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Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

834–836

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Weber-Berg, Christoph A.

Titel/Untertitel:

Die Kulturbedeutung des Geldes als theologische Herausforderung. Eine theologische Auseinandersetzung mit Georg Simmels "Philosophie des Geldes".

Verlag:

Zürich: Pano 2002. XII, 288 S. 8. Kart. Euro 19,50. ISBN 3-907576-53-5.

Rezensent:

Friedemann Voigt

Georg Simmels "Philosophie des Geldes" (PhG), zuerst 1900 und bereits 1907 in zweiter Auflage erschienen, ist geradezu überreich an Bezügen und Auslegungsperspektiven. Nicht zuletzt ist in die kulturphilosophische Argumentation eine Verbindung von Kultur- und Religionskritik eingezeichnet. Das Geld als manifester Ausdruck des Tausches symbolisiert die Grundbewegung der sozialen Welt, die Wechselwirkung im Prozess ihrer Objektivation. Das Geld ist für Simmel daher Symbol, Ausdruck wie Katalysator eines Weltbildwandels, der die Versachlichung oder "Tragödie" der Kultur bedeutet. Dem monotheistischen Gottesglauben wird eine Wegbereiterrolle für diesen Verdinglichungsprozess der modernen Kultur zugeschrieben: Simmel identifiziert eine "Formähnlichkeit" von Gott und Geld. Während das Geld die objektiv gewordene, verdinglichte Funktion des Tausches ist, repräsentiere der Glaube an einen allmächtigen Gott, in dem alle Gegensätze aufgehoben sind, dessen "reine Funktion". Mit der (notwendigen) Entäußerung der Religion in die sozialkulturelle Welt, verfällt allerdings auch sie der Versachlichung. Der Verlust an religiöser Transzendierung der Kultur und die religioide Hypostasierung des Geldes erscheinen so als zwei Seiten desselben Vorganges im Prozess der Moderne.

Die Studie von Christoph A. Weber-Berg, zugleich seine Züricher Dissertation, erhebt den Anspruch, über eine Auseinandersetzung mit PhG das umfassende Thema der Kulturbedeutung des Geldes einer theologischen Behandlung zuzuführen. Der Vf. ist, wie das erste, einleitende Kapitel (1-34) deutlich macht, besonders von Simmels These einer Analogie von Gottes- und Geldbeziehung in der modernen Kultur beeindruckt. Eine Einordnung dieses Themas in das Werk Simmels erfolgt sehr knapp (20-25). Zwar wird Simmels Frage nach dem Prozess der kulturellen Objektivationsprozesse markiert, doch bleibt diese Einordnung für die sodann erfolgende Darstellung der PhG selbst folgenlos. Daher ist diese textnahe Darstellung (35-112) ohne eine klare Rekonstruktionsperspektive. Das zutreffende Resümee, Geld sei bei Simmel "nur der konkreteste Ausdruck" kultureller Objektivationsprozesse (108), meint der Vf. in die handliche Formel ummünzen zu können, der Versachlichungsprozess der modernen Kultur sei "in theologischer Sprache" als "Sünde" zu bezeichnen (111 f.). Offensichtlich ohne es zu merken, vollzieht hier der Vf. die von Simmel kritisch bemerkte Angleichung religiöser Vorstellungen an die sachliche Kultur. Die im dritten Kapitel aufgeführten "Spuren Simmels bei Weber, Buber und Troeltsch" (113-167) lassen den Bezug zur PhG zu Gunsten der Simmel-Rezeption insgesamt zurücktreten. Die Untersuchung zu Weber geht auf Webers Fragment zu Simmel als Theoretiker der Geldwirtschaft nicht ein. Die dort geäußerte Kritik Webers an Simmels Methodik hätte dem Vf. eine Warnung sein müssen, die uferlose Vermutung einer "erstaunliche[n] Entsprechung" (126) zwischen Simmels PhG und Webers Protestantischer Ethik anzustellen. Nicht nur hier zeigt sich der Vf. nicht auf dem Stand der Forschung. Die Ausführungen zu Buber und Troeltsch beruhen im Wesentlichen auf der Studie von Hartmut Kreß zum Verhältnis des Werkes Bubers zu Simmel und der Untersuchung des Rez. zu Troeltsch als Leser Simmels. Nimmt Troeltsch auch Theorieelemente aus Simmels Soziologie und Kulturphilosophie auf, sieht er doch das Verhältnis von moderner Kultur und Christentum - anders als Simmel - von einem Antagonismus geprägt, der gleichwohl eine wechselwirksame Einflussnahme beförderte. Daher bestritt Troeltsch im Kern Simmels Religionstheorie und stellte dem u. a. das religionstheoretisch informierte ekklesiologische Programm der "elastisch gemachten Volkskirche" entgegen. Der Vf. kritisiert dieses Konzept als Auslieferung der Ekklesiologie an ein funktionales Verständnis und sieht darin Simmels Vorwurf einer geldlogischen Korruption der Theologie bestätigt (154-162). Ähnlich hatte Falk Wagner in seinem Buch "Geld oder Gott?" Simmel folgend und ihn kultur- und religionskritisch zuspitzend den Vorwurf der Geldbestimmtheit des modernen Religionsbegriffes und einer an ihm orientierten "bürgerlichen" Theologie erhoben (169-213). Der Vf. erkennt Wagners Anliegen, die tauschlogische Struktur des Gottesgedankens durch eine Theorie des Absoluten zu überwinden zwar grundsätzlich, dessen genauere Bestimmung sowie die vom Vf. geübte Kritik an der "Konsistenz des Wagner'schen Gottesgedankens" verfehlen allerdings ihr Ziel, wenn sie in Wagners Theorie des Absoluten den Versuch sehen, einen "Gottesbeweis, eine Fremdbegründung des Glaubens durch die Vernunft" (200) zu liefern. Repräsentieren Troeltsch und Wagner Alternativen des theologischen Umganges mit Simmel, beabsichtigt der Vf. im abschließenden fünften Kapitel, eine weitere Möglichkeit zu entwickeln (211-270). Seine sehr allgemeinen Ausführungen zu einer "nicht von der Geldlogik vereinnahmte[n] Theologie" lassen allerdings den Bezug zu Simmel und der PhG kaum noch erkennen. Dem Versuch des Vf.s, eine Theologie zu umreißen, in der die "Spiritualität das Jenseits der Rationalität" (228) hergeben soll, fehlt daher ein Regulativ.

Das Schlusskapitel macht das grundsätzliche Manko der Untersuchung deutlich: Das instrumentelle Interesse, die Geldbestimmtheit der modernen Kultur mitsamt ihrer Religion und Theologie an der PhG demonstrieren zu wollen, bleibt den Herausforderungen äußerlich, die eine kritische Auseinandersetzung mit Simmel und seiner Schrift bietet. Auch die Ausführungen zur theologischen Beschäftigung mit Simmel und der Geldthematik weisen Nachlässigkeiten und Mängel auf. Dazu gehört, dass die mehrfach wiederholte Behauptung einer fehlenden theologischen Auseinandersetzung mit PhG unzutreffend ist: Schon 1901 findet sich in Naumanns "Die Hilfe" eine Rezension von Gottfried Traub. Dieser Spur folgend ist die Rezeption der PhG im Sozialprotestantismus ein nicht nur theologiegeschichtlich lehrreiches Kapitel; die Arbeiten zum Thema Geld von Friedrich Delekat und Wilhelm F. Kasch finden nur im Rahmen der Darstellung Wagners Erwähnung (182 f.); die für das Thema belangvollen Erwägungen zum Wertbegriff zwischen Ökonomie und Theologie, die Hartmut Kreß ausführlich anhand von Simmels Kulturphilosophie und der PhG erörtert (Ethische Werte und Gottesgedanken, 1990, 139-163), scheinen dem Vf. unbekannt zu sein.