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Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

846–849

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Fenski, Matthias

Titel/Untertitel:

Klaus Hemmerle und die Ökumene. Weggemeinschaft mit dem dreieinen Gott.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2002. 317 S. gr.8 = Paderborner Theologische Studien, 32. Kart. Euro 50,00. ISBN 3-506-76280-X.

Rezensent:

Erich Geldbach

Bei dem Buch handelt es sich um eine Dissertation, die im Sommersemester 2000 von der Theologischen Fakultät Paderborn angenommen wurde. Sie hat den katholischen Bischof von Aachen Klaus Hemmerle (1929-1994) zum Gegenstand, der im Vorwort als Philosoph und Theologe bezeichnet wird, und zwar in dieser Reihenfolge. Nach seiner Tätigkeit als Direktor der Katholischen Akademie Freiburg wurde Hemmerle Assistent von Bernhard Welte, bei dem er sich im Fach Religionsphilosophie mit einer Arbeit über die Spätphilosophie Schellings 1967 habilitierte. Ein Jahr später wurde er der geistliche Direktor des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und war daher für die Vorbereitung der Katholikentage, aber auch für die gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland (1971-1975) mit verantwortlich. Gleichzeitig begann er, Verbindungen zu den Verantwortlichen des Evangelischen Kirchentags zu knüpfen, so dass er für die Vorbereitungen des Gemeinsamen Ökumenischen Pfingsttreffens 1971 in Augsburg die Verantwortung mit übernahm. Maßgeblich beteiligt war Hemmerle an dem Zustandekommen eines Gesprächskreises zwischen Juden und Katholiken. Neben seiner Tätigkeit beim ZdK lehrte er drei Jahre lang als Professor für Fundamentaltheologie in Bochum; seit 1973 war er als Nachfolger seines Lehrers Welte auf dem Lehrstuhl für christliche Religionsphilosophie in Freiburg tätig. Nur wenig später, im September 1975, erreichte ihn die Nachricht, dass er vom Domkapitel in Aachen zum Bischof gewählt und von Paul VI. ernannt wurde.

Das Buch zerfällt in drei Teile. Der erste Teil steht unter der Überschrift "Kirche und Welt, Trinität - Tendenzen im ökumenischen Dialog". In diesem Teil geht es F. um das Herausarbeiten der Bedeutungsvielfalt des Wortes Ökumene, dann um die Frage der Trinitätslehre für die Ökumene und schließlich um die trinitarische Koinonia der Kirchen in der einen Welt. Ökumene versteht er als eine "Weggemeinschaft", die vom Heiligen Geist angeregt ist und die Kirchen und Christen auf der Suche nach sichtbarer Einheit der Kirche im Glauben, Leben, Dienst und Zeugnis verbindet. Diese allumfassende Definition von Ökumene schließt die Frage ein, wie viel Verschiedenheit legitim ist. Weggemeinschaft will aber auch unterwegs bleiben, so dass die Bereitschaft dazu gehört, eine ökumenische Grundhaltung zu erlernen, die sich nicht nur auf gemeinsames Leben einlässt, sondern die auch für das Wirken Gottes offen ist. Dabei ist es wichtig, dass die trinitarische Koinonia der Kirche in der einen Welt die theologische Grundperspektive ist, die es erlaubt, Glaubenslehre und Glaubenspraxis, also Ekklesiologie und Ethik miteinander zu verbinden.

Mit diesen ökumenischen Überlegungen, die auf der Grundlage der bilateralen Dialoge und der multilateralen Bemühungen im ÖRK aufgezeichnet werden (1. Teil bis S. 78), wird dann im zweiten Teil ein Zugang zu Klaus Hemmerle und seinen Bemühungen versucht. Dies legt sich insofern nahe, als dem früheren Aachener Bischof die "Einheit als Lebensstil" in seinem öffentlichen Wirken am meisten am Herzen lag (81, Anm. 1). Es geht nicht um eine Biographie Hemmerles (die liegt vor in: W. Bader/W. Hagemann, Klaus Hemmerle. Grundlinien eines Lebens, München 2000), sondern es geht um die Aspekte seines theologischen Lebens, die mit der Einheit der Kirche zu tun haben. Besonders impulsgebend ist für Hemmerle die Begegnung mit Chiara Lubich, der Begründerin der Fokolar-Bewegung. Dort erfährt er eine, wie er sagte "leise, aber radikale Wende", weil, wie F. interpretiert, die innere Einheit in Gott und die Einheit aller, denen er begegnete, in einen existentiellen, unlösbaren Zusammenhang treten (91). Damit erlebt Hemmerle die Einheit von Denken, Glauben und Wirklichkeit und zugleich eine gemeinschaftliche Lebensform und Spiritualität. Bemerkenswert ist, dass sich Hemmerle die Frage stellte, ob er in der Fokolar-Bewegung einer Ideologie aufgesessen sei. Er sieht den Unterschied so: "In der Ideologie bekomme ich etwas in den Griff. Hier bekomme ich nichts in den Griff. Hier lebe ich." Während die Ideologie alles auf eine Formel bringt, fühlte er sich in der Fokolar-Bewegung freigesetzt, die Wirklichkeit in ihrer Vielheit und Einheit wahrzunehmen und sich ihr liebend auszusetzen, ja mit dem anderen eins zu werden. "Ist nicht gerade dies die Alternative zur Ideologie? Ich habe nicht Antworten auf die Fragen, sondern begegne Jesu ausgehaltenem Dasein am Kreuz. Er selbst also ist Antwort, Antwort, die ich gerade nicht habe, sondern Antwort, die ich nur leben kann." (93 f.) Die Kreuzesnachfolge wird somit zum Schlüssel des Lebens- und Glaubensvollzugs.

Im zweiten Teil seiner Arbeit fasst F. den "Denkweg" Hemmerles zusammen. Dabei geht er den philosophischen und theologischen Denkbewegungen Hemmerles nach, einmal in der Phänomenologie Bernhard Weltes, seines Lehrers, zum anderen in seinen religionsphilosophischen Studien zu Franz von Baader und Schelling und sodann im Dialog mit unterschiedlichen Philosophen und Theologen seiner Zeit. Dieser Abschnitt kulminiert in einer Skizze, die den Weg Hemmerles zu seinen "Thesen zu einer trinitarischen Ontologie" beschreibt (135- 155). Die Merkmale der Strukturontologie werden aus ihren Quellen eingehend abgeleitet (Rudolf Otto, Martin Heidegger, Heinrich Rombach, aber auch Kirchenlehrer wie Bonaventura). - Für eine ökumenische Denkweise, die besonders der dritte Teil anhand des Spätwerkes Hemmerles nachzeichnet, sind daher bedeutsam:

1. Der phänomenologische Blick im Gefolge von Husserl, Heidegger, Welte und Rombach auf das "Ganze" und auf das "Andere". Das hat für die Ökumene insofern größte Bedeutung, als dadurch konfessionelle Selbstgenügsamkeit verhindert wird. In Treue zur eigenen Glaubensgemeinschaft wird dadurch der Weg frei zum Anderen und vom Anderen her zu denken. Von Schelling übernimmt er den einprägsamen Satz, dass Gott nicht wie ich ist, sondern wie der Andere. Auf die Kirche übertragen bedeutet dies, dass die eigene Kirche nicht vermindert, sondern in Beziehung gesetzt wird und dass damit erst die Fülle in den Blick tritt. Der ökumenische Weg muss daher zum Dialogpartner in dessen unverfügbarer Andersartigkeit führen, weil nur so die von keiner Einzelkirche allein auszuschöpfende Fülle Gottes in den Blick treten kann. Dies verweist mit Notwendigkeit auf die dialogische Existenz und damit auch auf die Geschichtlichkeit allen ökumenischen Denkens und Tuns.

2. Das Paschamysterium ist für Hemmerle der Schlüssel für das Erfassen der Offenbarung des dreieinen Lebens Gottes, das Schöpfung, Menschheit und Kirche am trinitarischen Leben Gottes teilhaben lässt. Das Ziel ist daher eine trinitarische Ontologie, die sich als ökumenische Weggemeinschaft, als Leben und Denken, Spiritualität und Konvivenz Ausdruck verschafft. Lehrunterschiede werden nicht übergangen, aber aus demselben Kreuz, demselben Geist, derselben Liebe und dem miteinander geteilten Leben demselben trinitarischen Lebensraum zugeführt, in dessen Mitte Jesus Christus steht. Insofern ist Hemmerles Denken ein wichtiger Beitrag zur ökumenischen Hermeneutik.

3. Schließlich läuft Hemmerles Denken und sein Konzept einer Weggemeinschaft auf eine ökumenische Spiritualität zu. Sie setzt an beim gemeinsamen Glauben an die Liebe Gottes und dem gemeinsamen Leben aus dem Wort Gottes. Diese Spiritualität ist "charismatisch"-ganzheitlich sowie der weisheitlich-mystischen Tradition verpflichtet und zugleich rückgebunden an die theologisch-philosophische Tradition der Kirchen.

Anhand der Begriffe Relationalität, Perichorese, Kenosis, Geschichtlichkeit und Dialog der Liebe und der Wahrheit vertieft F. das ökumenische Denken Hemmerles und bezieht es auf die ökumenische Situation der Gegenwart. "Weggemeinschaft" lautete ein von ihm für sein Bistum initiiertes pastorales Projekt; es fasst auch gut seine Verbindungen zu den anderen christlichen Kirchen, zum Judentum und Islam, ja zur Welt insgesamt zusammen. Hemmerle wollte "Weggemeinschaft" leben. Das wird in dem Buch immer wieder deutlich. F. zitiert den Aachener Bischof oft, so dass ein treffliches Bild des tief schürfenden, weit ausgreifenden und dennoch bescheidenen Denkers entsteht. Wer, wie der Rez., die Gelegenheit hatte, den Aachener Bischof zu hören, wird nie die große Konzentration vergessen, mit der er ohne Manuskript, dafür aber mit ständigem Blickkontakt zu seinem Publikum faszinierend und zugleich druckreif sprechen konnte. Das Buch lässt diese beeindruckende Persönlichkeit ungemein lebendig werden.