Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2004

Spalte:

920–922

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Frankel, David

Titel/Untertitel:

The Murmuring Stories of the Priestly School. A Retrieval of Ancient Sacerdotal Lore.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 2002. X, 385 S. gr.8 = Supplements to Vetus Testamentum, 89. Lw. Euro 102,00. ISBN 90-04-12368-7.

Rezensent:

Aaron Schart

Die Arbeit stellt eine literarkritische Untersuchung derjenigen Murrerzählungen der Bücher Exodus und Numeri dar, deren größter Anteil für gewöhnlich der Priesterschrift zugewiesen wird: Ex 16; Num 13-14; 16-18; 20,1-13. F. geht so vor, dass er zunächst "the late, post-editorial material" (9) identifiziert. Nachdem er dieses abgehoben hat, verbleibt "the editor's combined presentation of priestly and non-priestly materials in its original form" (9). Sodann wird zwischen priesterschriftlichem und nicht-priesterschriftlichem Erzählfaden unterschieden. Im Falle der Priesterschrift unterscheidet F. nicht nur, wie gewöhnlich, zwischen priesterschriftlicher Grundschrift (Pg) und sekundären Zusätzen dazu (Ps), sondern rekonstruiert auch noch schriftliche Vorlagen von Pg, die in manchen Punkten den Vorstellungen der späteren P-Schichten widersprechen und folglich in die vorexilische Zeit gehören sollen. Diese Vorlagen habe Pg, und nicht erst ein späterer Redaktor (RJP), mit dem nicht-priesterschriftlichen Stoff zusammengearbeitet und bei dieser Gelegenheit auch noch eigene Textpassagen eingefügt. Dankenswerterweise stellt ein Appendix (324-363) die mitunter sehr komplizierte Schichtung übersichtlich dar. Leider fehlt ein Vorwort, eine Rückfrage beim Vf. ergab aber, dass es sich um eine von Mosche Weinfeld betreute Dissertation handelt, deren Ergebnisse im Wesentlichen bereits 1990 feststanden.

Im ersten Kapitel "The Murmuring Narratives: An Overview" (11-61) verfolgt F. das Ziel, Erzählungen zu rekonstruieren, in denen die Israeliten nicht negativ gezeichnet wurden, sondern Gott ohne kritischen Unterton ihren aus der Not geborenen Aufschrei durch wunderbares Eingreifen beantwortet hat. Die Vorlage von P in Ex 16 hätte z. B. davon berichtet, dass YHWH dem klagenden (Ex 16,2) Volk Manna vom Himmel regnen ließ. Auch die Vorstufe von Num 11,4-35 hätte lediglich einen legitimen Wunsch nach Essen enthalten (Num 11, 5-6a*), den Gott durch die Gabe von Wachteln erfüllt habe.

Im zweiten Kapitel "The Manna Story (Ex 16)" (63-117) rekonstruiert F. den Werdegang des Textes folgendermaßen: Ursprünglich existierten zwei voneinander unabhängige Erzählungen, eine nicht-priesterschriftliche (Ex 16,4-5.21.27-30) und eine vor-priesterschriftliche (Ex 16,2.9-10.14-15.31.33-35). Ungewöhnlich daran ist, dass die Sabbatthematik (V. 27-30) zum nicht-priesterschriftlichen Material gehört haben soll!

Im dritten Kapitel "The Scouts Story (Num 13-14)" (119- 201) weist F. Num [20,2-3.5*;] 13,17b-18.22-24.26*.27-29; Num 14,1b.4. [...] 39-45 der ältesten nicht-priesterschriftlichen Schicht zu. Originell ist der Vorschlag, den verlorenen Anfang der Erzählung in Num 20,2-3.5* zu suchen, während das zwischen Num 14,4 und 39-45 verlorene Stück dem Sinn nach in Dtn 1,34-35.39-40 erhalten sei. Die Vorlage von P habe demgegenüber umfasst: Num 13,1.2a.3.21.25.32a; 14,26*. 27a*.35.37. Diese Erzählung habe nie einen Auftrag enthalten, einen Bericht über das Land zurückzubringen (137), vielmehr sei es um eine symbolische Inbesitznahme durch eine repräsentative Begehung gegangen. Nur die "Kundschafter", die das Land verleumdet hatten, seien bestraft worden, nicht dagegen das Volk als Ganzes.

In Num 16-18 (4. Kapitel "The Rebellion Stories", 203- 261) habe die älteste Stufe davon erzählt, dass 250 Gemeindevorsteher (nesi'e 'edah) das Priestertum für sich beanspruchten und für dieses frevlerische Ansinnen vom Feuer vertilgt wurden (Num 16,2*.4-7.18.35). Als Reaktion darauf sei dann das Vorrecht der Dynastie Aarons auf das Priestertum durch die Episode vom blühenden Stab ausgemalt worden (Num 17,1-24). Erst P habe die so entstandene Erzählung mit der ursprünglich eigenständigen Datan-Abiram-Erzählung verbunden und gleichzeitig das Murren zu einem Angriff auf die Autorität Moses und Aarons ausgestaltet.

Am Beispiel von Num 20,1-13 ("The Waters of Merivah Story", 264-311) soll die Arbeitsweise von F. etwas näher dargestellt werden. F. geht aus von dem Hauptproblem der Erzählung: Worin besteht eigentlich die Sünde Moses und Aarons, die V. 12 als "Unglauben" (lo hä'ämin) begrifflich fasst? F. schließt sich denen an, die das Vergehen darin sehen, dass Mose den Fels geschlagen hat, anstatt, wie von Gott befohlen, zu ihm zu reden. Neu ist dagegen die These, man könne eine noch ältere Schicht rekonstruieren, die überhaupt keinen Hinweis auf eine Sünde des Mose und folglich auch keine Bestrafung enthalten habe (293). Dafür spräche erstens, dass unklar bleibe, wieso Gott befehle, den Stab zu nehmen, aber gleichzeitig seinen Gebrauch, nämlich das Schlagen, nicht erlaube. Wollte Gott etwa den Führern eine Falle stellen ("trap", 278)? Zweitens stehe die Strafe, nämlich der Ausschluss Moses und Aarons vom Land, in keinem logischen Verhältnis zum Vergehen (279). Die Notiz in V. 9, wonach Mose tat "wie YHWH befohlen hatte", zeige drittens an, dass Mose ursprünglich dem Befehl voll und ganz entsprochen habe (279). Viertens enthalte auch die von F. rekonstruierte ursprüngliche (!) Gestalt der Rückverweise auf Num 20,1-13 in Num 20,22-29 und Dtn 32,48-52 keine Hinweise auf eine Sünde Moses und Aarons (280-283). Fünftens sei der Befehl in V. 8: "Redet zu dem Felsen vor ihren Augen, und er wird Wasser geben" sekundär eingeschoben worden (283). Sechstens müsse der gesamte V. 12 als sekundär eingestuft werden, unter anderem deshalb, weil sich V. 13 durch das Demonstrativpronomen hemmah "diese" (gemeint seien die in V. 11 genannten Wasser) unmittelbar an V. 11 anschließe (283-284). Sollte diese These stimmen, so hätte F. in der Tat eine priesterschriftliche Murrerzählung rekonstruiert, die das Motiv des Murrens und der Bestrafung nicht enthalten hat (Num 20, 1*.2.3*.4.6-7.8*.9.10a.11). - F.s Argumentation kann allerdings nicht überzeugen. Vorab ist zu sagen, dass ein solider Vergleich von Ex 17,1-7 und Num 20,1-13 am Anfang der Argumentation stehen muss und nicht, wie bei F., anhangsweise nachgeholt werden kann. Wenn man schon einen der wenigen Fälle hat, in denen möglicherweise die literarische Vorlage eines Textes noch erhalten geblieben ist (nach Schart ist Num 20, 1-13 eine priesterschriftliche Bearbeitung von Ex 17, 1-7), so verdient diese These vorrangige Behandlung.

Das erste Argument basiert auf einem oberflächlichen Vorverständnis dessen, worum es beim "Unglauben" der Führer geht. Gerade der Verzicht auf den Gebrauch des Stabes und das Vertrauen auf die Kraft des Wortes sollen die Aktion der Wasserspendung für die Israeliten auf YHWH hin transparent machen. Das ist keine "Falle", sondern die grundlegende Anforderung an gottgemäße Führung. Deshalb steht, im Widerspruch zu F.s zweitem Argument, der Entzug des Führungsauftrags und der vorzeitige Tod Moses und Aarons auch in einem sachgemäßen Bezug zum Vergehen. Das dritte Argument, der Hinweis auf die in V. 9 ausdrücklich festgestellte Befehlserfüllung, kann ebenfalls nicht überzeugen. Mose beginnt die Befehlsausführung zwar mit großem Ernst und bester Absicht, aber das Raffinement der Erzählung besteht gerade darin deutlich zu machen, in welch unauffälligen kleinen Schritten sich Mose allmählich selbst in den Vordergrund spielt und dadurch den Blick auf YHWH zunehmend verstellt. Das vierte Argument ist ebenfalls schwach. F. stutzt sich die Rückverweise, die eigentlich zwanglos mit Num 20,1-13 harmonieren, erst in wenig einleuchtender Weise literarkritisch zurecht, bevor er sie als Argument nutzen kann. Wenig überzeugend sind auch die Argumente fünf und sechs. F. scheidet aus dem Erzählverlauf einfach die Elemente aus, die seinem inhaltlichen Vorverständnis nicht entsprechen, ohne klare formale Indizien zu haben, die eine solche Operation stützen können. Zwar klappt V. 12 erzählerisch nach: Mit V. 11 ist die in V. 2 benannte Notlage des Wassermangels behoben, der Zug ins verheißene Land könnte weitergehen. Dies ist jedoch nicht als Zeichen nachträglicher Bearbeitung, sondern als Ausdruck erzählerischer Subtilität zu werten: Das Interesse YHWHs gilt zuerst dem Volk, das in einer lebensbedrohlichen Lage ist, und danach den Führern. Die Leserschaft soll ganz bewusst bis zum Ende von V. 11 im Zweifel gelassen werden, ob YHWH seine Führer überhaupt zur Rechenschaft zieht. Umso eindrücklicher ist dann die völlig unvorbereitete Intervention YHWHs, der nicht über das Vergehen Moses und Aarons hinweggeht.

Insgesamt hat F. eine scharfsinnige literarkritische Studie vorgelegt. Vom Willen beseelt, die Vorlagen der priesterschriftlichen Grundschrift zu rekonstruieren, ist er beim Feststellen erzählerischer Spannungen und Brüche allerdings oft über das Ziel hinausgeschossen. Das Buch fordert den Leser zum Widerspruch heraus. Wer sich darauf einlassen möchte, dem sei es empfohlen.