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Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

836–839

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Battke, Achim, Fitzner, Thilo, Isak, Rainer, u. Ullrich Lochmann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Schulentwicklung - Religion - Religionsunterricht. Profil und Chance von Religion in der Schule der Zukunft.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2002. 398 S. 8. Kart. Euro 14,90. ISBN 3-451-27635-6.

Rezensent:

Helmut Hanisch

Bei dem vorliegenden Sammelband handelt es sich um eine sorgsame Dokumentation der ökumenischen Tagung, die vom 21.-23. März 2001 im Tagungszentrum Stuttgart-Hohenheim der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart stattfand. Veranstalter waren die evangelischen und katholischen Akademien in Baden-Württemberg.

Alle Beiträge der Referentinnen und Referenten, die bei diesem Forum zu Wort kamen, sind unter den folgenden thematischen Schwerpunkten systematisch zusammengefasst: I. Religion und Werteerziehung in der multikulturellen Gesellschaft, II. Schulentwicklung - Religion - Religionsunterricht, III. Schule gibt es nur im Plural. Zur Situation und zu Möglichkeiten in den unterschiedlichen Schularten, IV. Brennpunkte der inhaltlichen Auseinandersetzung.

Im Hinblick auf die Autorinnen und Autoren ist es bemerkenswert, dass sie unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche repräsentieren. Dadurch ist gewährleistet, dass die Themen "Schulentwicklung - Religion - Religionsunterricht" mehrperspektivisch beleuchtet werden. Im Einzelnen kommen Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft, der beiden großen Kirchen, der Schulverwaltung, der evangelischen und katholischen Religionslehrerverbände aus Baden und Württemberg und nicht zuletzt der Schulpraxis zu Wort.

Auf Grund der für diese Buchbesprechung gebotenen Kürze kann nicht auf alle Beiträge im Einzelnen eingegangen werden. Zusammenfassend ist es aber möglich, einige thematische Schwerpunkte hervorzuheben. Dazu gehört zunächst die Besinnung auf das Selbstverständnis des Religionsunterrichts und dessen Stellenwert im Bildungsangebot der öffentlichen Schule. Deutlich wird dabei, dass etwa Bischof Karl Lehmann nachdrücklich für einen Religionsunterricht votiert, der sich seines Propriums bewusst sei. Darin sieht er eine unverzichtbare Voraussetzung für den Dialog mit anderen Religionen im Kontext einer pluralistischen Gesellschaft (vgl. 33). Ähnlich äußert sich Bischof Wolfgang Huber zum Fach Religion. Er fordert, dass sich der Religionsunterricht weitaus stärker als bislang um die Vermittlung von Inhalten kümmern müsse, denn nur so sei ein Dialog mit anderen Religionen in der Schule und darüber hinaus denkbar (vgl. 41). Für den Pädagogen Dietrich Benner steht und fällt die Legitimation des Religionsunterrichts an der öffentlichen Schule - durchaus in Übereinstimmung mit den angedeuteten bischöflichen Forderungen - mit der Vermittlung von substantiellem Wissen über Religion, das gelehrt und angeeignet werden könne (vgl. 63). Dabei hebt er die Notwendigkeit hervor, dass die Schülerinnen und Schüler durch den Unterricht in einer bestimmten Religion kundig werden. Erst vor diesem Hintergrund seien sie in der Lage, Eigenes mit Fremdem zu vergleichen (vgl. 64). Die Kultusministerin von Baden-Württemberg, Annette Schavan, betont, dass es zentrale Aufgabe des Religionsunterrichts sei, die Gottesfrage wach zu halten. Dabei lässt sie sich von der Annahme leiten, dass Jugendliche durchaus bereit und offen seien, sich der Frage nach Gott zu stellen. Nicht zuletzt gehe es darum, Kindern und Jugendlichen im Anschluss an Ingo Baldermann durch die Beschäftigung mit der biblischen Tradition Hoffnungsperspektiven aufzuzeigen, ohne die schulische Bildung letztlich nicht möglich sei (vgl. 48). Zu dem Thema "Religionsunterricht" gehören auch die Beiträge, die sich mit der Einführung dieses Faches im Osten Deutschlands beschäftigen. Dabei werden von dem Religionspädagogen Werner Simon die Bedingungen aufgezeigt, unter denen die Einführung des Religionsunterrichts in den neuen Bundesländern mit Ausnahme von Brandenburg stattfindet. Besonders deutlich werden dabei die schulorganisatorischen und konzeptionellen Schwierigkeiten, die sich dem katholischen Religionsunterricht auf Grund der geringen Kirchenmitgliedschaftszahlen in den Weg stellen (vgl. 318 ff.).

Neben grundsätzlichen Aussagen zum Religionsunterricht bietet die vorliegende Studie einen hervorragenden Einblick in das Thema "Schulentwicklung". Hier ist vor allem der Beitrag des Pädagogen Wolfgang Schönig zu erwähnen, der sich differenziert um eine definitorische Klarstellung des Begriffs "Schulentwicklung" bemüht und die Voraussetzungen und Bedingungen thematisiert, unter denen Schulentwicklung im Rahmen der Organisationskultur der Schule möglich erscheint. Dabei zeigt sich nach ihm eine der Hauptschwierigkeiten darin, dass Schulen als Organisationseinheiten eine starke Beharrungstendenz aufweisen, die sich zunächst Neuerungen in den Weg stellt. Überwunden werden könne sie nur, "wenn die weichen Stellen der Organisationskultur entdeckt werden und wenn in ihrem Kern Werte bereits verankert sind, die mit Schulentwicklung korrespondieren" (68). Zu diesen Werten zählt er u.a. Veränderungsbedürfnis, Hilfsbereitschaft und kollegiale Kommunikation.

Die beiden Tübinger Religionspädagogen Albert Biesinger und Friedrich Schweitzer gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, welche Rolle der Religion bzw. dem Religionsunterricht im Hinblick auf Schulentwicklung zukommt. Schweitzer weist zunächst darauf hin, dass Religion in den aktuellen pädagogischen Konzepten der Schulentwicklung nicht vorkomme, so dass für ihn kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Religion und Schulentwicklung erkennbar ist. Weiterhin hebt er hervor, dass Schulentwicklung ohne normative Orientierung nicht möglich sei. In diesem Zusammenhang kritisiert er, dass eine Diskussion über die Ziele und Werte von Schulentwicklung nicht stattfinde, die jedoch unerlässlich sei, um sich dem Vorwurf der Beliebigkeit zu entziehen. Konsequent folgert er, dass Konzepte der Schulentwicklung "auch die Frage nach den Werten und damit nach dem Menschenverständnis einschließlich nach dessen religiösen Bezügen" (82) zu stellen haben. Vier Ebenen sind es, auf denen nach Schweitzer Religion im Zusammenhang mit Schulentwicklung ins Spiel gebracht werden kann. Dazu gehört neben dem Religionsunterricht "Religion in der Schule". Darunter versteht er u. a. Schulgottesdienste, Einkehrtage oder diakonische Projekte. Daneben sieht er die Schulen in kirchlicher Trägerschaft als potentielle Impulsgeber für Schulentwicklung an. Schließlich fordert er die Thematisierung von Religion im gesellschaftlichen Bildungsdiskurs. Biesinger unterstreicht vor allem in seinem Teilbeitrag die Bedeutung der Orientierung der Schulentwicklung am christlichen Menschenbild. Im Anschluss an Karl Rahners theologische Anthropologie fordert Biesinger, "den Menschen als Wesen der Freiheit, des Geheimnisses, der Transzendenz, der Grenze und der Interkommunikation" (88) zu sehen und die Schulentwicklung daran zu orientieren. Besonderes Gewicht bekommt bei ihm, worauf die Schülerinnen und Schüler aus religionspädagogischer Sicht ein Anrecht haben, dem sich der Religionsunterricht und die Schule insgesamt zu stellen haben. Dazu gehören u. a. das Anrecht, bei der eigenen Gottessuche kompetent unterstützt und begleitet zu werden (vgl. 97), oder das Anrecht, religiöse Kompetenzen anzueignen und zu realisieren (vgl. 98).

Auf ein zentrales Problem machen die beiden Autoren im Hinblick auf die Verhältnisbestimmung von Schulentwicklung und Religionsunterricht aufmerksam, das in vielen weiteren Beiträgen ebenfalls explizit zur Sprache gebracht wird. Es geht dabei darum, dass moderne Schulentwicklung, wie sie etwa in der Denkschrift "Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft" von der gleichnamigen Kommission beim Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen vorgestellt wird, eine Aufhebung der Fächergrenzen propagiert. Wenn sich schulisches Lernen nicht mehr im Rahmen von fest umgrenzten Fächern bewegt, sondern an Schlüsselproblemen orientiert, bedeutet dies für den Religionsunterricht, dass er in der Schule als nicht integrierbarer Fremdkörper erscheinen muss. Zweifelsohne kann sich der Religionsunterricht an unterschiedlichen Projekten und fachübergreifenden Lernvorhaben beteiligen, sofern sich das inhaltlich und thematisch nahe legt. Dies darf aber nicht dazu führen, dass er sich als Fach auflöst. Denn dies würde letztlich bedeuten, dass Religion als wesentlicher Bestandteil der schulischen Allgemeinbildung verloren ginge. Es ist nicht zuletzt dieses Problem, das die Lektüre des vorliegenden Sammelbandes als äußerst lohnend erscheinen lässt. Aus der Perspektive des Religionsunterrichts erhalten der Leser und die Leserin einen facettenreichen und differenzierten Zugang zu einem aktuellen Problem, das für die Zukunft der Schule und der an ihr Lehrenden und Lernenden von grundlegender Bedeutung ist.