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Ausgabe:

September/2004

Spalte:

925–928

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

1) Kwakkel, Gerd 2) Otto, Eckart, u. Erich Zenger [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

1) B>According to my Righteousness. Upright Behaviour as Grounds for Deliverance in Psalms 7, 17, 18, 26 and 44.

2) "Mein Sohn bist du" (Ps 2,7). Studien zu den Königspsalmen.

Verlag:

1) Leiden-Boston-Köln: Brill 2002. X, 342 S. gr.8 = Oudtestamentische Studiën, 46. Lw. Euro 100,00. ISBN 90-04-12507-8.

2) Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2002. VI, 258 S. m. Abb. 8 = Stuttgarter Bibelstudien, 192. Kart. Euro 23,90. ISBN 3-460-04921-9.

Rezensent:

Manfred Oeming

Neues von den Königspsalmen? H. Gunkel führte gegen die seinerzeit vorherrschenden messianischen und kollektiven Deutungen, die sich mit einer Spätdatierung der Königspsalmen verbanden, einen machtvollen Schlag. Auf der Basis der religionsgeschichtlichen Parallelen aus Ägypten und dem Zweistromland gab er die "natürliche Erklärung" der Königspsalmen (= KöPs) als reale Elemente des frühen, vorexilischen Kultes. Mit ihnen hätten die Jerusalemer Davididen die Ideologie von Erwählung, Apotheose und Weltherrschaft von den Großreichen der Umwelt auf das kleine Juda übertragen. Auch wenn dieser Transfer auf die vergleichsweise äußerst bescheidenen Verhältnisse der judäischen "Dorfkönige" sonderbar, wo nicht lächerlich wirkte (vgl. RGG 1. Aufl. 1913, 1939 f.), Gunkels Sicht bestimmt die Diskussion seit 90 Jahren, die in Datierung und Deutung hin und her wogt und in den letzten Jahren besonders intensiv geführt wird (vgl. S. R. A. Starbuck, Court Oracles in the pPalms. The so-called Royal Psalms in their Ancient Near Eastern Context [DS.SBL 172], Atlanta, 1999; R. G. Haney, Text and Concept Analysis in Royal Psalms [StBL 30], Winona Lake 2002; M. Saur, Die Königspsalmen [BZAW 340], Berlin-New York 2004). Der von E. Otto und E. Zenger herausgegebene Sammelband bewegt sich auf der Basis der Gunkelschen Hypothesen, bietet aber durch erneute Untersuchung der Psalmen 2.18.72.89 und 110 weitergehende Präzisierungen und interessante Varianten.

K. Koch zeichnet kenntnisreich die Geschichte der Vorstellung vom König als "Sohn Gottes" (Der König als Sohn Gottes in Ägypten und Israel, 1-32). Aus seinen Überlegungen ergibt sich eine Datierung von Ps 2 "kaum später als zu Beginn des 1.Jt.s v. Chr." (14). Gegenüber einer Datierung in die Spätzeit (zuletzt Donner) wird ein redaktionsgeschichtliches Versöhnungsangebot gemacht. "Warum werden von den Sammlern alttestamentliche Königslieder wieder aufgegriffen, deren Gebrauch ... in den Hintergrund getreten war? Man wird nicht fehlgehen, eine Ursache in der nachexilischen Abscheu gegen die Fremdherrschaft zu vermuten. Ihre Übermacht kann nicht durch einen von gewöhnlichen Menschen angezettelten Aufstand überwunden werden, sondern nur durch einen außerordentlichen, von Gott gesandten Wunderhelden. So werden Ps 2 und 110 reaktiviert ... Jedoch ist der politische Gesichtspunkt nicht der einzige. Der Held von Ps 2 wird mit dem Toralehrer von Ps 1 kombiniert ... Offensichtlich wird der David(sabkömmling) als Gottessohn zu einer Identifikationsfigur zwischen Gottheit und Menschheit, als Heiland überhaupt, nicht nur als siegreicher Kriegsherr, sondern als Segen vermittelnder oberster Priester" (29).

Ähnlich wie Koch zeichnet E. Otto (Politische Theologie in den Königspsalmen zwischen Ägypten und Assyrien. Die Herrschaftslegitimation in den Psalmen 2 und 18 in ihren altorientalischen Kontexten, 33-65) die Geschichte der ägyptischen Königsvorstellung, betont aber - entsprechend seinem panassyrischen Ansatz - den prägenden Einfluss, den die neuassyrische Kultur auf den Glauben Israels auch in Bezug auf den König gehabt habe. Der teilweise "subversive Charakter der Rezeption" (87) assyrischer Vorstellungen, ihre teilweise aber auch unkritische Übernahme zur Ausgestaltung der Jerusalemer Königsideologie sei für das Verständnis der KöPs entscheidend.

E. Zenger bietet in einer äußerst lesenswerten Analyse eine Skizze der Redaktionsgeschichte von Ps 72. Die spannungsvolle Dialektik der Königsbilder von erbarmungsvollem Retter der Armen und gewaltvollem Unterdrücker der Mächtigen, von Segensmittler und Tributeintreiber erklärt Z. durch literakritische Schichtungen, die ja das Profil seines Psalmenkommentars insgesamt ausmachen. Besonders wichtig ist die Erklärung des Profils der Endredaktion (80-91). Sie ist ein Musterbeispiel dafür, dass die Spätdatierung von Psalmen kein theologisches Verlustgeschäft darstellt. Im Gegenteil! "Wann der Teilpsalter Ps 2- 89* zusammengestellt wurde, ist schwer zu entscheiden. Sind unsere Beobachtungen zutreffend, daß seine Grundtendenz nicht restaurativ, sondern utopisch ist, kommt m. E. nicht mehr die persische Epoche, sondern eher der Anfang der hellenistischen Epoche mit den ambivalenten Erfahrungen eines neu entstehenden aggressiven Weltreichs und den damit verbundenen weltweiten Erschütterungen in Frage. Dem setzt der Teilpsalter Ps 2-89 seine Gegenwelt entgegen, die man wegen ihrer prophetisch-utopischen Konturierung durchaus messianisch nennen kann. Da diese messianische Programmatik in ihrer Zion-David-Figuration (Ps 2 und Ps 89) sich unmißverständlich dem Machtanspruch des Alexanderreichs und seiner Nachfolgereiche widersetzte, besaß sie offenkundige subversive Tendenzen." (89)

B. Janowski (Die Frucht der Gerechtigkeit. Ps 72 und die judäische Königsideologie, 94-134) führt eine kritische Auseinandersetzung mit Thesen von M. Arneth (s. u.). Er wendet dabei die von J. Assmann im Blick auf Ägypten vertretenen Thesen zur sozialen Solidarität des Königs auf Ps 72 an.

M. Arneth (Ps 72 in seinem altorientalischen Kontext, 135- 172) bietet eine Kurzfassung seiner Dissertation mit einer sorgfältigen Analyse des Krönungshymnus Assurbanipals (SAA III,11) und seiner Rezeption in der Grundschicht von Ps 72.

F. L. Hossfeld (Ps 89 und das vierte Psalmenbuch, 173-183) gewährt einen Blick in die Werkstatt seiner eindrucksvollen Psalmenauslegungen. Unter Einbeziehung neuester Literatur tastet er sich vom Ps 89 als Abschluss des 3. Psalmbuches hinüber in das 4. und 5. Psalmbuch. Dabei werden zahlreiche Stichwortverbindungen aufgezeigt, die sich in den drei Linien Anthropologie, Königtum und Geschichte bündeln lassen.

H. U. Steymans ("Deinen Thron habe ich unter den großen Himmeln festgemacht". Die formgeschichtliche Nähe von Ps 89,4-5.20-38 zu Texten vom neuassyrischen Hof, 184-251) leistet Konkordanzarbeit von Texten aus dem State Archives of Assyria-Project in Finnland (SAA, bes. Bd. 2,9.10) und Ps 89. Sie erweist zahlreiche Berührungspunkte. St. wertet den Befund in einer originellen These aus: "Als Sitz im Leben des Orakels war eine Situation der Unsicherheit bei der Thronfolge erkannt worden. Die Geschichte der Königreiche Assyrien und Juda zeigt, daß dies eigentlich bei jedem Thronwechsel der Fall war. Jedes Interregnum, jede Krankheit, mehr noch der Tod des Königs, barg die Gefahr des Umsturzes, der Einmischung ausländischer Mächte und gewalttätiger Auseinandersetzungen um den Königsthron in sich. Psalm 89 läßt sich mit seinen drei Teilen - Hymnus, Orakel und Klage - durchaus als ein Lied verstehen, das in Jerusalem anläßlich der Bestattung der Könige gesungen wurde. Im Hymnus findet der Sänger Halt in der Stabilität der Schöpfung, im Orakel erinnert er an die Gültigkeit der Dynastieverheißung, in der Klage spricht er schließlich Unsicherheiten an, wie sie beim Verlust der politischen Führung - der König ist gestorben - aufkommen." (244)

G. Kwakkel analysiert in seiner von Ed Noort betreuten und 2001 in Groningen angenommenen Dissertation ein theologisch bedeutsames Phänomen, nämlich die in den Psalmen vielfach begegnende Beteuerung, sich gegenüber Gott tadellos verhalten zu haben (7,4-6; 17,3-5; 18,21-25; 26,1-8; 35,13 f.; 38,21; 44,18-22; 86,2). Die von der Forschungsgeschichte hervorgebrachten Erklärungen werden dargestellt, gewogen und abgewiesen, Seybolds These vom Gebet eines unschuldig Angeklagten ebenso wie Delekats Hypothesen zum Asylverfahren oder von Rads Vermutung eines Beichtspiegels im Kontext einer Tempeleinlassliturgie. Ausführlich wird ein Zusammenhang mit einem König erwogen, der im Verlaufe des Neujahrfestes eine Beichte abzulegen habe (8 ff.), aber letztlich verworfen. Nach einer ausführlichen schulmäßigen Exegese der im Titel genannten Psalmen, bei der u. a. die ugaritischen Bezüge sorgfältig abgewogen werden, wird eine königliche Interpretation, wie sie Birkeland, Mowinckel, Eaton und Croft vertreten, prinzipiell in Frage gestellt (vgl. den Exkurs: Royal Interpretation, 283-289). Statt königlicher Hintergründe werden eher weisheitliche Einflüsse erwogen, aber letztlich auch verneint (299f.). Die Unschuldsbeteuerungen sollen schlicht und denkbar allgemein versichern, dass der Beter gegenüber Gott aufrichtig und loyal gelebt hat. "The only issue at stake was whether they as righteous people were really on YHWH's side, and were faithful and respected his will. Such loyalty to God, then, is exactly what is claimed in the claims to righteous behaviour in all other psalms discussed in this study" (303).

Mit den beiden Büchern wird die Diskussion um die theologische Bedeutung der Königspsalmen weiter angeregt. Problematisch scheint mir z. B., dass die Frühdatierung mit dem mir unglaubhaften Mythos verbunden wird, David habe die vorstaatlichen, nicht-jahwistischen Kulttraditionen, welche die Zionstheologie der Zadokiden und eben auch die Königsideologie umfasst haben sollen (Otto, 40; Janowski, 94), nach der Einnahme Jerusalems personell und sachlich übernommen. Was man vermisst, ist die breitere Erörterung der Frage, inwieweit die Königsvorstellungen der Zeit, in der die Psalmen ihre jetzige Gestalt erhielten, d. h. die Perserzeit sowie die Epoche der griechischen Diadochenherrscher und der Makkabäer, auf die Psalmen eingewirkt haben (vgl. immerhin Koch, 28 f.; Zenger, 89 f.; Arneth, 167 f.). Auf diesem spannenden Feld bleiben für der Forschung noch weitere Aufgaben.