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Ausgabe:

September/2004

Spalte:

909–912

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Allison, Jr., Dale C.

Titel/Untertitel:

Testament of Abraham.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2003. XVI, 527 S. gr.8 = Commentaries on Early Jewish Literature. Lw. Euro 98,00. ISBN 3-11-017888-5.

Rezensent:

Jan Dochhorn

Das Werk steht neben einem Tobit-Kommentar von J. A. Fitzmyer am Anfang einer neuen Kommentarreihe, die von L. Stuckenbruck in Zusammenarbeit mit P. W. van der Horst, H. Lichtenberger, D. Mendels und J. P. Mueller herausgegeben wird und - anders als die Reihenbezeichnung vielleicht vermuten lässt - ausschließlich den so genannten Apokryphen und Pseudepigraphen gewidmet ist. Der Kommentar von Allison erweist sich in hohem Maße würdig, die genannte Reihe einzuläuten. Nicht nur wird umfängliches religionsgeschichtliches Material dargeboten, das man auch für die Erforschung anderer Texte dankbar rezipieren wird; auch narrative Strukturen und theologische Intentionen im Testament Abrahams (Test Abr) werden sorgfältig erschlossen. Erfreulich ist vor allem, dass A. den Humor im Test Abr zu würdigen weiß; das ist bisher nur selten geschehen (vgl. allerdings die Arbeiten von J. Ludlow). Ein erheblicher Makel, der freilich weniger dem Autoren anzulasten ist, findet sich dafür in der satztechnischen Gestaltung des Buches: Bei Zitaten in hebräischer Schrift werden fast durchgängig auf der jeweils rechten Seite lateinische Lettern von Quadratschrift-Zeichen überschrieben.

Die Erforschung des Test Abr ist durch zahlreiche Probleme belastet, die A. vor allem in der Einleitung erläutert (3-52). Die größte Herausforderung stellt sicher die synoptische Frage dar. Das Test Abr ist in einer Langrezension, hier mit Test Abr (lr) bezeichnet, und einer Kurzrezension überliefert, die hier mit dem Sigel Test Abr (kr) versehen werden soll. Beide Rezensionen sind auf Griechisch nur in (durchaus zahlreichen) mittelalterlichen Codices überliefert. Bei Test Abr (lr) sind die Übersetzungen (neugriechisch und rumänisch) beide eines noch weit jüngeren Datums, nicht jedoch bei Test Abr (kr): Hier existiert eine altkirchenslawische und rumänische auf der einen Seite und eine sahidische, bohairische, arabische und äthiopische (in einer christlichen und in einer Falascha-Rezension) auf der anderen Seite, wobei sich die sahidische Übersetzung (Test Abr [kr/sah]) in einem (leider noch immer unveröffentlichten) Codex aus dem 5. Jh. erhalten hat. Sie stellt damit zumindest für Test Abr (kr) ein relativ hohes Alter sicher. Nach A.s Urteil (vgl. 12-27) ist keine der beiden Rezensionen mit dem ursprünglichen Test Abr gleichzusetzen, das er dem ägyptischen Judentum um die Zeitenwende zuordnet, dazu s. u. Beide Rezensionen sind seines Erachtens zum Teil deutlich christianisiert, vor allem im Sprachgebrauch, Test Abr (kr) allerdings weniger als Test Abr (lr), vgl. die Auflistung zu Test Abr (lr) auf S. 16-19. Dafür hat, so A., Test Abr (lr) die ursprüngliche narrative Struktur des Test Abr getreuer bewahrt, speziell was die humoresken Momente betrifft (in der Tat ist Test Abr [kr] vergleichsweise unwitzig). Wenn das Sondergut von Test Abr (lr) in Test Abr (kr) keine Entsprechung findet, dann liegt das eher an Kürzungen (20), die in der Transmissionsgeschichte des Test Abr auch sonst zu belegen sind (20.21). Zudem hat dieses Sondergut oftmals eine tragende Funktion für das Gesamt der Erzählung (20.22-23). A. kommentiert dieser Einschätzung entsprechend vor allem Test Abr (lr) und erörtert Abweichungen von Test Abr (kr) nur zu Beginn der Kommentarabschnitte. Im Rahmen der Kommentierung von Test Abr (lr) wiederum verwendet er erhebliche Mühe darauf, christliche Einflüsse nachzuweisen, und zwar vor allem auf dem Wege des lexikographischen und religionsgeschichtlichen Vergleichs.

In seinem Kernbestand bestimmt A. das Test Abr, wie angedeutet, als einen humoristischen Text, der mehr der Unterhaltung als der Belehrung diente; es ging unter anderem darum, die Verehrung biblischer Gestalten zu ironisieren (51-52). Dies gilt nicht nur für Abraham, der sich angesichts des Todes eher als ein "störrischer alter Mann" (51: "stubborn old man") erweist denn als frommer Held, sondern auch für Michael, der zwar als "Befehlshaber" (archistrategos) bezeichnet wird, aber noch nicht einmal mit Abraham zu Rande kommt. Auch der Tod ist eine komische Figur: "Dead even ends up praying for the resurrection of people he has killed - a truly remarkable role reversal" (52). Gott wiederum wird als gütiger Weltregent gezeichnet, der anders als Abraham Geduld mit dem Sünder hat (48, vgl. vor allem Test Abr [lr] 10). Trotz deutlicher Bezugnahmen auf biblische Überlieferung kann das Test Abr kaum als Midrasch bezeichnet werden; dafür bemüht es sich zu wenig um eine Auslegung der biblischen Abraham-Überlieferung (49- 50). Eine klare Gattungsbestimmung des Test Abr hält A. auch gar nicht für möglich (41-42); wie etwa beim Hiob-Buch oder den Pescharim in Qumran werden unterschiedliche Gattungen gemischt (42). Lediglich die Begriffe "parody" und "antitestament" lässt A. uneingeschränkt gelten (42). Religionsgeschichtlich bedeutsam ist der Umstand, dass spezifisch christliche Züge fehlen, weswegen ein jüdischer Ursprung für Test Abr durchaus als sicher gelten kann (29-31). Genauso wenig ist freilich ein Interesse für die differenzierenden Identitätsmerkmale des Judentums erkennbar; weder Gesetz noch Beschneidung noch Speisevorschriften etc. spielen eine Rolle (28-29). Test Abr kann also als eine jüdische Schrift mit universalistischer Tendenz bestimmt werden, und dem entspricht auch eine durchaus unbefangene Verarbeitung heidnischer Vorstellungen (etwa ägyptischer Traditionen über das Totengericht in Test Abr 12- 13), die nicht wie etwa bei Aristobul apologetischen Zwecken diente, sondern einfach dem Ziel, eine "gute Geschichte noch etwas besser zu machen" (30: "[to] make a good story even better"). Jüdisches und Paganes erscheinen hier zu einem einheitlichen Weltbild verschmolzen. Ein derartiges Judentum hat es nachweislich in Ägypten gegeben, wohin auch spezifisch ägyptische Vorstellungsgehalte weisen (32-33). Dort wird es irgendwann vor dem Diaspora-Krieg unter Trajan (115-117 n. Chr.) und nach der Etablierung der Septuaginta, von der sich Test Abr mehrfach abhängig erweist, entstanden sein (38-39).

A.s Arbeit ist unbestreitbar wertvoll; dennoch sind kritische Punkte anzumerken und Forschungsaufgaben zu benennen, die bei A. nicht hinreichend angegangen wurden:

1) A. gründet seine Übersetzung und Kommentierung weitgehend auf den Haupttext der Ausgabe von Schmidt (1986), die, wie A. selbst hervorhebt (6-7), im Wesentlichen eine diplomatische ist. Der Text von Test Abr (lr) ist bei Schmidt denn auch fast durchgängig der des Codex Paris, BNF gr. 770, fol. 225v-241r (= A), der von Test Abr (kr) derjenige des Codex Mailand, Ambr. gr. 405, fol. 164r-171r (= E); den Text der Zeugen B F G, einer Unterfamilie von Test Abr (kr), den Schmidt gesondert ediert, lässt A. ohne großen Schaden unberücksichtigt. Gegen das von Schmidt gewählte Verfahren erheben sich nun allerdings beträchtliche Einwände:

Bei einer Schrift mit derartig instabilen Transmissionsbedingungen wie dem Test Abr sind bei jedem Zeugen gravierende Verderbnisse zu erwarten, die bei dem Zeugen A zu Test Abr (lr) ja auch tatsächlich begegnen. Schmidt füllt denn auch wenigstens offensichtliche Omissionen nach anderen Zeugen auf; besser noch wäre es gewesen, er hätte sich von diesen Fehlern zu einem etwas weiterreichenden Zweifel an seinem Leittext bewegen lassen. Erst recht problematisch ist die Tatsache, dass Schmidt einen Großteil der Zeugen noch nicht einmal im Apparat berücksichtigt, etwa weil sie - rein mechanisch - verstümmelt sind oder weil sie sekundär gekürzt wurden (Schmidt, 28-29). Aber seit wann ist ein zufällig um einige Seiten beraubter Textzeuge auch in den erhaltenen Partien weniger wertvoll, und warum sollte ein Text mit sekundären Kürzungen nicht auf guter Überlieferung beruhen?

Noch problematischer ist die Edition Schmidts im Falle von Test Abr (kr): Berücksichtigt werden ausschließlich die griechischen Zeugen, die alle dem Mittelalter entstammen, doch gerade hier wäre ein durchgängiger Vergleich mit den Versionen, insbesondere dem nachweislich vormittelalterlichen Test Abr (kr/sah), dringend erforderlich gewesen, zumal die koptisch/arabisch/äthiopische Überlieferung an einigen Stellen Berührungspunkte mit Test Abr (lr) aufweist, die in Test Abr (kr/gr) fehlen (Allison, 8). Kurz, eine kritische Edition von Test Abr (lr) und Test Abr (kr) steht im Grunde noch aus, und dementsprechend ruht auch der Kommentar von A. nicht immer auf einer verlässlichen Grundlage. Wie unsicher der Text von Schmidt ist, zeigt sich etwa an Test Abr (lr) 13,6, wo A. allerdings die Problematik durchaus wahrnimmt. Hier werden - laut A. - die Menschen am Ende der Geschichte von den zwölf Stämmen Israels gerichtet, was auf den ersten Blick ganz nach einer jüdischen Konzeption aussieht. Schon James hat dieses Moment übernommen, erst recht Schmidt - und nun auch A. in Übersetzung (274) und Kommentar (285), obwohl, wie sowohl James (53-54) als auch A. (276) darlegen, alle anderen bisher ausgewerteten Zeugen von einem Gericht der zwölf Apostel über die zwölf Stämme Israels reden und der Text von A. ohne Schwierigkeiten auf eine Omission durch Homoioteleuton zurückgeführt werden kann. Es spricht also einiges dafür, dass diese "jüdische Tradition" wohl eher eine Textverderbnis ist, und so nimmt es auch nicht Wunder, dass auch A. keine Parallele, auch keine jüdische, aufweisen kann, wo von einem Weltgericht der zwölf Stämme die Rede wäre (vgl. 285).

2) Eng mit dem textkritischen Problem verbunden ist die Frage von Grammatik und Stil im Test Abr, die bei A. kaum Berücksichtigung findet.

Test Abr (lr) weist Passagen von außerordentlicher sprachlicher Schönheit auf. Daneben gibt es jedoch Vulgarismen wie etwa den Akkusativ in u me se akolutheso in 7,12, der sich dann auch noch in 8,2.12; 15,10; 16,16; 19,4 wiederholt, freilich ohne je völlig unbestritten zu bleiben (einige Zeugen haben - ebenfalls vulgäres - su, einige das korrekte soi). Muss hier der Text von Schmidt verbessert werden oder wird man ihn beibehalten müssen? Welche Position hat im letzteren Fall das Test Abr in der Geschichte des nachklassischen Griechisch?

3) A. setzt christlichen Einfluss nicht nur in der Lexik, sondern auch im Erzählstoff an, etwa bei dem Motiv der zwei Wege in Test Abr (lr) 11 (238-241) oder bei der Sterbeszene in Test Abr (lr) 20 (386-387). Im letztgenannten Fall ist der Einfluss wahrscheinlich weniger tiefgreifend, als A. annimmt, aber insgesamt wird man ihm wohl folgen müssen. Dann jedoch stellt sich umso dringender die bei A. gar nicht aufgeworfene Frage, ob in Test Abr (lr) wirklich einfach nur christliche Schreiber von Mal zu Mal ihre Spuren hinterlassen haben (so A. auf S. 40) oder ob es vielleicht auch eine christliche Redaktion gab.

Wenn es sie gab, warum hat sie auf die Einarbeitung von deutlicher als christlich erkennbaren Motiven verzichtet? Und warum hat sie humoreske Momente beibehalten, die ja auch Anstoß hätten erregen können, etwa wenn der Erzengel Michael in Test Abr 4,5 ein körperliches Bedürfnis vorschützt? Um zu klären, welche Akteure letztlich hinter dem christlichen Superstrat in Test Abr stehen, müsste die von A. geleistete Arbeit in mehrfacher Hinsicht weitergeführt werden. A. begnügt sich in der Regel damit, christliche Züge im Test Abr, speziell in Test Abr (lr), durch den Aufweis von Parallelen in christlichen Texten zu identifizieren. Zu untersuchen wäre aber auch, in welchem Verhältnis die "verdächtigten" Passagen zum Kontext stehen und ob sie in der Tendenz mit anderen "verdächtigen" Passagen übereinstimmen.

4) A.s Zurückhaltung bei der Gattungskritik (s. o.) ist sicherlich besser, als einen wenig trennscharfen Begriff wie "Midrasch" auf das Test Abr zu applizieren oder eine Gattungsbezeichnung zu erfinden, die nur auf das Test Abr zuträfe. Gerade beim Test Abr wird aber die Zuordnung zu einer Gattung wohl gar nicht so schwer fallen. Man kann Test Abr wie Test Isaak, Test Jakob, Dorm Mar, Hist Jos Fabr Lign und mit Einschränkungen auch Apc Mos, Test Hiob und Ass Mos als De-Morte-Narratio klassifizieren. In dieser Art von Erzählungen, die offenbar vor allem im koptischen Christentum rezipiert oder auch komponiert wurden, geht es um den Tod einer herausragenden Gestalt der biblischen Überlieferung.