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Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

830 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Quante, Michael

Titel/Untertitel:

Einführung in die Allgemeine Ethik.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003. 191 S. gr.8 = Einführungen Philosophie. Kart. Euro 19,90. ISBN 3-534-15464-9.

Rezensent:

Wolfgang Erich Müller

Quante bezeichnet die Ethik gleich zu Beginn als "etwas Alltägliches und Vertrautes: [als] unsere Lebensform" (10), d. h. es geht mit der Ethik um die Aufgabe der Handlungsorientierung, die er mit den drei Grundfragen der Ethik in den Blick nimmt: Was soll ich tun? Warum ist diese Handlung richtig? Was bedeuten unsere moralischen Begriffe? Zu ihnen setzt er die drei Ebenen der deskriptiven, der normativen Ethik und der Metaethik hinzu und erfasst ihr Verhältnis als interdependent.

Nach dieser Klärung der Grundfragen im ersten Kapitel werden in den folgenden neun Kapiteln zunächst die Grundbegriffe der Ethik - gut, richtig, sollen - geklärt. Dann geht es im dritten Kapitel um die Zurückweisung des Nonkognitivismus in der Ethik, der den Wahrheitswert ethischer Äußerungen bestreitet. Damit ist Q. nunmehr in der Lage, "die Hauptarten des ethischen Kognitivismus" (21) zu behandeln - und zwar zunächst die Varianten des subjektiven Kognitivismus im vierten Kapitel. Hier werden ethische Aussagen zwar als wahrheitsfähig und begründbar angesehen, aber doch auf individuellem Interesse aufruhend.

Entsprechend folgt im fünften Kapitel der ethische Objektivismus, der ethische Aussagen auf intersubjektiv gültige Aspekte allgemeiner oder transzendentaler Vernunft zurückführt. Diese Sichtweise wird im sechsten Kapitel durch den ethischen Realismus erweitert. In Aufnahme der Diskussion des objektiven Realismus durch John L. Mackie, der "der Existenz evaluativer Eigenschaften oder Werte" (100) aus Gründen der philosophischen Analyse eine Absage erteilt, legt Q. den schwachen ethischen Realismus als Alternative dar, denn diese Position sieht die evaluativen Entitäten nicht, wie der starke Realismus, als von Subjektleistungen unabhängige Entitäten. Vielmehr besagt er, "dass es genuine evaluative Relationen gibt, d. h. Relationen, die nicht aufgelöst werden können in Eigenschaften oder Fähigkeiten der Bestandteile, durch deren Interaktion diese evaluativen Relationen konstituiert werden" (104 f.). Diese evaluativen Relationen werden also durch Subjektleistungen ermöglicht, wie Bedürfnisse, Interessen, Überzeugungen oder Lebenspläne. Die Einsicht in solche Relationen motiviert zum Handeln und ermöglicht zugleich - durch die Wahrnehmung der jeweiligen evaluativen Relationen - eine Handlungsorientierung.

Im siebenten Kapitel wird der Gegensatz von naturalistischen und nicht-naturalistischen Ansätzen der Ethik erhoben, also der Frage nachgegangen, ob - am Beispiel der evolutionären Ethik- sich ethische Begriffe auf nichtethische, naturwissenschaftliche Begriffe zurückführen lassen oder ob die Eigenständigkeit des Ethischen mit dem Nichtnaturalismus ausgesagt werden kann. Hier kommt Q. zu dem Ergebnis, "dass der ethische Naturalismus nicht in der Lage sein wird, unser ethisches Selbstverständnis sowohl in eine naturwissenschaftlich respektable Begrifflichkeit und Methodologie zu überführen und zugleich dieses Selbstverständnis hinreichend zu bewahren" (124), denn eine Kausalerklärung einer Handlung kann nicht als ethische Begründung dienen.

Nach dieser Darstellung der Formen philosophischer Ethik stellt Q. im achten Kapitel mit der deontologischen und der teleologischen Ethik die Haupttypen der Ethik dar. Er ergänzt diese geläufige Typik durch die Tugendethik, der in der Gegenwart erneute Bedeutung zukommt, da sie den Handelnden ihre Aufgaben deutlich macht, ein gutes Leben zu führen. Q. zielt auf die Integration dieser drei Haupttypen der Ethik ab.

Das neunte Kapitel ist der Begründungsproblematik der Ethik gewidmet. Hierbei ist der Versuch hervorzuheben, gegenüber dem Relativismus und dem Skeptizismus eine gesicherte Basis zu gewinnen. Gegen die Denkfigur einer ethischen Letztbegründung entwickelt Q. eine den Relativismus berücksichtigende Auffassung, die davon ausgeht, "dass unsere Praxis so lange als begründet angesehen werden kann, bis Einwände gegen bestimmte Prinzipien oder Wertannahmen unseres ethischen Selbstverständnisses plausibel gemacht werden können" (163).

Das letzte Kapitel behandelt das komplexe Verhältnis von Freiheit, Verantwortung und Determination. Q. geht hier von einem Konzept ethischer Freiheit aus, das die menschliche Praxis zu Grunde legt und derart mit einem Determinismus kompatibel ist, dass eine Verantwortungsübernahme zugleich möglich erscheint.

Mit diesem Buch hat Q. eine lesenwerte, kurze und gut durchdachte Einführung in die Allgemeine Ethik vorgelegt, die die Hauptfragen und -argumentationsmodelle nicht nur vorstellt, sondern auch Lösungsvorschläge macht. Didaktischerseits ist auf seine jeweiligen Zusammenfassungen und Lektürehinweise hinzuweisen, wie auf Fragen und Übungen als Überprüfung des Gelesenen. - Sein Sprachgebrauch von Ethik als einer Lebensform wird von jenen nicht geteilt, die zwischen der Moral als der Praxis und der Ethik als theoretischer Reflexion differenzieren. Als evangelischer Ethiker bedaure ich, dass die Frage des Verhältnisses von konfessionaler und philosophischer Ethik im Rahmen einer Einführung in die Allgemeine Ethik überhaupt keinen Platz fand. M. E. ist die Frage nicht durch die Feststellung erledigt, dass Gott nicht mehr allgemein als allwissender ethischer Richter vorgestellt wird (136).