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Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

807–809

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Philo of Alexandria

Titel/Untertitel:

On the Creation of the Cosmos according to Moses.

Verlag:

Introduction, Translation and Commentary by D. T. Runia. Leiden-Boston-Köln: Brill 2001. XVIII, 443 S. gr.8 = Philo of Alexandria Commentary Series, 1. Lw. Euro 103,00. ISBN 90-04-12169-2.

Rezensent:

Gerhard Sellin

Vorwiegend Neutestamentler und Patristiker haben die Schriften Philons von Alexandrien im Interesse religions- und philosophiegeschichtlicher Ableitungen ihrer Texte herangezogen. Das führte notwendig zu selektiver Verwendung der philonischen Schriften ("Steinbruch"-Methode). Doch seit dem Erscheinen der ersten Bände des Studia Philonica Annual ist hier- wesentlich durch D. T. Runia mitveranlasst - eine Tendenz zur Fokussierung auf Philons Schriften in ihrem eigenen näheren Kontext zu vermerken. So entstand das Projekt einer "Philo of Alexandria Commentary Series", deren erster Band sich dem ersten Traktat der Expositio Legis genannten Schriftenreihe, der Schrift De opificio mundi (Op), widmet. Auch wenn man die Schriftenreihe, die durch den Traktat Op eröffnet wird, nur im weiteren Sinne des Wortes als "Kommentar" bezeichnen kann, handelt es sich faktisch bei dem zu besprechenden Buch um einen "Kommentar zu einem Kommentar".

Der Band enthält (nach einer allgemeinen Einleitung zur ganzen Kommentarreihe, verfasst vom Gesamtherausgeber Gregory E. Sterling) eine ausführliche Einleitung zu Op, eine neue, vorbildliche englische Übersetzung, den Kommentar (96-403) sowie Bibliographie und Indices. R. unterteilt den in der Richterschen Ausgabe (1828-1830) in 61 Kapitel gegliederten Traktat in 25 Kapitel (wobei die maßgebliche Einteilung in 172 Paragraphen beibehalten wird). Die neue Einteilung in 25 Sinnabschnitte leuchtet ein. Allerdings bezeichnet R. sein 15. Kapitel ( 89-128: über die Siebenzahl), das längste im ganzen Traktat, als einen Exkurs - was schon auf Grund der Tatsache, dass die aus pythagoreischer Tradition stammende Zahlenlehre nahezu den ganzen Traktat beherrscht, unangemessen ist. Der Abschnitt über die "Sieben" ist eher der Höhepunkt der ganzen Schrift.

Die 25 Kapitel werden von R. jeweils nach gleicher Sequenz gegliedert: (1) formale Analyse und inhaltliche Zusammenfassung; (2) Detail-Exegese; (3) Parallelaussagen in anderen Schriften Philons; (4) "Nachleben" (Wirkungsgeschichte - vorwiegend Patristisches) und (5) weitere Literaturhinweise. Am ergiebigsten sind die Detail-Exegesen: Darin finden sich z. B. in der Philonforschung lange vernachlässigte textkritische Entscheidungen. Enorm sind die Verweise auf die Parallelen und Vorlagen aus der antiken und spätantiken Enzyklopädie, insbesondere der Philosophie. Der reiche Schatz der philonischen Bildung wurde bisher wohl kaum so intensiv und extensiv erschlossen wie in diesem Kommentar. Elf Exkurse insgesamt erweitern jeweils noch einmal den Horizont und bilden z. T. auch Schwerpunkte. Das gilt vor allem für die drei im zentralen Kapitel 15 (zur Siebenzahl). R. hält Philons Ausführungen zur im Mittelplatonismus verbreiteten pythagoreischen Zahlenlehre für die älteste unter den (zehn) antiken Quellen - was freilich von der Entscheidung in einer strittigen textkritischen Frage zu Johannes Lydus abhängt: 299 f. Die Hauptquelle der philonischen Philosophie und Theologie ist nach R. Platon, vor allem dessen Dialog Timaios. Insgesamt überwiegen die griechischen Einflüsse erheblich. Auch die Tatsache, dass Philon in Alexandrien jüdische Vorläufer gehabt hat (der wichtigste ist Aristobul), ändert nichts daran, denn diese waren schon der pythagoreisch-platonischen Tradition verpflichtet. Dass aber bereits die LXX-Übersetzung von Gen 1-3 am Timaios orientiert gewesen sei (M. Rösel), bestreitet R. Ansonsten sind nach R. die jüdischen Einflüsse gering (vgl. 31). Diese Einschätzung ist berechtigt: Abgesehen davon, dass Philon ein frommer (und d. h.: die Gesetze und gebotenen Riten befolgender) Jude war (Migr 89- 93), war seine Gesinnung durch griechische Philosophie und Ethik geprägt. Die rabbinische Literatur spielt fast keine Rolle (was auch chronologische Gründe hat).

Von den Inhalten, welche die Schwerpunkte der Kommentierung darstellen, sind (neben der Siebenzahl in der Mitte) der erste Schöpfungstag (und die Bedeutung der Zahl "Eins") am Anfang und die Erschaffung des Menschen gegen Ende des Traktates ( 134-135) zu nennen. Für Philon stellt der erste Schöpfungstag die Erschaffung des Ideen-Kosmos dar, eine Schöpfung, die (wie das ganze Sechstagewerk) außerhalb der Zeit geschieht. Dieser Ideenkosmos ist reiner Gedanke Gottes, jedoch ein wirksamer Gedanke: der übertragende, vermittelnde "Logos". Die Zahl "Eins" ist der Urgrund des (geistigen) Seins, die theo-ontologische Zahl schlechthin. Die Wirksamkeit des Gedankens Gottes wird durch seine "Güte" (Platon, Timaios 29b-30) und "Gnade" verursacht und durch den Logos vermittelt und in die Tat umgesetzt. In einem Exkurs (152 f.) behandelt R. das Problem der Entstehung der Materie: Philon verschweige die Schöpfung der Materie, weil er weder eine Verantwortung Gottes für den Ursprung des Bösen noch einen Dualismus (im Sinne des späteren Gnostizismus) proklamieren will.

Indirekt taucht diese Problematik in 134-135 in analoger Weise wieder auf, wo die Schöpfung des konkreten geist-leiblichen Menschen (Gen 2,7) geschildert wird. Nach Gen 1,27 wurde nur erst der "ebenbildliche Mensch", die Idee des Menschen geschaffen: 25. Die Wendung "nach dem Bilde Gottes" versteht Philon als doppelte Relation: Bild Gottes ist der Logos; "nach" diesem Bild Gottes, welches der Logos ist, wurde die Idee des Menschen geschaffen, also als Abbild des Logos, welcher das Abbild Gottes ist. Auch diese Schöpfung (der Idee des Menschen) geschieht noch außerhalb der Zeit. Erst nach dem Weltsabbat, mit Gen 2,4-5, ist die zeitlose Schaffung der Ideenwelt abgeschlossen, oder besser: abgerundet ( 129-130).

In den Paragraphen 134-135 wird dann "Adam", der erste konkrete Mensch, geschaffen, und zwar aus Materie. Der folglich tote Adam muss noch von Gott beseelt werden. Das geschieht durch den von Gott ausgehenden "Hauch des Lebens" (eine Inspiration). Dadurch wird Adam zu einem ambivalenten Wesen: durch den Körper sterblich, unsterblich aber durch das göttliche Pneuma. Damit steht der konkrete Mensch "auf der Grenze", d. h. er hat die Wahl zwischen der "sterblichen" und der "unsterblichen" Natur. R. weist den platonischen Ursprung des Borderline-Motivs (gr.: methorios) nach, das für Philons Anthropologie und Soteriologie eine wesentliche Rolle spielt.

R. erwähnt zwar die parallele Darstellung der beiden "Menschen"-Konzeptionen (Prototyp und Protoplast) in All 1,31 ff. (328), doch hätten die unterschiedlichen Intentionen und Begründungen der beiden Passagen (in Op und All 1) noch profilierter ausgeführt werden können. Sonst aber gibt es wenig zu tadeln an diesem Maßstäbe für die folgenden Bände setzenden Kommentar: Verweise und Abkürzungen für die Literatur könnten handhabbarer sein.

Als Neutestamentler sähe man gern einige Verhältnisbestimmungen zwischen philonischen und analogen bzw. assoziativen Aussagen des Neuen Testaments. R. ist in dieser Hinsicht bemerkenswert zurückhaltend. Im Index werden nur zwei Stellen genannt: 1Kor 13,12 und 15,47. - Gelegentlich werden die einzelnen Themen quantitativ unterschiedlich gewichtet, ohne dass dies immer nachvollziehbar ist. Letzteres ist aber kaum zu vermeiden, weil die subjektive Konstitution des Interpreten eine wesentliche Rolle spielt. Im Falle von R. ist die Beziehung zwischen dem Kommentator und seinem Gegenstand, dem Text Philons, optimal.