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Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

854–857

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Oberdorfer, Bernd

Titel/Untertitel:

Filioque. Geschichte und Theologie eines ökumenischen Problems.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001. 628 S. gr.8 = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 16. Geb. Euro 99,00. ISBN 3-525-56207-1.

Rezensent:

Grigorios Larentzakis

Das Thema dieser umfangreichen Habilitationsschrift, die an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig Maximilians-Universität München entstand, stellt ein viel diskutiertes kontroverstheologisches Problem dar, das die Kirchen und die Ökumene seit sehr langer Zeit und bis heute beschäftigt und belastet. Und während manche "Wissenschaftler" bereits den Kopf schütteln, wenn sie nur von dem Problem hören, und denjenigen, die sich damit befassen, den Vorwurf machen: "Habt ihr sonst keine ernsthafteren Probleme?", wagt der Vf. der vorliegenden Studie, sich mit diesem Problem sehr intensiv und sowohl von den Quellen her als auch bis zu den heutigen Diskussionen hin zu beschäftigen.

Der Grundsatz, den sich der Vf. zu eigen macht, solche Probleme und auch generell systematische Fragen in ihrem historischen Kontext zu sehen und zu entfalten, gehört zu den unverzichtbaren Voraussetzungen jeder theologischen Forschung und insbesondere jeder ökumenischen Arbeit.

Dementsprechend behandelt der Vf. sein Thema nach einer Einführung (11-35) in vier Abschnitten: 1. "Die Voraussetzungen des Filioque-Problems" (37-128), 2. "Entstehung und Geschichte des Filioque-Problems" (129-258), 3. "Die Filioque-Frage unter den Bedingungen der Moderne" (259-553) und 4. "Der Hervorgang des Geistes: Theologie eines ökumenischen Problems" (555-597). Es folgt das Literaturverzeichnis: 1.Quellen (599-601), 2. Stellungnahmen (601-602) und 3. Literatur (602-617). Ein Personenregister und ein Sach- und Begriffsregister (in Auswahl) schließen die Arbeit ab.

Dass mit dem Filioque-Problem die Trinitätsfrage und somit die Gottesfrage unmittelbar zusammenhängt, ist evident. So ist es als sehr positiv zu betrachten, dass durch die Beschäftigung mit dem Filioque-Problem die Reflexion über die Bedeutung der Trinitätslehre intensiviert wird. Die ostkirchliche Kritik und in der Folge auch die heutige orthodoxe Position halten nicht nur das kirchenrechtliche bzw. faktische Problem der Änderung des Glaubensbekenntnisses durch ein Ökumenisches Konzil für "ekklesiologisch illegitim" (13), sondern halten insbesondere die theologische Problematik im Blick, und das bedeutet: die Trinitätstheologie selbst (13 f.). Wir haben es also mit einem doppelten Problem zu tun, wie der Vf. hier im Unterschied zu anderen westlichen Autoren richtig feststellt. Hier noch eine Vorbemerkung: Die kirchlichen Entscheidungen des ersten Jahrtausends, die auf der höchsten Instanz der Gesamtkirche beruhen, d. h. durch die letzten Endes von allen rezipierten Ökumenischen Konzilien, stellen keinen exklusiven "Besitz" der Orthodoxen Kirche dar, sondern sind ein gemeinsames Glaubensgut der Gesamtkirche des Ostens und des Westens, dem die Orthodoxie bis heute treu bleibt. Von der Orthodoxie im ersten Jahrtausend kann man auch nicht so sprechen, als ob diese konfessionellen Bezeichnungen schon damals vorhanden gewesen wären.

Den normativen Charakter der Entscheidungen der Ökumenischen Konzilien akzeptierte schließlich auch der Lutherische Weltbund im offiziellen Dialog mit der Gesamtorthodoxie heute ("Die Ökumenischen Konzile und die Autorität der Kirche und in der Kirche", Dänemark 1993), so dass das Prinzip sola scriptura nie sine traditione verstanden werden kann ("Schrift und Tradition", Kreta 1987). Aus diesem Grunde hat das Glaubensbekenntnis vom zweiten Ökumenischen Konzil von Konstantinopel (381) eine gesamtkirchliche Bedeutung und keinesfalls nur einen partikularistischen Charakter, nur weil u. a. auch die Orthodoxe Kirche von heute die Urfassung des Glaubensbekenntnisses beibehalten hat und für unabänderlich hält. Auch die Streichung des Filioque bedeutet eine Wiederherstellung des ursprünglichen Bekenntnistextes, ist aber nicht in erster Linie eine Konzession oder ein Zugeständnis der Orthodoxen Kirche gegenüber. Wer dies so betrachtet (19), wird das ursprüngliche Problem nur auf die Ebene der nach der Reformation im Westen entstandenen Konfessionen und deren konfessioneller theologischer Traditionen verlagern, wodurch zwar ihre konfessionelle Identität verteidigt, aber der ursprüngliche Charakter des Problems verändert wird. Das wir auch heute gemeinsam über die Trinitätstheologie und ihre Relevanz nachzudenken haben, ist evident. Im Übrigen geschieht dies auch immer wieder, und es gibt nicht wenige westliche Theologen, die die existenzielle Bedeutung der Trinitätstheologie wieder erkannt haben und sie aus dem "trinitarischen Exil" des Westens zurückzuholen versuchen.

Die konfessionellen Stellungnahmen sowohl des Vatikans (1995) als auch des Vorstandes der VELKD (1997) bemühen sich, die Beibehaltung des Filioque im Glaubensbekenntnis zu ermöglichen (544 f.550 f.). Zum ersten Dokument wurde eine interessante, von Pro Oriente in Wien organisierte Konsultation durchgeführt, deren Communiqué die liturgische Verwendung des ursprünglichen Textes des Glaubensbekenntnisses vorschlägt (vgl. 544 f.), während der Vf. zum zweiten Dokument richtig feststellt: "Das letzte Wort kann damit noch keineswegs gesprochen sein ..." (522).

Diese "massive" und "rigide" Stellungnahme der Kirchenleitung der VELKD hab ich auch nicht verstanden. Darüber habe ich mich im Zusammenhang mit dem Dialog zwischen dem Ökumenischen Patriarchat und der EKD auf Rhodos im Oktober 1997 entsprechend geäußert (vgl. G. Larentzakis, Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den allmächtigen, Schöpfer des Himmes und der Erde, Rhodos 21.-27. Oktober 1997, in: Ökumenisches Forum 20 [1997], 183 ff.). Diese Stellungnahme widerspricht einigen lutherischen Positionen und in jedem Fall den Auffassungen sehr vieler namhafter lutherischer Theologen. Stellungnahmen von solchem apologetischen, konfessionellen Charakter sind für das Anliegen selbst und für die Ökumene kontraproduktiv und belasten die Glaubwürdigkeit des ökumenischen Dialogs. Als Reaktion und in gewisser Weise als Antwort darauf formulierten wir im gemeinsamen Communiqué der erwähnten 11. Begegnung dieses Dialoges zwischen der EKD und dem Ökumenischen Patriarchat auf Rhodos: "Sowohl durch die Referate als auch durch die Diskussionen wurden grundsätzliche Übereinstimmungen festgestellt, die für eine weitere Verständigung hilfreich sind. Dazu gehören die biblische Grundlage und das altkirchliche Bekenntnis von Nicäa-Konstantinopel. Das schließt einerseits das trinitarische Verständnis Gottes als Schöpfer ein, andererseits die Verpflichtung, dieses Bekenntnis in seiner ursprünglichen Fassung in den Gemeinden ins Bewußtsein zu bringen." (In: Ökumenisches Forum, ebd. 202)

Natürlich kann in einer Buchpräsentation kaum auf die sehr informative Studie eingegangen werden, aber erst recht nicht auf die zu Grunde liegende Problematik. Für die Wiederherstellung der ursprünglichen Fassung des Glaubensbekenntnisses und deren liturgische Verwendung haben sich bereits sehr viele westliche Theologen, Kirchen und ökumenische Organisationen ausgesprochen (was auch in der vorliegenden Arbeit zitiert und kommentiert wird), so dass die logische Konsequenz daraus nur die Verwirklichung dieses Ansinnens sein kann. Das wäre ein ökumenisch äußerst wirksamer Schritt, auch in den Augen des Vf.s, der trotz aller Bedenken und "Bedingungen", die er nennt (577 f.), selbst die Streichung des Filioque und die Verwendung des Urtextes des Glaubensbekenntnisses (NC) immer wieder in Erwägung zieht (vgl. 565). Aber derzeit scheint weder die römisch-katholische noch die evangelische Seite - in gemeinsamer Ablehnung - daran zu denken (557). Dass wesentliche Unterschiede im Glauben die sichtbare Einheit noch verhindern, wird allgemein bestätigt (vgl. Charta Oecumenica, I,1).

Um das trinitarische bzw. innertrinitarische Problem theologisch zu diskutieren, muss zunächst die enge apologetisch-konfessionelle Bindung aufgegeben werden. Dies versucht auch der Vf. (555 f.), will aber eine Lösung nur "im lutherischen Kontext" (558) vorschlagen. Wenn aber diese aus der heutigen Perspektive zu starke konfessionelle Bindung gelockert wird, können zugleich auch die Quellen bzw. die griechischen Kirchen- väter, die biblische Theologie betrieben haben, nicht anachronistisch und zweckgebunden interpretiert und mit Fragen belastet werden, die in ihrer Zeit gar nicht gestellt wurden (95). So stellt der Vf. richtig fest, dass auch die Trinitätslehre von Augustinus nicht als "filioquistisch im späteren Sinn bezeichnet werden muß" (127). Gerade deshalb ist die Überschrift des ersten Abschnittes dieser Studie "Voraussetzungen (!) des Filioque-Problems" zu hinterfragen.

Als die Konzilsväter beim zweiten Ökumenischen Konzil in Konstantinopel (381) das Glaubensbekenntnis verfassten, beschäftigte sie nicht in erster Linie die Frage nach den Beziehungen zwischen Sohn und Heiligem Geist, sondern hauptsächlich deren Bezug auf den Vater hin und somit die Klarstellung und unzweideutige Aussage über deren Gottheit, auch wenn auf die entsprechenden Begriffe bewusst verzichtet wurde. Dies war die Ökonomie des Konzils. "Mehr muß das Trinitätsbekenntnis nicht leisten" (105), urteilt der Vf. richtig und verweist auf die enorme Sensibilität der Konzilsväter in ihrem Urteil und schließlich auf die "immense ökumenisch-integrative Wirkung des Bekenntnisses" sowohl für den Osten, aber auch für den lateinischen Westen (106). D. h., dass auch dann, wenn nach mühevollem Suchen bei irgendeinem griechischen Kirchenvater eine dem "Filioque" dienende und das "Filioque" nicht ausschließende Formulierung gefunden werden könnte, diese irrelevant wäre, weil die Kirche auf dem Konzil letzten Endes die richtige Entscheidung traf. Denn: Wie viele andere Formulierungen zu den verschiedensten dogmatischen bzw. theologischen Themen gibt es noch, die von der Kirche nicht rezipiert wurden? Die Kirche hat schließlich auch entschieden, aus welchen Büchern sich der neutestamentliche Kanon zusammensetzt. In der Konsequenz beteuerte der Lutherische Weltbund im offiziellen ökumenischen theologischen Dialog der Gesamtorthodoxie gegenüber, dass das sola scriptura nie als Gegensatz gegen die Autorität der Kirche und die echte Tradition zu verstehen war und ist ("Die Ökumenischen Konzile und die Autorität der Kirche und in der Kirche", Dänemark 1993). Zuzustimmen sei der Feststellung - das war auch immer die Sorge der Ostkirche bzw. der Orthodoxie -, dass das Filioque "als expliziter Zusatz zum Wortlaut des Bekenntnisses dessen integrative Funktion unerträglich beeinträchtigt" (ebd.).

Der Vf. hat mit seiner lesenswerten Arbeit die große Bedeutung des Themas auch für die heutige Zeit überzeugend aufgezeigt: die vielfältigen Verbindungen zu wesentlichen Inhalten des christlichen Glaubens, die diachrone und synchrone Relevanz und die ökumenische Dringlichkeit. Dazu gibt er viele diskussionswürdige, manchmal ultimativ konfessionell formulierte Vorschläge (559 f.), die hier nicht im Detail diskutiert werden können. Der Orthodoxie werden Wenn-Fragen gestellt- die Orthodoxie muss diese Fragen beantworten, eigentlich nur bejahen, und die Lutheraner werden diese Antworten beurteilen (561.565) - und zwar im Hinblick darauf, ob die Orthodoxie die Prüfungen bestanden hat! So gewinnt man den Eindruck, als ob hier eine Bereitschaft bestünde, der Orthodoxen Kirche, also einer Konfession, einen Gefallen zu tun, indem man das Filioque streicht, aber nur unter der Bedingung einer Gegenleistung - gerade so, als ob dies ausschließlich ein orthodoxes und nicht ein gesamtkirchliches Problem wäre. Bis zum Konzil von Konstantinopel (879/880) haben die dem zweiten Ökumenischen Konzil folgenden Ökumenischen Konzilien den ursprünglichen Text des Glaubensbekenntnisses immer wieder rezipiert und für ausreichend gehalten. Es waren nicht zuletzt Päpste, die bewusst und entschieden gegen den Zusatz des Filioque gekämpft haben. Deshalb ist es weder angebracht noch hilfreich, wenn einfach eine westliche, filioquistische Version des Glaubensbekenntnisses einer griechischen Version bzw. einer Version der Orthodoxie gegenübergestellt wird, um daraufhin zu erklären, dass konfessionelle "Verhandlungen" unerlässlich seien. Die Ausgangsposition des "Ökumenischen Dialogs" muss gemeinsam definiert werden.

Die dogmengeschichtliche Entfaltung der Trinitätslehre und aller damit zusammenhängenden historischen Fakten sowie aller hermeneutischen Prinzipien mitsamt ihren aktuellen Dimensionen sollte also unter intensiverer Einbeziehung der ostkirchlichen Theologie in dialogischer Form geschehen und nicht nur hauptsächlich aus westlicher Perspektive, was der Vf. eigentlich auch zugibt (555 f.568). Die Stellungnahme des Ökumenischen Patriarchates in seinem enzyklischen Schreiben anlässlich des Jubiläums des Konzils und überhaupt der Band mneme Synodu Hagias B Oikumenikes (En Konstantinupolei 381) Tomos A hrsg. vom Ökumenischen Patriarchat, Institut Patristischer Studien, Thessaloniki 1983, beinhalten auch manche anderen Arbeiten, die für das Thema relevant sind. Auch der Band von Pro Oriente, Das Gemeinsame Credo. 1600 Jahre seit dem Konzil von Konstantinopel, Innsbruck-Wien 1983, enthält viele aus verschiedenen Kirchen herkommende Dokumente und Beiträge. Es ist schade, dass durch die in ihr angewandte Methode und die benutzte Sprache einer überspezialisierten Wissenschaftlichkeit (Habilitationsschrift!) die breitere Zugänglichkeit des wichtigen Inhaltes dieser Studie, die eigentlich sinnvoll wäre, nicht gefördert wird.