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Ausgabe:

September/2004

Spalte:

895–897

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Geerlings, Wilhelm, u. Josef Meyer zu Schlochtern [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Tradition und Innovation. Denkanstöße für Kirche und Theologie.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2003. 175 S. gr.8 = Paderborner Theologische Studien, 33. Kart. Euro 19,90. ISBN 3-506-76284-2.

Rezensent:

Markus Buntfuß

"Keine andere Eigentümlichkeit des Christentums fordert so gebieterisch zu einer dialektisch-historischen Behandlung auf, wie die, dass es eine alte und neue Religion zugleich ist." (122; Nachweis ebd.) Diese Einsicht Adolf von Harnacks, zitiert vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, umreißt den heuristischen Fluchtpunkt der weit gespannten Beiträge des vorliegenden Aufsatzbandes und verdeutlicht zugleich die ökumenische Aufgeschlossenheit ihrer Autoren.

Anlässlich des 65. Geburtstages des Bochumer Fundamentaltheologen Hermann Josef Pottmeyer sowie im produktiven Anschluss an sein Werk legen wissenschaftliche Kollegen, Freunde und Schüler (neben den Herausgebern Arnold Angenendt, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Franz-Xaver Kaufmann, Robert A. Krieg und Karl Lehmann) ihre Überlegungen zur Herkunftsgeschichte und Zukunftsfähigkeit des Christentums vor.

Explizit wenden sich die Texte von Geerlings, Kaufmann, Lehmann und Schlochtern der Grunddialektik von Traditionsbestimmtheit und Innovationsbereitschaft in der theologischen Lehrbildung und Selbstreflexion zu, während die übrigen Studien angrenzende Problemfelder thematisieren: etwa den Zusammenhang zwischen Christentum und Akkulturation (Angenendt), die Frage nach einer Theologie des modernen säkularen Rechts (Böckenförde), die unterschwellige Abhängigkeit von Geschichtstheologie und Nationalsozialismus in der Theologie Karl Adams (Krieg) sowie die Rezeptionsgeschichte des II. Vatikanums durch Johannes Paul II. (Pottmeyer).

Doch auch hier lassen sich Brennpunkte der Debatte ausmachen, etwa die unterschiedliche theologische Deutung der Moderne seit der Aufklärung, die Möglichkeiten einer für Umbrüche und Paradigmenwechsel sensiblen Dogmenhermeneutik, das Erfordernis einer Theologie des Säkularen sowie das Verhältnis zwischen Herkunftsvergewisserung und Zukunftsgestaltung seitens der Institutionsgestalt (Kirche) und Reflexionsgestalt (Theologie) des christlichen Glaubens.

In dem Maße jedoch, wie die Autoren den Zeitindex jeder gegenwartstauglichen Theologie zum Programm erklären, bleiben sie hinter ihrem Anspruch zurück. Gemessen an der wissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahrzehnte resümieren die Texte zumeist bekannte Einsichten, statt wirklich neue Perspektiven zu eröffnen. Namentlich die methodische Auseinandersetzung mit neueren Theorieansätzen zu kulturellen Tradierungsprozessen und epochalen Orientierungswechseln in den Kultur- (J. und A. Assmann, B. Groys) und Geschichtswissenschaften (R. Koselleck, H. White) bleibt außen vor. Dieses Desiderat muss sich umso gravierender auswirken, als der in diesen Zusammenhängen entdeckte Konstruktionscharakter von kultureller wie religiöser Erinnerung und Erwartung auch neue Aufschlüsse über Geschichte, Selbstverständnis und Zukunftsfähigkeit des Christentums verspricht.

Gleichwohl zeichnen sich die Beiträge der namhaften Autoren und erfahrenen Hochschullehrer wenn auch weniger durch die Novität des Gedankens so doch durch eine beachtenswerte Souveränität der Darstellung aus und empfehlen sich als lesenswerter Querschnitt einer liberalen katholischen Theologie in Fortschreibung des II. Vatikanischen Konzils.