Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2004

Spalte:

914–916

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Ilan, Tal

Titel/Untertitel:

Lexicon of Jewish Names in Late Antiquity. Part I: Palestine 330 BCE-200 CE.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. XXVI, 484 S. gr.8 = Texte und Studien zum Antiken Judentum, 91. Lw. Euro 159,00. ISBN 3-16-147646-8.

Rezensent:

Lutz Doering

Ein umfassendes Lexikon jüdischer Personennamen in der Antike ist bislang ein Desiderat gewesen. Das ambitionierte Werk der Jerusalemer (inzwischen Berliner) Judaistin Tal Ilan, auf drei Bände angelegt, will die Lücke nun mit dem vorgelegten ersten Band für Palästina und den Zeitraum vom Beginn der hellenistischen Zeit bis zur Redaktion der Mischna schließen. Damit erweist sich freilich der Begriff "Late Antiquity" im Gesamttitel als irreführend, da die Spätantike im engeren Sinn durch den vorliegenden Band gar nicht abgedeckt wird.

Vorangestellt ist eine umfangreiche Abkürzungsliste (XI- XXVI), die auch Angaben zu abgekürzt zitierter Literatur enthält. In der Einleitung (1-58) legt I. die Grundsätze für die Erstellung ihres Namenlexikons dar. Die zeitliche Abgrenzung trägt zum einen der Veränderung in der jüdischen Namengebung seit Beginn der hellenistischen Zeit Rechnung. Zum andern berücksichtigt sie für den Abschluss, dass historisch signifikantere Daten wie 70 oder 135 n. Chr. komplizierte Scheidungen innerhalb der Quellentexte erfordern würden. Zugleich ermöglicht dieser Abschluss auch die Einbeziehung der wichtigsten tannaitischen Werke, also der Mischna, der Tosefta und der halachischen Midraschim (die Ansetzung mit 200 n.Chr. ist jedoch für die Texte neben der Mischna zu früh). Das Buch will sowohl ein Onomastikon sein, insofern es alle für den Zeitraum belegten Namen von Juden in Palästina verzeichnet, als auch eine Prosopographie, insofern es die Personen, die die entsprechenden Namen trugen, einzeln aufführt (1 f.).

Im Ganzen bietet das Lexikon mehr als 3500 Einträge, davon mehr als 2800, die sich sicher auf historische Personen beziehen. Ein derart umfangreiches Korpus erlaubt statistische Schlüsse, an denen I. besonderes Interesse hat. Es ergibt sich, dass im betreffenden Zeitraum nur wenig ausschlaggebend für die Namengebung war, was ein Name bedeutete. Es bestand ein schmales Repertoire an beliebten Namen, mit dem charakteristischen Ergebnis, dass einige wenige Namen für eine sehr hohe Zahl von Namensträgern belegt sind. Diese Namen finden sich zwar häufig in der Hebräischen Bibel, dort aber meist nur für Nebencharaktere; sie wurden aber - das hebt I. besonders hervor - größtenteils von Mitgliedern der hasmonäischen Königsfamilie getragen (2). Unter den männlichen Namen führen die Liste Simon (257 x), Joseph (231 x; [nur] nach 2Makk 8,22 ebenfalls Glied der Hasmonäerfamilie) und Juda (179 x) an, unter den weiblichen Mariam (80 x), Salome (63 x) und Shelamzion (25 x) (56 f.), nach denen ca. die Hälfte (!) der aufgenommenen Frauen heißt (9). Auffällig ist das starke Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen: Nur 13,3 % der Namen sind weiblich, und nur 11,2 % der aufgenommenen Personen sind Frauen (3.55). Das weist auf eine erhebliche Unterrepräsentation von Frauen hin, die auf den Ossuaren noch am geringsten ist, wo das Verhältnis von ca. 1:4 dadurch zu Stande kommt, dass Frauen und Männer meist je mit dem Namen eines männlichen Verwandten zusammen angegeben sind (43).

Im Blick auf die Gesamtheit der nach Geschlecht geordneten Namen unterscheidet I. zwischen biblischen (meist hebräischen; Anteil: 20,7 % der männlichen bzw. 14,6 % der weiblichen Namen, getragen von 73,4 % der Männer bzw. 51,1 % der Frauen), griechischen (Anteil 27,3 % [m] bzw. 43,6 % [w], getragen von 13,9 % [m] bzw. 19,9 % [w]), wenigen lateinischen und noch weniger persischen Namen; dazu kommen noch die Sammelgruppen der anderen semitischen Namen in hebräischen Buchstaben (Anteil 30,5 % [m] bzw. 20 % [w], getragen von 7,5 % [m] bzw. 23,7 % [w]) und der (wenigen) anderen semitischen Namen in griechischen Buchstaben (4- 16). Griechische Namen fanden also leichter Eingang in die Namengebung für Frauen; sie wurden allgemein in breiter Streuung aufgenommen (im Ganzen ist fast ein Drittel der verzeichneten Namen griechischer Herkunft).

In den nächsten Abschnitten der Einleitung legt I. die Organisation der Namenseinträge dar und bespricht ihre Probleme. Jeder Eintrag verzeichnet zunächst die Form und Schreibweise des für die betreffende Person belegten Namens. I. erörtert diesbezüglich ausführlich ihren Umgang mit Problemen der Transliteration und Orthographie (16-32). Es folgt jeweils der Versuch einer Identifikation der so benannten Person, sofern bekannt (z. B. Tochter von ...); die methodischen Ausführungen sind hier, vor allem was historische Verifizierungen anhand mehrfach bezeugter Namen angeht, m. E. zu knapp geraten (32-36). Als nächstes werden die Fund-Kategorie (Papyrus, Ostrakon, Ossuar etc.; 37 ff.) und die Quelle für den Beleg des Namens angegeben (39-45). 61,1 % der Belege stammen aus papyrologischen und epigraphischen Quellen, 38,9 % (so ist zu korrigieren) aus literarischen (40), also aus der frühjüdischen und tannaitischen Literatur, dem Neuen Testament und frühchristlichen Texten (Judenchristen sind mit aufgenommen) sowie (selten) aus der griechisch-römischen Literatur. Dass aus dem Neuen Testament neben den Evangelien nur Apg 1-13 zu berücksichtigen seien, "which take place in Palestine" (41), wird in der Durchführung erfreulicherweise ignoriert (s. 396 zu Judas Barsabbas, 414 zu Silas [Apg 15,22]), doch bleibt der pauschale Ausschluss der Briefliteratur fragwürdig (so entgeht I. die Namensform [?] Silvanus [2Kor 1,19; 1Thess 1,1; 2Thess 1,1; 1Petr 5,12]). Sinnvoll ist hingegen die Berücksichtigung epigraphischen Materials aus der Diaspora, da auch hier Juden aus Palästina verzeichnet sein können (44), doch vermisst man hier u. a. die einschlägigen neueren Sammlungen von W. Horbury und D. Noy.

Bei Bedarf werden sodann Ausnahmen verzeichnet (45-50), also solche Belege, die nicht historischen jüdischen Personen zugewiesen werden können (zweifelhafte Personennamen [Spitz-, Familien- und Zweitnamen], fiktionale Personen, ungesicherte jüdische Herkunft). Als letzte Rubrik findet sich ein Versuch der Datierung; I. diskutiert vorab knapp die aus der Fachdiskussion hinlänglich bekannten Probleme (50-54; doch s. o. zu ihrer pauschalen Datierung tannaitischer Quellen). Ebenfalls dem Namensverzeichnis vorangestellt sind aufschlussreiche statistische Tabellen (54-58).

Den Hauptteil des Buchs nimmt das gemäß der vorangehenden Beschreibung organisierte Namensverzeichnis selbst ein (59-448, Addendum 449-453). I. gibt in Anmerkungen hilfreiche Erläuterungen und kurze Kommentare. Ein orthographischer, nach den verschiedenen Alphabeten gegliederter Index (455-475) sowie ein Verzeichnis der Namen auf Englisch (476- 484) beschließen das Werk.

Zunächst muss die immense Leistung der Vfn. gewürdigt werden. Das Lexikon stellt erstmals in bündiger Form und auf der Höhe gegenwärtiger judaistischer, papyrologischer und epigraphischer Forschung Informationen über jüdische Namen aus dem antiken Palästina und deren Träger und Trägerinnen zusammen. Der Vfn. gebührt ohne Einschränkung Dank und Anerkennung dafür, dass sie dieses wichtige Instrument für künftige Forschung bereitgestellt hat. Insbesondere die statistischen Aussagen, die auf Grund dieser Sammlung möglich werden, sind von erheblichem Gewicht und ermöglichen weit reichende Einblicke in die politischen, sozialen und religiösen Gegebenheiten des palästinischen Judentums.

Im Einzelnen bringen manche Einträge überraschende Informationen, vor allem aus neutestamentlicher Perspektive. So bietet der Eintrag "Petrus" (303) neben dem Hinweis auf den Apostel vier weitere Formen, die vom selben Namen abgeleitet seien, darunter zwei aus der Zeit vor 73 n. Chr. (Josephus, Ant 18,156; Mas 413). Es käme nun aber angesichts der (von I. nicht angedeuteten) lebhaften Diskussion zum Petrus-Namen, in der eben dessen außerchristliche Existenz häufig bestritten worden ist, darauf an, diese Belege abzusichern, wofür sich die Hinweise in den Anmerkungen denn doch als zu knapp erweisen. Ähnlich werden auch andere Einträge der komplexen Forschungsdiskussion nicht gerecht, etwa derjenige zu Barnabas (s. v. Nabas [439]), wo sich kein Hinweis auf die in der Forschung erwogene Herleitung vom Namen des Gottes Nabu findet. Dass ein Lexikon bündig bleiben muss, versteht sich von selbst. Bibliographisch gestützte Hinweise auf die Forschungslage hätten hier ausgereicht.

Das Buch bedarf also eines umsichtigen Umgangs. Das ergibt sich auch daraus, dass nicht sämtliche Belege für einen Namensträger aufgenommen sind, sondern nur das erste Vorkommen, neben dem pauschal auf die einschlägigen Konkordanzen verwiesen wird. Dadurch können sich Fehler und Ungenauigkeiten einschleichen. Ein signifikantes Beispiel - wiederum aus dem neutestamentlichen Bereich - möge genügen: Zum ersten Apostel (vgl. Mt 4,18) findet sich nur der (fehlerhafte) Eintrag Symon (219; so auch zu anderen Trägern des Namens Mt 13,55; 26,6; 27,32), der dann kommentiert wird als "middle ground ... between LXX Symon and Josephus (Simon)" (228). Dass der Name im Neuen Testament (nur) die beiden letztgenannten Formen hat und in welcher Verteilung diese auftreten, erfährt man nicht (dazu hätte u. a. eben auch 2Petr 1,1 einbezogen werden müssen!).

Dem Band hätte eine sorgfältigere Lektorierung gut getan. Es wimmelt von Druckfehlern, vor allem im Lateinischen (XV.XVII ff.XXIII.13 u. ö.), aber auch in der englischen Rechtschreibung und Zeichensetzung. Ein durch viele Sprachen und Alphabete derart schwieriges Manuskript wäre besser durch die Hände noch weiterer Korrektoren gegangen. Im Grunde stellen sich auch die o. g. Kritikpunkte als Anfrage an das Arbeitspensum dar, das sich die Vfn. vorgenommen hat. Würde nicht die Hinzuziehung von Expertinnen und Experten für bestimmte Teilbereiche, etwa das Neue Testament, zugleich Entlastung und weitere Optimierung dieses wichtigen Projekts bedeuten? Die Fachwelt darf schon jetzt auf den Abschluss des Lexikons gespannt sein, für das man sich dann auch eine preiswertere Studienausgabe wünschen würde.