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Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

839–941

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Buschmann, Gerd, u. Manfred L. Pirner

Titel/Untertitel:

Werbung, Religion, Bildung. Kulturhermeneutische, theologische, medienpädagogische und religionspädagogische Perspektiven.

Verlag:

Unter Mitarb. v. Th. Bickelhaupt, U. Böhm u. J. Mühleisen. Frankfurt a. M.: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, Verlag 2003. 270 S. m. zahlr. Abb. 8 = Beiträge zur Medienpädagogik, 8. Kart. Euro 21,80. ISBN 3-932194-66-7.

Rezensent:

Michael Wermke

Der akkumulativ formulierte Titel lässt den Untersuchungsgegenstand - Bedeutung der Werbung als Thema von Theologie und religiöser Bildung - und das methodische Vorgehen - die interdisziplinäre Zusammenschau von Kulturwissenschaft, Theologie, Medien- und Religionspädagogik - deutlich anklingen.

Die 14 im Band versammelten Aufsätze verteilen sich auf drei Abschnitte: I. Grundlegungen, II. Analysen und III. Analysen mit religionsdidaktischen Konkretionen. Im ersten Abschnitt entwickeln Manfred L. Pirner und Gerd Buschmann das Thema Werbung als ein religiös aufgeladenes Phänomen der Populärkultur in theologischer und religionspädagogischer Perspektive. Im zweiten Abschnitt weisen die beiden Verfasser und weitere Autoren in ausgewählten hermeneutischen Einzelanalysen die Bedeutung religiöser Symbolik in der Werbung nach. Ihre Beispiele stecken ein weites Feld der durch die Werbung adaptierten theologischen Großthemen ab (das Abendmahl, die Erschaffung Adams, Messiasvorstellungen, Heiligenfiguren u. a.). Die präzisen kunst- und kulturgeschichtlichen, theologischen und didaktischen Analysen der verschiedensten Werbungen sind mit viel Gewinn zu lesen. Der dritte Abschnitt vereinigt Beiträge, deren Analysen auf die unterrichtliche Thematisierung von Werbung ausgerichtet sind. Hier werden u. a. alternative Zugänge zu Standardthemen des Religions- und Konfirmandenunterrichts (Bibel, Gebet, Exodus- und Wegsymbolik) vorgestellt wie auch Werbung als eigener Unterrichtsgegenstand thematisiert. Auch diese Beiträge liefern Sachanalysen, angereichert mit Materialien und Hinweisen für die unterrichtliche Behandlung. Am Rande sei angemerkt, dass es sich zum Teil um frühere, bereits veröffentlichte Aufsätze handelt, so dass es zu einigen inhaltlichen Wiederholungen kommt. Im Vorwort wird dies als Vorteil ausgegeben, aber auf denjenigen Leser, der das Buch eben nicht nur eklektisch lesen will, wirkt dies störend.

Bereits die Themenformulierungen der Beiträge des ersten Abschnitts machen deutlich, dass es den Autoren konzeptionell um eine Verschränkung der kulturhermeneutischen Wahrnehmung und Beschreibung mit einer theologischen und religionspädagogischen Urteilsbildung geht. In seinen Beiträgen Werbung in theologischer Perspektive und Nie waren sie so wertvoll wie heute. Religiöse Symbole in der Werbung als religionspädagogische Herausforderung beschreibt Pirner das seines Erachtens notwendige Interesse der Theologie an der Werbung: "Werbung spiegelt die tiefsten (bzw. religiösen) Bedürfnisse und zeitbedingten Bedürfnislagen der Menschen wider und ist daher für eine theologische Hermeneutik von enormem diagnostischem Wert." (23) Wobei er in der Adaption religiöser respektive christlicher Motive in der Werbung nicht die Gefahr einer Trivialisierung und Sinnentleerung des Christentums erkennt. Vielmehr zeigt die Verwendung religiöser Motive in der Werbung, so Pirner, "die immer noch wirksame Ausdrucks- und Gestaltungskraft der religiösen Traditionen." (25) Infolgedessen wird Werbung nicht ideologiekritisch denunziert - wobei freilich vor allem die durch sie erzeugte "Illusion weitgehender individueller Selbstbestimmung" (29) als das anthropologische Missverständnis der Moderne theologisch aufzudecken sei -, sondern sie erhält eine eher positive Deutung. Durch die Verwendung religiöser Symbole vermag Werbung im Sinne einer Dialektik der Werbung (Pirner) die Sehnsucht nach mehr wach zu halten (26.237 ff.) und erhält damit gleichsam eine eigene religiöse Qualität (65) - eben Werbung als Religion, wie Buschmann erklärt (42). Werbung mit religiösen Motiven wirbt nicht nur für das Produkt, sondern "zugleich auch für religiöse oder humane Werte und trägt so zu deren Weitertradierung bei" (66) und liefert damit "theologisch bzw. religionspädagogisch bedeutsame Lernchancen" (27). Um nun das Verhältnis von Werbung als Teil der populären Kultur und Religion begriffsmethodisch erfassen zu können, greifen die Autoren auf den Begriff der Intertextualität, wie er in der Semiotik und auch in den Cultural Studies rezipiert wird, zurück. Pirner legt dar, dass dieser Begriff einen theoretischen Rahmen für die doppelte Aufgabe theologischer Wahrnehmung der populären Kultur bietet: "für die Bestimmung der Wechselbeziehung zwischen Religion und populärer Kultur sowie für die stärkere Berücksichtigung der Rezipienten und dadurch auch Fundierung künftiger empirischer Forschungen." (38)

Gerd Buschmann richtet in seinem Grundsatzartikel Werbung im Kontext einer lebenswelt-orientierten Religionspädagogik den Blick auf den Religionsunterricht: "Wenn sich nachweisen lässt, dass die populäre Massenkultur vielfältig von religiösen Mythen und Symbolen geprägt und durchsetzt ist ..., dann bietet die popkulturelle Lebenswelt inklusive der Massenmedien eine ideale gemeinsame Schnittmenge für einen lebenswelt-orientierten Religionsunterricht, in den Schüler und Schülerinnen ihr aktuelles und Lehrende ihr traditionelles Wissen gemeinsam einbringen können." (41) In Anlehnung an die neuere Symboldidaktik nach Peter Biehl ergeben sich für Buschmann vier Ziele für die unterrichtliche Konkretion: a) Wahrnehmung einzelner Phänomene, Symbole und Symbol-Ebenen in den Medien, b) Kommunikation über die subjektive Wahrnehmung, c) Entdecken der religiösen Dimension und d) Herausarbeiten der biblisch-christlichen Dimension (53).

Unter Rückgriff auf den Verfremdungs-Begriff Bert Brechts entwickelt Pirner eine didaktische Konzeption der doppelten Verfremdung: Durch die unterrichtliche Behandlung werden "die durch den Kontext verfremdeten religiösen Symbole gleichsam noch einmal verfremdet, indem diese Werbung nun zum Gegenstand des Religionsunterrichts, also in einen werbungsuntypischen Kontext gebracht wird." (69, vgl. 246) Durch diese doppelte Verfremdung können Schülerinnen und Schüler die kritische und expressive Lebenskraft und Wirksamkeit religiöser Symbole neu wahrnehmen lernen (70).

Mit der Verschränkung des kulturhermeneutischen Ansatzes mit der Symboldidaktik gelingt den Verfassern ein zukunftsweisender Schritt: die Medien- und Religionspädagogik miteinander gesprächsfähig zu machen. Ob jedoch die im dritten Teil des Bandes vorgestellten didaktischen Konkretionen diese Verschränkung für die Praxis abzubilden vermögen, ist eher fraglich, bleiben sie doch in den eigentlichen didaktischen Überlegungen vage. So laufen die Beispiele Gefahr, im rein analytischen Bereich stecken zu bleiben und die Schülerinnen und Schüler doch nur zu Aha-Effekten (vgl. 70) über die Existenz des Religiösen in der für säkular gehaltenen Alltagskultur zu führen.

Die Öffnung der zugegebenermaßen vielerorts erst noch zu entdeckenden kulturhermeneutischen Aufgabe des Religionsunterrichts zu einer, wie Buschmann fordert, medienpädagogisch relevanten religionspädagogischen Symboldidaktik (53) kann in der Tat erst dann gelingen, wenn entsprechende empirische Untersuchungen durchgeführt worden sind und beispielsweise dargestellt werden kann, ob und inwieweit religiöse Phänomene in der populären Kultur die religiösen Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen prägen. Dieses Manko ist freilich nicht den Autoren anzulasten, sondern beschreibt ein wichtiges Desiderat der religionspädagogischen Forschung.

Erfreulich, da sehr anschaulich, ist die reichhaltige Ausstattung des Bandes mit Schwarzweißfotos, für den Praktiker noch erfreulicher ist, dass alle Fotos in einer brauchbaren Bildqualität im Internet zugänglich sind: www.theophil-online.de/edition/ edit.htm.