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Ausgabe:

September/2004

Spalte:

900–903

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Assmann, Jan

Titel/Untertitel:

Die Mosaische Unterscheidung. Oder der Preis des Monotheismus.

Verlag:

München-Wien: Hanser 2003. 286 S. 8 = Edition Akzente. Kart. Euro 19,90. ISBN 3-446-20367-2.

Rezensent:

Klaus Koch

Seiner Aufsehen erregenden Monographie "Moses der Ägypter" (s. ThLZ 124 [1999], 874 ff.), 1998 auf Deutsch erschienen, lässt der Heidelberger Ägyptologe Assmann ein weiteres Buch zum Thema Monotheismus folgen. Wie der erste beeindruckt der zweite Band durch eine bewundernswerte Belesenheit in vielen Bereichen der Kulturwissenschaft - in der Philosophie von Parmenides bis Habermas - und seine Fähigkeit zu prägnanten, oft provokativen Formulierungen. Kritische Reaktionen von Theologen auf "Moses der Ägypter" veranlassen ihn, deutlicher noch als in "Moses der Ägypter" die von ihm "Mosaische Unterscheidung" genannte Abgrenzung, mit der sich die Biblische Religion "irgendwann im Laufe des Altertums ... zwischen der späten Bronzezeit und der Spätantike" als "wahr" gegenüber den anderen "falschen" Religionen artikuliert, als die entscheidende Wende von "primären" zu "sekundären" Religionen und ein Charakteristikum der von Jaspers und Eisenstadt aufgewiesenen Achsenzeit zu begreifen (die sie freilich auf die 1. Hälfte des 1. Jt.s v. Chr. beschränken). Die "Mosaische Unterscheidung" propagiert einen Monotheismus, der nicht primär die vielen zu Gunsten des einen Gottes abweist, sondern Lehre von Irrlehre, Glaube von Unglaube scheidet (12 f.).

Gleich das erste Kapitel wendet sich dem gegenwärtig heiß diskutierten Thema zu: "Die Mosaische Unterscheidung und das Problem der Intoleranz". Der Monotheismus ist "keineswegs im Sinne eines logischen Entwicklungsstadiums aus der archaischen Religion hervorgegangen" (22), sondern aus einer Revolution, wie A. mehrfach wiederholt. Allerdings wird der Begriff eingegrenzt; es war "kein die Welt ein für allemal veränderndes Ereignis, sondern eine regulative Idee" (12 f.), später heißt es: "keine historische Wende, sondern ... ein Ereignis, ein Moment" (50). Ist dann aber der Begriff Revolution nicht zu hoch gegriffen? Als Beispiele gelten die Gegenreformation, die Reaktion auf den Synkretismus von Antike und Christentum in der Renaissance, die Theologie Karl Barths und moderner Fundamentalismus (53).

Mit dem Monotheismus tritt Gegenreligion auf den Plan. "Nur diese Religionen haben ein Gegenüber, das sie bekämpfen" (14), und "sind nun einmal von Haus aus intolerant" (26. 35: "mit Notwendigkeit"). Dem stellt A. das Bild eines unbegrenzt kompatiblen Polytheismus gegenüber: Die "Religion der anderen wurde als grundsätzlich mit der eigenen vereinbar empfunden", ja "fungierte als Medium der Kommunikation", was der Monotheismus dann abblockte (32, vgl. 39). Zum Polytheismus gehört grundsätzliche Übersetzbarkeit, wie schon mesopotamische Listen des 3. Jt.s v. Chr. beweisen, die die Götter verschiedener Panthea gleichsetzen.

Will A. bestreiten, dass auch polytheistische Staaten ihre Kriege nie ohne Berufung auf den Beistand ihrer Götter führen, die Götter der Feinde als Gegner der eigenen betrachten und bekämpfen? Von möglichen Göttergleichsetzungen nimmt er die biblische Religion ausdrücklich aus, behauptet z. B., es wäre den Juden "auf der Basis dieser Unterscheidung unmöglich geworden, mit den Assyrern ein Bündnis einzugehen", oder um des Verkehrs mit Ägypten willen Jahwä mit Amun gleichzusetzen (33). Ist aber denkbar, dass Juda in den 130 Jahren, in denen es Vasall Assyriens war, nie mit diesem einen Vertrag geschlossen hat, der selbstverständlich damals die Gottheiten beider Seiten angerufen hat? Der spätere Vertrag mit Nebukadnezzar wurde bei Jahwä beschworen (Ez 21,23-32) und gewiss ebenso beim babylonischen Marduk. Was aber Amun betrifft, findet sich sein Name oder Kryptogramm auf zahlreichen Siegeln der judäischen Königszeit und kann sich nur auf Jahwä beziehen. - In der Perserzeit beginnen übrigens die Judäer, ihren Gott als "Gott des Himmels" zu bezeichnen, vor allem im Verkehr mit persischen Behörden. In hellenistischer Zeit lassen Hohepriester wie Jason und Menelaos ihren Gott Zeus Olympios taufen; die griechische Übersetzung des Alten Testaments nennt Gott kyrios und hypsistos und greift damit zu Titeln des höchsten Gottes aus der heidnischen Umwelt. Hatte sich in all diesen Epochen die "Mosaische Unterscheidung" noch nicht durchgesetzt? - Obwohl die "Mosaische Unterscheidung" in Israel aufgekommen war, ist sie nach A. keine typisch jüdische Errungenschaft geworden, das Judentum habe "nie irgendwelche Heiden mit Gewalt verfolgt" (30 f.36), biblische Massaker beträfen stets das eigene Volk. Texte wie Dtn 20 legen diesen Schluss freilich ebenso wenig nahe wie die Berichte des Josephus über die Feldzüge des Hyrkan (Ant 13,9 f.).

Kap. 2 "Monotheismus - Gegenreligion wogegen?" antwortet auf den Titel nach einem Rekurs auf die Echnaton- und Ramessidenzeit: "Der Gegensatz von Monotheismus heißt nicht Polytheismus oder gar Götzendienst oder Idolatrie, sondern Kosmotheologie" (64). Das weist auf den Begriff, an dem A. mehr als an andern liegt. "Polytheismus ist Kosmotheismus", d. h. Gott und Welt werden nicht unterschieden, sondern das Göttliche in Staat, Natur und Mythos eingeschrieben (62). Im Monotheismus emanzipiert sich der Mensch zum autonomen Individuum, das aber "fühlt sich in dieser Welt nicht ganz und gar zu Hause", wie es besonders die Gnosis und das protestantische "Jammertal" beweisen (63). Politische Folge ist die Trennung von Herrschaft, in der nichts Göttliches mehr wohnt, und Heil. Stattdessen werden nun Ethik und Gerechtigkeit dem einen Gott zugeschrieben, während sie vorher im Staat und bei den Menschen ihren Ort hatten. "Ethik und Religion haben verschiedene Wurzeln" (73).

Obwohl ein solcher Satz gelegentlich sogar von Theologen geäußert wird, bleibt er m. E. im Blick auf den Alten Orient mehr als fragwürdig. Sprengt er nicht die Theorie eines Kosmotheismus? Wenn Göttliches allen Bereichen der Lebenswelt einwohnt, wie lässt sich dann eine so lebenswichtige Sache wie das Recht ausklammern und für einen auf sich gestellten Menschen reservieren? Zudem dürfte Maat, die Göttin der Gerechtigkeit, gerade in der von A. als Durchbruch des Kosmotheismus angesehenen Ramessidenzeit alles andere als eine unwichtige Figur gewesen sein.

"Der Kampf der Erinnerungen - Zwischen Idolatrie und Ikonoklasmus", so Kap. 3. Das biblische Bilderverbot entzog wie die Lehre vom dominium terrae die Welt "der menschlichen Unverfügbarkeit" (100). Es konnte aber den Kosmotheismus nicht völlig verdrängen, wie u. a. Paracelsismus, Alchemie, Spinozismus, Freimauerei, Theosophie beweisen (106). Gleiches ergibt sich aus dem Überblick über eine geistesgeschichtliche Entwicklung vom florentinischen Neuplatonismus bis zur "Paganologie" des 17./18. Jh.s (107-117).

In Kap. 4 "Sigmund Freud und der Fortschritt in der Geistigkeit" wird der Psychoanalytiker mehr noch als in "Moses der Ägypter" zu einem Übervater für die Theorie A.s. Die Darstellung im ersten Buch wird in einem entscheidenden Punkt korrigiert: Freud war nicht bestrebt, die "Mosaische Unterscheidung" aufzuheben, sondern sah in ihr einen kulturellen Fort-schritt in der Geistigkeit analog zur notwendigen Triebsublimierung beim Individuum. Das aber nötigt den Monotheis- mus nach A. zur Abkehr von der Sinnlichkeit und zu einem "Nein zur Welt, ... von dem meine alttestamentlichen Kritiker so gar nichts wissen wollen" (136 f.), das geschieht im Zusammenhang mit "credo quia absurdum, dieser erzchristlichen Formel" (140 - welche "Erzchristen" A. da wohl kennen gelernt hat?).

Kap. 5 fasst zusammen: "Die psychohistorischen Konsequenzen des Monotheismus". Entscheidend werden der scriptural turn vom Kult zum Buch und der dadurch gegebene Strukturwandel des Heiligen: Nichts gilt in der Welt mehr als heilig außer der Schrift. A. holt zum großen Schlag aus: Die sekundäre Religion weiß sich nicht nur als Gegensatz zu Magie und Idolatrie und falscher Religion, "sondern auch im Gegensatz zu Wissenschaft, Kunst, Politik und anderen kulturellen Sektoren" (155).

War für A. die Zeit des christlichen Abendlands also eine kulturelle Wüste, samt der Gründung von Universitäten im Mittelalter, den Domen in unseren Städten, einem Dante in der Literatur, einem J. S. Bach in der Musik usw. usw.?

Angesichts solcher Beurteilung wirken die Schlusssätze resignativ und melancholisch: "Die Mosaische Unterscheidung steht, wie Freud uns gelehrt hat ... für einen Fortschritt in der Geistigkeit, der - wie teuer auch immer erkauft - nicht wieder aufgegeben werden darf. An der Unterscheidung zwischen wahr und falsch, an klaren Begriffen dessen, was wir mit unseren Überzeugungen als unvereinbar empfinden, werden wir festhalten müssen ... Nur werden wird diese Überzeugungen nicht mehr auf ein für allemal festgeschriebene Offenbarungen gründen können. In dieser Weise müssen wir die Mosaische Unterscheidung selbst zum Gegenstand einer unablässigen Reflexion und Redefinition, einer diskursiven Verflüssigung (Jürgen Habermas) machen, wenn sie uns Grundlage eines Fortschritts in der Menschlichkeit bleiben soll" (165).

A. hat wieder ein Buch vorgelegt, dass von der ersten bis zur letzten Seite spannend zu lesen ist und manche These aus "Moses der Ägypter" unter einem veränderten Blickwinkel neu veranschaulicht. Völlig neue Argumente werden nicht hinzugefügt. Was jetzt vorliegt, macht A.s Anliegen deutlicher, lässt jedoch die Aporien seiner Theorie schärfer hervortreten als die erste Veröffentlichung. Überzeugend bleibt die Betonung, dass der Wandel vom Poly- zum Monotheismus einen geistigen Umbruch zur Folge hat, der sich ebenso in der Abkehr vom Gottesbild wie in der entschlossenen Wendung zum Kanon heiliger Schriften (den es freilich auch im Polytheimus geben kann) manifestiert, aber auch in einem neuen Weltverhältnis. Dass ein Monotheismus oft eine Intoleranz mit entsetzlichen Folgen legitimiert hat, ist unbestreitbar. Die entscheidende Frage an A. aber bleibt, ob dies mit Notwendigkeit erfolgt.

Indem nun die "Mosaische Unterscheidung" zu einer regulativen Idee erklärt wird, die nur im Ereignis, im Moment zu Tage tritt und über Jahrhunderte mit ihren Komponenten in der Latenz verharren soll, und ihr Ursprung zwischen Spätbronzezeit und Spätantike, also über mehr als tausend Jahre hinweg offen bleibt, verliert die Theorie an historischer Bodenhaftung.

1. Es ist A.s Verdienst, neben der Ereignis- die Rolle der Gedächtnisgeschichte zu betonen. Gehört dazu im Umkreis der Bibel aber nicht auch ein inklusiver Monotheismus, der anderen Religionen ihr relatives Recht einräumt? Nach der auf S. 98 f. zitierten Stelle Dtn 4 hat Jahwä selbst die Verehrung des Heeres des Himmels "allen anderen Völkern" zugewiesen (vgl. Mal 1,11)! Dieser Spur ist die Alte Kirche weithin gefolgt, z. B. in Eusebs Praeparatio evangelica oder der Lehre vom Logos spermatikos.

2. A. beharrt weiter darauf, dass die jüdisch-christliche Gegenreligion als Protest gegen die ägyptische Religion entstanden sei, ohne dafür Belege vorzulegen. Im "Exodus-Mythos" spielen aber die ägyptischen Götter keine Rolle, anders allenfalls in der Sapientia Salomonis aus hellenistischer Zeit - einer Schrift, deren kanonischer Rang vom Judentum und protestantischen Christentum verneint wird.

3. Der Begriff Kosmotheismus wird über die vage Angabe hinaus, dass er ein Einwohnen des Göttlichen in Staat, Natur und Mythos - nicht aber in der Ethik - beinhaltet, nicht genauer erklärt. Normalerweise wird Theismus als die Lehre von einer klar umgrenzten göttlichen Person definiert, Kosmotheismus wäre demnach die Auffassung vom Weltganzen als einem allwirksamen Geist (wie bei spätantiken Philosophen, vgl. 104). Mag man die göttliche "Dreieinigkeit" Amun - Re - Ptah der Ramessidenzeit auch so erklären - was mir zweifelhaft erscheint -, so sind doch andere polytheistische Religionen des Alten Orients davon weit entfernt und ausweislich ihrer Theomachien von der Gespaltenheit der Welt in Rein und Unrein, Gut und Böse überzeugt und von Weltangst geprägt.

4. Konflikte polytheistischer Staaten des Alten Orients mit dem - nur bedingt monotheistischen - Israel lassen nichts von einer Kompatibilität der Religionen erkennen. 587/586 v. Chr. zerstören Babylonier den Jerusalemer Tempel in einer planvollen Aktion einen Monat nach der Eroberung der Stadt. Der Polytheist Antiochos IV. erzwingt 167 v. Chr. die synkretistische Umgestaltung des Zweiten Tempels mit jahrelangen blutigen Folgen. Wenn der Tempel 70 n. Chr. in Flammen aufgeht, mag das Titus nicht beabsichtigt haben, beabsichtigt war aber der Abtransport der Tempelgeräte nach Rom und das Verbot, einen jüdischen Tempel wieder zu errichten.