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Ausgabe:

Juni/1998

Spalte:

589–592

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Podella, Thomas

Titel/Untertitel:

Das Lichtkleid JHWHs. Untersuchungen zur Gestalthaftigkeit Gottes im Alten Testament und seiner altorientalischen Umwelt.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1996. XVI, 338 S. m. Abb., 4 Taf., 3 Falttaf., 1 Falttaf. als Beilage gr.8 = Forschungen zum Alten Testament, 15. Lw. DM 258,-. ISBN 3-16-146598-9.

Rezensent:

Tryggve N. D. Mettinger

Die Arbeit am Artikel "Kleid/Be-, Entkleiden" für das Handbuch Religionswissenschaftlicher Grundbegriffe hat den Vf. auf Spuren gebracht, die die vorliegende Monographie veranlaßten. Podellas Untersuchung bewegt sich vom Studium der Kleidmetaphorik in der Bibel über Vorstellungen zur Gestalthaftigkeit Gottes zu Fragen nach der abweisenden Haltung gegenüber Götterbildern, welche in der Bildpolemik und dem Bildverbot zum Ausdruck kommt. Die Thematik des Buches umspannt daher die Gebiete: Götterkleidung - Gestalthaftigkeit - Anikonismus.

Der Vf. beschäftigt sich in der Einführung kurz mit den Stellen im AT, die sich auf das Kleid JHWHs beziehen (Jes 51:9; Jes 6:1 ff.; Hi 40:10; Ps 93; 104), wobei Jes 59:17 jedoch nicht vermerkt wird. Er diskutiert die Deutungsmodelle, die beim Studium der Gotteskleidung in Frage kommen: das formgeschichtliche (Theophanie), das traditionsgeschichtliche, das religionsgeschichtliche (mit der Betonung der Tempeltheologie) und das ikonographische Modell (Flügelsonne usw.).

In einer Präzisierung der Fragestellung sucht der Vf. nach Erklärungen, weshalb im AT einerseits gegen Kultbilder polemisiert wird, andererseits aber an einigen Stellen (Num 12:8; Dtn 4:12; Ps 17:15) von JHWHs "Gestalt" (teemûnâ) gesprochen wird. Hierzu nimmt er außerbiblisches Material, vor allem aus Mesopotamien, zu Hilfe. So ergibt sich eine Themenkonstellation, die in folgende Arbeitshypothese gefaßt ist: "In Analogie zur Bekleidung des Königs werden auch Götterbilder bekleidet. Die mit Hilfe des Göttergewandes realisierte Lichtherrlichkeit spiegelt die irdische, an den Tempel gebundene Herrlichkeit des jeweiligen Gottes wider. Dem entspricht in der Ikonographie eine zunehmende Betonung der Lichthaftigkeit der großen Götter. Für diesen Prozeß finden sich beredte Zeugnisse in der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends v. Chr. in Assyrien und Babylonien. Sie können damit in einen allgemeinen Entwicklungsprozeß der vorderorientalischen Religonsgeschichte eingeordnet werden" (39-40).

Der Vf. entfaltet seine Untersuchung über drei breit angelegte Kapitel. Im ersten Kapitel "Das Kleid im religiösen Kontext" diskutiert er verdienstvoll die Symbolik des Kleides in Kontexten wie Trauer, Recht, Priesterinvestitur und Priesterornat (Lev 8f.; Ex 28). Zu den Trauerriten hat der Vf. übrigens in anderen Untersuchungen schon ausgezeichnete Observationen veröffentlicht (Ugarit-Forschungen 18, 1986, 263-269). In diesem Kapitel knüpft der Vf. auch an Systematiker an, die es gewagt haben, sich mit einer "Theologie des Kleides" auseinanderzusetzen (Barth und Peterson): "Antelapsarisch habe es nur Unbekleidetsein gegeben, postlapsarisch aber Nacktheit ..." (74).

Im zweiten Kapitel wendet sich der Vf. Götterkleidern und Göttergestalten im Alten Orient zu und befaßt sich zuerst mit Bekleidungszeremonien an Götterstatuen. Ägypten hatte ein morgendliches Kultbildritual, in welchem sich der Sonnengott mit seinem Kultbild vereinte, wenn die Lichtstrahlen der Sonne durch die geöffneten Tempeltore auf das Bild fielen (so in Edfu). Dies entspricht einer Theologie der Einwohnung, welche neben Ägypten auch in Mesopotamien beobachtet werden kann, dort jedoch nicht im täglichen Ritus, sondern in extraordinären Situationen, wie bei der Neuherstellung oder der Reparation von Götterbildern ("die Mundöffnung"; "die Mundwaschung"). Der Vf. diskutiert besonders die Niniveversion des Rituals anhand einer unveröffentlichten Bachelor’s thesis von C. B. F. Walker (Oxford). Ein Aspekt, der meines Erachtens stärker betont werden sollte, ist der performative Charakter des Aktes, durch welchen das Götterbild vom Zustand eines mit Menschenhand erstellten Artefakts dissoziiert wird. Das Bild ist auf der Erde gemacht, aber im Himmel "geboren", sagen die Texte.

Eine Untersuchung wird den monatlichen Bekleidungszeremonien für Götterbilder gewidmet, welche in einer Reihe neu-babylonischer Texte, die von Salonen publiziert wurden, beschrieben werden. Der Vf. präsentiert eine eigene Zusammenstellung der wichtigsten termini technici dieser Texte. Die strahlende Kleidung des Kultbildes wird als die irdische Realisation der himmlischen Lichtherrlichkeit eines Gottes wahrgenommen. "Wir können also davon auszu [sic!] gehen, daß die Phänomene des sichtbaren Tag- und Nachthimmels als kosmische Äquivalente des kultischen Geschehens im Tempel interpretierbar sind." (124).

Der Rest des zweiten Kapitels beschäftigt sich mit Darstellungen der göttlichen Herrlichkeit. Der Vf. notiert, daß sich in der neuassyrischen Zeit ein zunehmender Gebrauch von Bildmotiven findet, die eine Kombination aus astralem Symbol und anthropomorphem Gott darstellen. Es dreht sich hier um Bildmotive, die ein Einwirken auf israelitische Entwicklungen im 9. und 8. Jh. v. Chr. bzw. israelitische Entwicklungen als Teilelement gesamtlevantischer Prozesse erweisen (125). Hierzu wird teils Ischtar im Strahlenkranz mit einer brauchbaren Präsentation der verschiedenen Nimbusformen diskutiert, teils die Anthropomorphe Flügelsonne (die Abkürzung "AFs" fehlt leider im Abkürzungsverzeichnis). Die Untersuchung des letztgenannten Motivs enthält eine lehrreiche Diskussion der assyrisch imperialen Ikonographie im Nordwestpalast Assurnasirpals II. in Nimrud. Der Abschnitt ist sehr gut illustriert, auf den Plänen fehlt jedoch eine Angabe der Himmelsrichtung. Im darauf folgenden Abschnitt "Zur Identifizierung und Verbreitung des Flügelsonnenmotivs" suche ich vergeblich nach der wichtigen Vorarbeit von D. Parayre (Syria 67, 1990, 269-314). Der Vf. schließt mit der Aussage, daß im vorderen Orient vor allem drei Gestaltungen der göttlichen Präsenz in der Welt vorkommen: eine Solarisierung der Königsdarstellungen, eine Anthropomorphisierung astraler Symbole und schließlich eine Visualisierung unterschiedlicher Aspekte/Funktionen (161).

Nach dieser ausführlichen Untersuchung des Materials aus dem vorderen Orient, geht der Vf. im dritten Kapitel auf alttestamentliches Material über. Hier beschäftigt er sich zuerst mit JHWH und den Götzenbildern, wobei Gestalthaftigkeit versus Königtum in Jer 10:1-16 und die Bildpolemik Deuterojesajas ins Blickfeld gerückt werden. Gegen die Götter, die als Statuen in Purpurkleidern erkennbar sind, stellt Jer 10 JHWH als Wettergott im Lichtkleid. "Nicht eine anthropomorphe Gestalt, sondern die Wirkzeichen einer Wettergottheit zeigen das Handeln dieses Gottes weithin sichtbar an" (170). Im Gegensatz zu dem Vf. interpretiert Knut Holter, Second Isaiah’s Idol-Fabrication Passages (BET, 28, Peter Lang, Frankfurt a. M. 1995) die bildpolemischen Texte Deuterojesajas als integrierte Bestandteile des Prophetenbuches und nicht als eine besondere Schicht.

Schließlich greift der Vf. ein äußerst interessantes Problem auf: das Bildverbot und die Gestaltlosigkeit JHWHs. Hier bietet er jedoch, im Anschluß an Dohmen und mit einigen Gesichtspunkten zu Dtn 4, nur eine kurze Skizze der Bildverbotsentwicklung an. Der Vf. eilt weiter, um JHWH als Königsgestalt zu diskutieren. Er greift, nicht ganz unerwartet, vor allem die prophetischen Berufungsberichte in Jes 6 und Ez 1 und, darauf bezogen, den Kabod der Priesterschrift auf. Zu Ez 1 weist der Vf. auf die Schwäche der herkömmlichen These, daß "Assur in der Flügelsonne" diesen Texten zugrunde läge: "Innerhalb der gesamten Motivkonstellation der anthropomorphen Flügelsonne fehlt der Thron ... Und innerhalb der Ezechiel-Vision fehlt jeder Hinweis auf Flügel und Vogelschwanz des anthropomorph dargestellten Sonnengottes bzw. des solarisierten Gottes Assur" (202-203). Statt dessen weist der Vf. auf einen akkadischen Text, einen von A. Livingstone veröffentlichten Kultkommentar, welcher die Verbindung: anthropomorpher Gott - astrales Symbol - die Idee eines im Himmel stehenden Lapislazulithrones beinhaltet. Für den Kabod in der Priesterschrift weist der Vf. auf interessante Indizien hin, nach welchen P das Erscheinen des Kabod mit dem Aufgang der Sonne am Morgen verknüpft (225).

Ein letzter Abschnitt des dritten Kapitels behandelt JHWH und den königlichen Menschen. Der Vf. will hier mit der herkömmlichen Perspektive einer Demokratisierung der Königsvorstellung brechen und statt dessen von einer Royalisierung des Menschen sprechen. Man fragt sich, ob der Vf. hier nicht falsche Alternativen geschaffen hat. Aus traditionsgeschichtlicher Sicht, unter Berücksichtigung des ägyptischen Materials (welches der Vf. nicht miteinbezieht), scheint erwiesen, daß es sich um eine Demokratisierung des imago-Motives handelt, was ja an sich eine Demokratisierung des Menschen beinhaltet. Die letzten Seiten des Buches werden für Zusammenfassung und Ausblick veranschlagt.

Wie schon aus dem Referat hervorgeht, hat der Vf. einen wichtigen und faszinierenden Problemkomplex aufgegriffen. Zu den Verdiensten der Arbeit gehört die Zusammenstellung und Präsentation einer Menge von außerbiblischem, ikonographischem Material, vor allem aus Mesopotamien. Damit hat er der alttestamentlichen Forschung einen wesentlichen Dienst geleistet.

Eine der wichtigsten Errungenschaften des Buches ist, daß Anikonismus nicht unbedingt die Vorstellung der Gestaltlosigkeit Gottes voraussetzt; und umgekehrt, daß Referenzen zur Gestalt Gottes nicht unbedingt die Annahme eines grundsätzlichen Anikonismus im alten Israel hinterfragen. Dies hätte vom Vf. in seiner Zusammenfassung deutlicher herausgestellt werden können. Im Ansatz der Untersuchung des Vf.s liegt auch die Frage, ob die Entwicklung der Vorstellungen von JHWHs Lichtgestalt, welche er in den Rahmen einer gesamtlevantischen Entwicklung einordnet, nicht eine besondere Rolle in der Entstehung des programmatischen Anikonismus, der in dem in der Exilzeit entstehenden Bildverbot vorliegt, gespielt hat.

Zwei Dinge vermisse ich an dieser Untersuchung: Erstens, eine einleitende Themareflexion, die die Frage des Verhältnisses zwischen Gottheit und Bild prinzipiell diskutiert. Mesopotamisches wie auch ägyptisches Material enthalten Formulierungen, die eine ausführlichere Diskussion verdienen. Hier könnte auch das Rollsiegel, das der Vf. auf den Seiten 148-149 diskutiert, mit einbezogen werden, wo der Gott Ninurta zweifach dargestellt ist. Diese und andere Beobachtungen zeigen, daß in Mesopotamien eine Distinktion zwischen Gott und Gottesbild nicht unbekannt war. Auch hätte ich gern die Gedanken zur Metaphorizität dessen kennengelernt, was in der anglosächsischen Religionswissenschaft unter der Bezeichnung "God language" figuriert. Marjo Korpel hat in seiner Arbeit A Rift in the Clouds. Ugaritic and Hebrew Descriptions of the Divine (Ugarit-Verlag, Münster, 1990) interessante Beobachtungen zu diesem schwer erfaßbaren Problem vorgetragen.

Zweitens vermisse ich eine deutlichere und an früherer Stelle explizierte Problemformulierung. Es sollte nicht notwendig sein, daß man erst nach vierzig Seiten in etwa weiß, worum es dem Vf. geht. Und vor allem: Dem Buch wäre besser bekommen, wenn der Vf. in seiner Untersuchung die Problemfrage fortlaufend miteinbezogen und Zwischenbefunde angezeigt hätte.

Trotzdem kann dankbar festgestellt werden: Dies ist eine Arbeit, die wichtige Fragen stellt und wichtiges Material bearbeitet - kurz, eine Arbeit, zu der man zurückkehren will.