentiel de notre Marc" umfaßte (17), etwa um 65 n. Chr. redigiert wurde und Mt und Lk in dieser Form vorlag. Die zweite Stufe stellt dann der ,letzte Redaktor des MkEv’ dar, der zwischen 70 und 75 n. Chr. nur noch geringe, aber inhaltliche entscheidende ,Modifikationen’ vornahm: Einfügung bzw. Verstärkung der Motive des Unverständnisses, des Messiasgeheimnisses, Gottessohn-Titel u. a. (18). In der Auslegung der einzelnen Texte wirkt sich das so aus, daß eine Unterscheidung zwischen vormk Überlieferung und mk (End-)Redaktion weitgehend unterbleibt und die theologischen Tendenzen des vorliegenden Textes vor allem im Vergleich zu Mt erhoben werden - was häufig zu Lasten des MtEv ausgeht, dem eine Christologie der ,Macht’ unterstellt wird, in der das Kreuz an den Rand gedrängt sei (16 u. a., z. B. 205).

In der Einzelauslegung überrascht der Vf. immer wieder durch eigenwillige und häufig auch anfechtbare Interpretationen:

- In der Abfolge von Mk 1,1/2 (Überschrift/Prophetenzitat) entdeckt der Vf. die Spannung von "nouveauté" (des Evangeliums) und Vergangenheit, die als Prophetie gleichwohl ihre Bedeutung behalte - und erklärt dies für die mk Sicht des Verhältnisses von ,Gesetz und Evangelium’ (30)!

- Der Menschohn-Titel ist für L. vorösterlich, weil (!) er außerhalb der Evangelien fehlt (94).

- ,Menschensohn’ könne beides meinen ("de manière synthétique"): Jesus in seiner Niedrigkeit und (an anderer Stelle) in der Hoheit seiner Stellung zur Rechten des Allmächtigen (95).

- Mt 16,9-20 sei der authentische Schluß des MkEv, der in seiner einseitigen Orientierung an der Auferstehung, im Fehlen der Geistverleihung und vor allem im Fehlen jeder Leidensperspektive (V, 16 f.) ganz ,archaische Züge’ aufweise (400 f.). Dieser Schluß sei nur deswegen so unmarkinisch, weil es sich um einen vormarkinischen Text aus den Jahren 58-60 n. Chr. handele, den Mk unverändert übernommen habe. "Peut-être provenait-il d’un apôtre; peut-être était-il connu et lu dans sa communauté" (402). Ausgelassen worden sei dieser authentische Schluß von einigen kritischen Abschreibern, die die theologischen und literarischen Spannungen zum Ganzen des MkEv wahrgenommen hätten.